www.Crossover-agm.de MÜNCHENER FREIHEIT: Live in der Großen Freiheit
von rls

MÜNCHENER FREIHEIT: Live in der Großen Freiheit   (Koch Universal)

In der großen Re-Release-Serie vom Herbst 2010 war das "Freiheit Live!"-Album aus dem Jahr 1991 nicht mit dabei - der Wunsch nach einem aktuellen Livealbum der Münchener Freiheit dürfte aber nicht nur beim Rezensenten schon längere Zeit bestanden haben. Die allerbeste Gelegenheit wurde zwar verpaßt (Wernesgrün 2009 mit einer bärenstarken Setlist und blitzsauberem Sound), aber zumindest die Setlist ist auch auf der 30-Jahre-Jubiläumstour, die gleichzeitig der Promotion des aktuellen Studioalbums "Ohne Limit" dient, noch stark genug ausgefallen, daß sich eine Konserve von dieser Tour definitiv lohnt. Ergo wurden gleich zwei Gigs mitgeschnitten und in versilberter Form für die Nachwelt festgehalten: das Münchener Heimspiel für eine DVD (wenn man schon mal ein Kamerateam des Bayerischen Rundfunks am Start hat, ist das natürlich eine erstklassige Gelegenheit) und den Gig in Hamburg (dessen Veranstaltungsort natürlich kein Zufall ist, bei der namentlichen Steilvorlage ...) für die vorliegende Doppel-CD. Selbiger Hamburg-Gig stand drei Tage nach dem Tourauftakt in Chemnitz an, und die grundsätzlichen Dinge zur Setlist können daher dort nachgelesen werden - hinzugekommen ist nichts, gestrichen wurde auch nichts, und nur die Reihenfolge in den einstelligen Setpositionen unterlag noch einer Änderung (manchmal bemerkt man bestimmte Wirkungen oder Nicht-Wirkungen ja erst in der realen Livesituation und reagiert dann entsprechend drauf).
Nun ist das mit dem Direktvergleich so eine Sache - er kann sehr reizvoll sein, in manchen Fällen aber auch nach hinten losgehen. Und so einen Fall haben wir zumindest teilweise hier. Zwar gibt es an den instrumentalen Leistungen der Herren fast nichts zu deuteln (sie waren ja schon beim Tourauftakt in Chemnitz in erstklassiger Frühform, und hier in Hamburg stört eigentlich nur das fürchterliche Klackgeräusch, das den Publikumsklatschrhythmus in "Du bist Energie für mich" unterstützen soll - falls das der Publikumsklatschrhythmus selber sein sollte, muß Michael Kunzi beim Abmischen einiges elektronifiziert haben, denn vor den ersten Gesangstönen hört man auch mal "natürlich wirkendes" Publikumsklatschen, aber dann wieder nur noch dieses Elektrogeräusch), aber ein Gig der Münchener Freiheit steht und fällt mit Stefan Zauners stimmlichem Zustand - und der scheint in Hamburg alles andere als berauschend gewesen zu sein. Daß er sich in Chorpassagen teilweise etwas zurückfallen läßt, kennt man ja bereits von Touren der Vorjahre, und dagegen ist prinzipiell natürlich auch nichts einzuwenden. Hier aber ist er zudem noch so weit in den Hintergrund gemischt worden, daß sein Gesang oftmals eine Art Distanziertheit transportiert, die so in dieser Form sicherlich nicht beabsichtigt war. Trotzdem reicht der Hintergrundfaktor nicht aus, um beispielsweise die komische "belegte" Stimme in den hinteren Strophenhälften von "Tausendmal du" auszublenden; der Refrain hingegen sitzt komischerweise blitzsauber, was den Verdacht auf eine recht intensive Nachbearbeitung an dieser Stelle nährt. Dazu kommt eine komische Hilflosigkeit in den Strophen von "Ich will dich nochmal" - der dortige Sprechgesang war noch nie die größte kompositorische Erfindung seit Beethovens 5., aber wenn er eine Art melodische Färbung bekommt, die mit dem Unterbau in gruseligem Mißklang steht, fragt man sich schon nach dem Warum. In der Livesituation ist das