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Münchener Freiheit   02.11.2010   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Als Gründungsdatum der Münchener Freiheit gilt der 4. Oktober 1980 - ergo steht 2010 das 30jährige Aktivitätsjubiläum an (nicht das 30jährige Releasejubiläum - das Debütalbum "Umsteiger" datiert von 1982, und somit hat man 2012 gleich nochmal analogen Grund zum Feiern), und da die Karrierekurve der Band in den letzten Jahren wieder deutlich nach oben zeigt, ruht man sich natürlich nicht ausschließlich auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus: Dem Re-Release der ersten vier Scheiben (jeweils nach dem 2-in-1-Prinzip) und der raren drei englischen Platten sowie der ergänzten Fassung der "Alle Jahre - Alle Hits"-Compilation steht mit "Ohne Limit" auch ein neues Studioalbum gegenüber, gerade mal anderthalb Jahre nach dem bärenstarken Vorgänger "Eigene Wege". Dem Programm der in Chemnitz eröffneten Jubiläumstour, die nach fast 20 Jahren auch mal wieder einen Livemitschnitt abwerfen wird, durfte man also mit Neugier entgegensehen: konsequentes Hitfeuerwerk, Überraschungen oder eher Releasetour zum neuen Album - oder eine Kombination aus mehreren dieser Komponenten?
Licht aus, ein waberndes Intro ertönt, bevor Alex Grünwald als erster die Bühne betritt und die anderen einzeln folgen und die Konservenklänge des Intros schrittweise durch Liveklänge ersetzen - aha, eine neue Showeinleitung, und die soll nicht die einzige Veränderung im Set bleiben. Der ist, wie man zwei Stunden und fünf Minuten später weiß, ordentlich durchgeschüttelt worden. Das besagte Intro geht in "Seit der Nacht" über, die erste Single von "Ohne Limit". Der Rezensent hat das Album vor dem Gig noch nicht gehört und bewußt auch darauf verzichtet, die diversen Hörproben im Netz zu checken, von einem einmaligen Hineinhören in ein Snippet von "Seit der Nacht" abgesehen. Das dürfte freilich nicht der einzige Grund sein, warum er diesen Song als den stärksten der im Set befindlichen sechs (!) Neulinge ansieht, jedenfalls soweit sich das nach dem Höreindruck des Gigs beurteilen läßt (diese Einschätzung kann sich mit der noch ausstehenden Analyse des Albums natürlich noch ändern). Aber zumindest der Refrain, den Stefan Zauner dem Song verpaßt hat, gehört mal wieder in die Ecke "Ohrwurm, obwohl nicht gar zu simpel gestrickt". Das Problem ist nur, daß man sich anstrengen muß, um das rauszuhören: Der Soundmensch braucht lange, ehe eine vernünftige Klangbalance hergestellt ist - erst ab Song 6 oder 7 stehen die Pegel richtig und bleiben das bis zum Ende dann auch, wenngleich die harte Abmischung von Wernesgrün 2009 wieder nicht erreicht wird (und vermutlich auch nicht erreicht werden sollte). Aron Strobels Gitarre jedenfalls hört man in "Tausendmal Du" zum ersten Mal richtig (und das ist Song 6), und Stefans Gesang, der bisher klang, als befände sich der Sänger hinter einem Vorhang, tritt in den Vordergrund, während der Baß auf ein normales Maß zurückgedreht worden ist. Nach 7 Songs steht es übrigens 4:3 für das Material von "Ohne Limit" und "Eigene Wege" - von letzterem Album haben sich summa summarum drei (oder vier) Songs im Set gehalten, von denen leider zwei (oder drei) diesmal leichte Probleme aufwerfen: Die Leichtigkeit von "Sie liebt dich, wie du bist" kann die Band an diesem Abend ebensowenig mit letzter Konsequenz umsetzen wie den Massivitätsfaktor von "Aus der Nummer raus". Nur "Unterwegs in die Freiheit" bläst wie ein frischer Wind durch die Stadthalle, unterstützt durch eine sehr, ähem, flüssige Lichtshow. Die Klammerbemerkung bei den Zahlen bezieht sich - der Stammleser wird es ahnen - natürlich auf "Sommernachtstraum", das der Ausbreitung des "Ohne Limit"-Materials dankenswerterweise nicht zum Opfer gefallen ist und wieder in der seit einigen Touren gewohnten Livefassung im Set steht - das halbe Ohr, das hier analysierend zuhört und nicht wie die anderthalb anderen Ohren in Richtung des Arkhotistavi-Passes in Nordgeorgien entschwebt, muß allerdings konstatieren, daß man sich hier in harmonischer Hinsicht bandintern schon mal besser einig war. