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von rls

MÜNCHENER FREIHEIT: Ohne Limit   (Koch Universal)

Das Jubiläumsalbum zum 30jährigen Bestehen der Münchener Freiheit zeichnet sich vor allem durch eine Eigenschaft aus: seine Vielgestaltigkeit. Das macht seine Beschreibung und Einordnung alles andere als einfach - immer wenn man eine generalisierende Eigenschaft gefunden zu haben glaubt, wird sie vom nächsten oder übernächsten Song wieder ad absurdum geführt. Das Problem geht schon mit der grafischen Komponente los: Nach dem optisch recht düsteren, musikalisch aber "MF-typischen" Vorgänger "Eigene Wege" trägt "Ohne Limit" ein Cover, das als erste Assoziation "Leichtigkeit" ins Hirn des Hörers pflanzt - im Kontrast dazu blicken die fünf Herren auf der Bookletrückseite aber so ernst, als hätten sie soeben ein ultratrauriges Bluesalbum eingespielt. Blues findet man in den dreizehn Songs übrigens diesmal als eigenständiges Genre nicht, was aber eine Generalisierung auch nicht einfacher macht. Kommt der Opener "Da wo ich bin, da will ich sein" allein vom Titel her wie eine selbstbewußte Standortbestimmung herüber, entpuppt sich der Song musikalisch als relaxter Groover, der "Ohne Limit", wäre er repräsentativ für das Album, als entspanntes Alterswerk klassifizieren würde. "Seit der Nacht", quasi der erwachsene und rocklastigere (und damit deutlich stimmigere!) Bruder von "Bis ans Ende der Welt", wischt solche Gedanken an zweiter Setposition aber gleich wieder weg, wurde mutigerweise sogar als Single ausgekoppelt und beinhaltet in Strophe 2 ein Backingvocal-Arrangement, das so typisch für diese Band ist, wie nur etwas typisch für diese Band sein kann. Hat man sich gedanklich aber auf ein "typisches" MF-Album eingestellt, darf Keyboarder Alex Grünwald mal wieder einen Song beisteuern, und der ist bekanntlich immer für Überraschungen gut, wie man anhand des Meisterwerkes "Hier und überall" noch bestens in Erinnerung hat. So ekstatisch vom Leder zieht er hier nicht, aber etliche ungewöhnliche Strukturen, Wechsel und Instrumentierungsideen (solche flötenartigen Keyboards kannte man von der Band bisher kaum) hat er auch in "Wir wollten fliegen" untergebracht, das er auch selbst betextet hat, ein interessantes Detail offenbarend: In der Vergangenheit hatte Stefan Zauner häufig die Texte für die Kompositionen seiner Bandkollegen und/oder externer Songwritinggäste verfaßt - diesmal machen die das konsequent selber. Überhaupt hat Zauner diesmal nur sechs Songs und damit weniger als die Hälfte des Albums geschrieben, was doch ziemlich ungewöhnlich ist. Vielleicht hatte er einfach nicht mehr Zeit - zwischen "Eigene Wege" und "Ohne Limit" liegen gerade mal anderthalb Jahre, während die seit den Endachtzigern übliche Distanz zwischen zwei MF-Studioalben zwei volle Jahre betrug. Geschadet hat's dem Material freilich nicht, weder die kurze Zeitspanne noch die verstärkte Einbindung der Bandmitglieder ins Songwriting - ein wenig Hast verrät vielleicht allenfalls die Textfraktion. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen (allen voran die hervorragende Kunzi/Königseder-Motivationshymne "Niemals zu spät") greifen die Texter nämlich ein bißchen arg oft in die Scrabblekiste der Klischeelyrik, was der Eingängigkeit prinzipiell zwar nicht abträglich ist, aber einige Passagen doch zu austauschbar macht. Die schon in "Sie liebt dich wie du bist" angeklungene Vorliebe für lange Refrains kommt übrigens auch diesmal mehrfach zum Tragen, und eine gewisse Grundneigung zum Experimentieren innerhalb des eigenen Stilspektrums oder an dessen Rändern kann man auch nicht verkennen. Das von Tuneverse produzierte "Ebbe und Flut" etwa ist der kürzeste und am erdigsten in Szene gesetzte Song hier, und das cool vor sich hin shuffelnde "Ich halte zu dir" gewinnt durch Holger Beckers Trompete noch einmal eine ganz neue Qualität, wenngleich, wie die jüngsten Livedarbietungen bewiesen haben, eine Keyboardsimulation dieser Passagen nicht in den Abgrund führt. Nur mit Mühe über dem Abgrund hält sich Aron Strobels "Meine Königin" - der Song selber macht durchaus Hörspaß, aber das eröffnende Hauptthema ist derart offensichtlich von "Always On My Mind" der Pet Shop Boys, ähem, inspiriert (selbst die Themaverlängerung vor dem Übergang in die Strophe wurde übernommen), daß man verwundert mit dem Kopf schüttelt, ob denn das niemandem aufgefallen ist (für eine bewußte Hommage finden sich nirgendwo Anhaltspunkte, wenngleich die