nicht so das entscheidende Problem, denn da er- und verklingt das Ganze, aber auf Konserve kann man es ja jederzeit wiederhören und analysieren. Die abstimmungstechnischen Probleme in "Sommernachtstraum", die schon drei Tage zuvor in Chemnitz diagnostiziert werden mußten, waren auch drei Tage später noch nicht behoben (was sich beim zweiten Arm der Tour anno 2011 erfreulicherweise wieder geändert hat - aber da war die Hamburg-Aufnahme halt schon veröffentlicht ...), wobei Stefan hier teilweise arge stimmliche Probleme hat und reihenweise Töne nach hinten abkippen läßt. Und was generell merkwürdig anmutet, ist der Gesamtsound. Der Rezensent kennt die klanglichen Verhältnisse in der Großen Freiheit nicht, aber bei den ersten Hördurchläufen hatte er den Eindruck, seine Stereoanlage würde langsam den Geist aufgeben. Das Powerlevel liegt relativ weit unten, "Seit der Nacht" und "Du bist Energie für mich" enthalten Gleichlaufschwankungen, die man mit dem Aussterben des Masterbandes eigentlich ebenfalls ausgestorben glaubte, und generell trifft der Eindruck der Distanziertheit, der bereits bei Zauners Gesang beschrieben worden ist, auch auf den Gesamtsound zu - man wähnt sich irgendwie nicht in einer Konzerthalle, sondern auf einem Open Air in 100 Metern Entfernung von den Boxen. Wer eine große Heimkinoanlage zu Hause hat, kann ja mal ausprobieren, ob dieser klangwatteartige Eindruck auch auf dieser reproduzierbar ist; der Rezensent muß sich mit dem Eindruck seiner Stereoanlage (deren rechte Box jetzt beim Schreiben ca. 50 cm vor seinem rechten Ohr steht, die linke ist einen reichlichen Meter vom linken Ohr entfernt) begnügen, und der ist nicht der allerbeste. Wenn man das mal mit "Freiheit Live!" vergleicht, war der Lautstärkepegel damals natürlich niedriger, aber wenn man die entsprechend angleicht, ist der Eindruck der alten Aufnahme ein viel direkterer - und das, obwohl Aron Strobel damals keineswegs schon so viel Riffkrach mit seiner Elektrischen machte wie heute; vor allem sein Instrument wirkt in Hamburg, als wäre es durch einen Wattefilter gejagt.
Wieso aber sollte man zumindest als Anhänger der Band diese Doppel-CD trotzdem besitzen? Da gibt es durchaus eine Handvoll Gründe. Erstens sei nochmal auf die blendende Spiellaune der Herren verwiesen, die offensichtlich einen Heidenspaß bei der Sache hatten. Zweitens bekommen Analytiker ein weites Feld für Vergleiche zwischen den Studio- und Livefassungen oder auch zwischen den 1990er und 2010er Livefassungen (es gibt logischerweise einige Überschneidungen in der Setlist). Drittens bekommt man zwei Stunden feinsten Poprocks - auch wenn man der Fraktion "Sechs Songs vom neuen Album sind einer oder zwei zuviel" angehört, muß man anerkennen, daß Zauner & Co. mit gutem Händchen ausschließlich starkes Songmaterial ausgewählt haben, wobei sich der Fahrstuhlsong "Katrin" wieder mal im Set gehalten hat und jede Menge Hörspaß macht, während man "Bis wir uns wiedersehn" in den letzten Jahren nicht immer so zupackend gehört hat wie hier. Viertens darf man bei manchen Ansagen grinsen, etwa wenn Stefan mit trockener Stimme fragt, ob denn dieses alte Zeug aus den Achtzigern überhaupt noch jemand hören wolle (das Publikum grinst mit, bejaht und bekommt "Tausendmal du" vorgesetzt); einen Schreck wird mancher Unkundige hingegen erleiden, wenn er das Bandfoto unter dem CD-Tray sieht, und sich verzweifelt fragen, warum Stefan hier trommelt und Rennie singt (es handelt sich, wie der Kundige weiß, um die traditionelle Instrumententausch-Covernummer am