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, und auch seine beiden Ausfälle kommentiert Stefan mit Humor: Er hat die neue Setlist noch nicht ganz intus und muß deshalb gleich bei Song 2 nachschauen, welcher alte Klassiker denn nun kommt (es handelt sich um "Wenn das so einfach ist"), und in "Tausendmal Du" gerät die halbe erste Strophe zur ungeplanten Textimprovisation, wonach er sich bei der 1. Reihe für ihre stützende Textsicherheit bedankt. Bei Stimme ist er allerdings sehr gut, und so locker und gelöst moderierend (und seine Ansagen auch mal etwas abwandelnd) hat man ihn bisher auch selten erlebt. Aber daß die ganze Band seit einigen Jahren wieder in einen Jungbrunnen gefallen ist, weiß man ja und wundert sich über das hohe Niveau, mit dem hier gepoprockt wird, auch gar nicht mehr, sondern erwartet es förmlich. "SOS" hat im Intro und im Hauptsolo eine kleine Veränderung erfahren (hier wachsen jetzt Bombastrockparts aus dem Boden, und das paßt richtig gut), zu "Du bist Energie für mich" erzeugen die Lichtkästen ein synthetisches Lagerfeuer, und das Publikum darf wieder mitklatschen, wobei gegenüber vergangenen Jahren eine deutliche Steigerung der Rhythmussicherheit konstatiert werden darf. Und überhaupt das Publikum: Die Stimmung ist fast durch die Bank weg glänzend - da hat man in Chemnitz schon deutlich lethargischere Reaktionen erlebt. Auch den sechsten neuen Song, "Meine Königin", nimmt man gerne an, obwohl man sich in der Schlußabrechnung dann doch irgendwie sagt, daß ein kleiner Schwenk Richtung Hitfeuerwerk-Strategie reizvoll gewesen wäre. Jedenfalls wäre vermutlich kaum jemand böse gewesen, nur vier oder fünf Songs der neuen Platte zu hören und statt dessen "Herzschlag ist der Takt" und "Geile Zeit" im Set behalten zu wissen - gerade das Fehlen des letzteren Songs, der sich als erfreuliche Stabilitätsinsel des jüngeren Schaffens erwiesen hatte, mag mancher Anhänger bedauert haben. Dafür gibt es aber auch zwei Überraschungen: Zum einen steht der Raus-Rein-Kandidat "Katrin" diesmal wieder im Set (und er macht den gewohnten Hörspaß), zum anderen wird "Tausend Augen" gar an prominenter Stelle plaziert, nämlich als erste Zugabe (daß es dort strukturell eine Änderung geben muß, wird klar, als "Oh Baby", das die letzten Jahre dort plaziert war, schon im Hauptset kommt), dem "Bis wir uns wiedersehn" und die obligatorische Instrumententauschzugabe folgen. Letztere fährt wieder Joan Jetts "I Love Rock'n'Roll" auf - zweifellos Hörspaß machend, hätte man sich über einen Wechsel auch hier dann doch gefreut (was war das doch in der Vergangenheit immer spannend, wenn man eben nicht wußte, was kommen würde ...). Aber das ist diesmal noch nicht das Ende des Gigs - die Band hat sich endlich dazu entschlossen, ein altes Problem zu lösen: Die schwachbrüstige Livefassung von "Solang man Träume noch leben kann" ist aus dem Set verschwunden, statt dessen gibt es die Orchesterfassung als Outro vom Band. Eine prima Lösung dieses Problems, die man sich vielleicht von Manowars "The Crown And The Ring" abgeschaut hat (von Manowar lernen heißt siegen lernen, jaja), und wenn das zur dauernden Institution wird, dann dürfte sich auch die Publikumsreaktion zu ähneln beginnen: Viele strömen noch nicht hinaus, sondern singen noch einmal begeistert "From a battle I've come - into a battle I ride ..." mit - das ist an diesem Abend in Chemnitz noch anders, und die Reihen leeren sich in rapidem Tempo, wobei der Merchandisingstand das Ziel vieler ist, wo es allerlei mehr oder weniger nützliche Dinge zu erstehen gibt, allerdings keine Waschlappen wie auf der letzten Loudness-Tour. Dafür hat die Jubiläums-Shirtkollektion ein schön paradoxes Design, über das man lange philosophieren kann ...



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