Spätachtziger-Synthietürme vor allem in den Strophen vielleicht auch kein Zufall sind). Deutliche Eigenzitate lassen sich diesmal hingegen nicht ausmachen, nur einige latente Anklänge, die aber eher zufällig entstanden sein dürften. Zauners "So soll es sein" etwa hat trotz des Titels, der aus den ersten vier Worten des Refrains von "Ein Augenblick in Rot" besteht, nichts mit diesem Song zu tun; zusammen mit Strobels "Geh nach vorn" und Kunzis "Kopf oder Zahl" (trotz des schönen Hammondsolos im letzteren) ist es einer von drei etwas schwächeren, da relativ unauffälligen "Stangenwaren"-Songs ohne große Alleinstellungsmerkmale - das macht aber immerhin noch eine Trefferquote von 10 aus 13, um die manche andere Band die Zauner-Gang beneiden dürfte. Neben den bereits erwähnten Songs hätten wir da noch "Die Zeit war schön" (dreieinhalb Minuten eine gekonnte Mixtur aus Nachdenklichkeit und Lebensfreude), den Closer "Dass du niemals vergisst" (man hätte eigentlich noch eine Orchesterballade erwartet, und Orchesterkeyboards gibt's auch, aber eine richtige Ballade ist das nicht, sondern leicht zurückhaltender Edelpop mit einem für die Band nicht ungewöhnlichen Tonartwechsel hin zu Durwelten im Schlußton) und den originellsten und mit knapp fünf Minuten auch längsten Song des ganzen Albums: "Heute wird es Liebe sein", dessen banal anmutender Titel nicht das kompositorische Glanzstück Zauners vermuten läßt, das sich dahinter verbirgt. Zweimal täuscht er das Songende an, bevor der Song dann doch weitermäandert und sich mit unverkennbaren Psychedelic-Einflüssen seinen Weg ganz weit zurück in der Musikgeschichte bahnt, wenngleich er die Radikalität von Amon Düül II nicht erreicht, die diese auch schon hinter sich gelassen hatten, als Zauner weiland bei ihnen spielte. Und irgendwann entdeckt man auch noch ein Element auf "Ohne Limit", das hintergründig einen zusammenhaltenden Charakter entfaltet, obwohl man das so nicht für möglich gehalten hätte: Rennie Hatzke spielt auffällig oft Beckenfolgen, die wie ein Schellenkranz klingen (vielleicht ist es ja auch einer, auch hierzu finden sich keine Informationen im Booklet), und mit denen zieht sich die anhand des Titels zu erahnende Leichtigkeit durch die gesamte reichliche Dreiviertelstunde Spielzeit - programmatischerweise fehlt dieses Stilmittel in "Niemals zu spät", aber der Song funktioniert auch so, und man verzeiht Zauner hier sogar die etwas zu computereske Anmutung mancher Schlagzeugfiguren, vor allem der hinter dem Cellosolo. So findet sich die Klammer des Albums letztlich an unvermuteter Stelle (und wahrscheinlich auch erst nach zahlreichen Hördurchläufen, bei denen man analysetechnisch immer wieder in Sackgassen rennt), und argumentativ kommen wir dann doch wieder beim Terminus "reifes Alterswerk" heraus, der an dieser Stelle fast ausnahmslos positiv gemeint ist. "Fast" deshalb, weil man vielleicht hier und da doch noch ein wenig mehr frische Instrumentenzauberei hätte vertragen können, ohne die Songs damit schon zu überladen - mancherorts kommt einem das Ganze doch recht basisch inszeniert vor, was auch seinen Widerhall in der Songlänge findet (nur drei Songs haben eine 4 an der Minutenposition stehen). "Mehr ist manchmal mehr", artikulierten einst die unvergessenen Leipziger Metaller Nitrolyt, und dieses Motto darf auch bei künftigen MF-Studioscheiben gern das eine oder andere Mal beherzigt werden. Aber das ist Nörgelei auf hohem Niveau, und auch wenn der Vorgänger "Eigene Wege" in der Meinung des Rezensenten mit seiner Mixtur aus rockendem Experiment und poppigem Traditionalismus noch weiter oben anzusiedeln wäre und auch die Textqualität in Zukunft gern wieder steigen darf, bleibt "Ohne Limit" für Freunde feinsten Poprocks zweifellos erwerbenswert. Drei Bonustracks gab es im Herbst 2010 nur als Downloads auf verschiedenen Portalen - aber die Nicht-Download-Fraktion muß nicht verzweifeln, denn fünf Monate später sind sie nun als Boni der Live-CD "Live in der Grossen Freiheit Hamburg" auch in versilberter Form erhältlich; ihre Behandlung erfolgt im Review dieser Scheibe.
Kontakt: www.muenchenerfreiheit.info, www.crocodile-music.de, www.kochuniversal.de

Tracklist:
Da wo ich bin, da will ich sein
Seit der Nacht
Wir wollten fliegen
Meine Königin
Niemals zu spät
Ich halte zu dir
So soll es sein
Die Zeit war schön
Geh nach vorn
Ebbe und Flut
Heute wird es Liebe sein
Kopf oder Zahl
Dass du niemals vergisst



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