Setende mit Micha an der Lead-, Alex an der Rhythmusgitarre und Aron am Baß). Fünftens schließlich scheint die Stimmung im Publikum exzellent gewesen zu sein, soweit man das bei diesen klanglichen Verhältnissen ahnen kann - auch von den Publikumsgeräuschen hört man während der Songs nicht allzuviel, aber zwischen den Songs herrscht gute Laune, und da stimmt der Publikumschor nach "Sie liebt dich, wie du bist" mal eben spontan "O, wie ist das schön" an, in das sogar Alex akkordisch einsteigt. Das gipfelt dann im bekanntermaßen vom Band eingespielten "Solang man Träume noch leben kann" als Outro, wo man deutlich hört, wie laut die Hamburger da eigentlich wirklich mitsingen. Schade, daß genau diese Stimmung über weite Strecken der Spielzeit nicht so transportiert werden konnte, wie das wünschenswert gewesen wäre.
Nicht-Download-Freunde dürfen den Kaufargumenten übrigens noch ein weiteres hinzufügen: Nach "Solang ..." erklingen nämlich noch drei Studiotracks - das sind die Songs 14 bis 16 der "Ohne Limit"-Sessions, die im Herbst 2010 nur temporär über verschiedene Onlineportale erhältlich waren und die man sich nun auch regulär versilbert ins Heim holen kann. Und das lohnt sich, denn diese drei Songs hätten sich problemlos in das gutklassige Gesamtbild von "Ohne Limit" eingefügt, reproduzieren allerdings partiell auch die latente Einfallslosigkeit der Texterfraktion. Zauners "Der Weg" benötigt dabei etwas Anlaufzeit, bis man diesen etwas komplexer konstruierten Song verinnerlicht hat und ihn nicht nur für seine Experimentierfreude schätzt - einen Gospelchor hört man im MF-Kontext sonst auch eher selten, und seine "God, set me free!"-Backings passen ausgezeichnet in den Refrain. Wer schon "Du bist Energie für mich" eigentlich als religiöses Bekenntnis aufgefaßt hat (eine anhand des Textes problemlos mögliche Lesart), wird hier interessante Aussagen finden. Das modernistische Intro von "Eine Welt, die es nicht gibt" läßt nicht die seltsame, aber irgendwie wirkungsvolle Alt-Neu-Kombination (wobei das flackernde Keyboard und der oft hektisch wirkende Drumrhythmus die Neu-Elemente markieren) erahnen, die sich Zauner hier aus den Rippen geleiert hat. Strobels "Das muß der Anfang sein" zaubert dem Hörer wegen des Titelwitzes ein Lächeln ins Gesicht (es ist der letzte Song der Scheibe), ist aber keineswegs so gemeint und stellt den gewohnten Edelpop im klassischen Licht dar, übrigens auch wieder drumseitig schellenkranzdominiert wie schon weite Teile des regulären "Ohne Limit"-Albums, wozu ein einfaches, aber wirkungsvolles Hauptsolo und ebenso geartete Klavierklänge im Refrain treten. Die Welt wäre ohne diese drei Songs sicher nicht untergegangen, aber man freut sich doch, daß man sie nun auf offiziellem Tonträger in der Kollektion stehen hat.
Kontakt: www.muenchenerfreiheit.info, www.crocodile-music.de, www.kochuniversal.de

Tracklist:
CD 1:
Intro
Seit der Nacht
Wenn das so einfach ist
Ich will dich nochmal
Da wo ich bin, da will ich sein
Die Zeit war schön
Tausendmal du
Niemals zu spät
Sie liebt dich wie du bist
Verlieben, verlieren
Aus der Nummer raus
Du bist Energie für mich
Ich halte zu dir
SOS
Sommernachtstraum
Herz aus Glas

CD 2:
Unterwegs in die Freiheit
Oh, Baby
Meine Königin
Katrin
Liebe auf den ersten Blick
Ohne dich (schlaf' ich heut' nacht nicht ein)
Ich steh' auf Licht
1000 Augen
Bis wir uns wiedersehn
I Love Rock'n'Roll
Solang man Träume noch leben kann
Der Weg
Eine Welt, die es nicht gibt
Das muß der Anfang sein



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver