www.Crossover-agm.de LAST DESCENDANTS: One Nation Under God
von rls

LAST DESCENDANTS: One Nation Under God   (Stormspell Records)

Man kann über Ralph Hubert und seine Band Mekong Delta sicherlich geteilter Meinung sein - aber er hatte ein nicht zu unterschätzendes Gefühl für die Aufspürung vielversprechender Talente im anspruchsvollen Metalbereich. Auf Aaarrg Records debütierten anno 1988 auch Last Descendants, eine seit 1981 unter wechselnden Bandnamen (u.a. Abattoir, den später eine andere Formation erfolgreich verwertete) aktiv gewesene Formation von der US-Westküste, die 1986 ein hoch gehandeltes 4-Track-Demo namens "World War III" veröffentlicht hatte und daraufhin in Deutschland ihr Debütalbum "One Nation Under God" einspielte. Bandinterne Differenzen und die gängigen Veränderungen in der Post-Nirvana-Zeit führten dazu, daß das geplante Nachfolgealbum "The Big Picture" nicht mehr realisiert wurde, abgesehen von vier Songs, die 1993 in Demoform eingespielt wurden, aber die Band keinen Schritt mehr vorwärtsbrachten, so daß 1995 Schicht im Schacht war. 2009 fand man allerdings in leicht veränderter Besetzung wieder zusammen, wobei das im Booklet angekündigte neue Album "The Holy War", ein Konzeptalbum über die Geschichte Jerusalems, zwei Jahre nach dem zugrundeliegenden Interview mit Drummer Bill Ackerman noch weit und breit nicht am Horizont sichtbar ist; auch die Encyclopedia Metallum weist der Band nach wie vor den Status "Split-up" zu. Immerhin aber ist anno 2010 vorliegender Tonträger erschienen, der zwar nicht das Gesamtwerk der Band, aber zumindest nahezu das Gesamtwerk aus den Achtzigern enthält. Das 1993er Demo, auf dem Bandkopf Gary Morton sang, fehlt also, und ebenfalls nicht enthalten sind die 1987er Demoaufnahmen von "Malpractice" und "One By One", wobei diese beiden Songs aber auch auf dem Album enthalten sind, die vier vom "World War III"-Demo dagegen blieben in den Archiven und wurden erst für die vorliegende CD wieder ausgegraben, wo sie den sieben regulären Songs als Boni nachgestellt worden sind. Die Reihenfolge ist also nicht chronologisch, und man kann daher die Entwicklung der Band nicht ganz eindeutig nachvollziehen. Fest steht, daß die vier Demosongs noch deutlich stärker im klassischen Progmetal verankert waren, der damals noch in den Kinderschuhen steckte (man erinnere sich: 1986 erweckten Fates Warning gerade ihr Fabelwerk "Awaken The Guardian" zum Leben, und Dream Theater werkelten unter dem Namen Majesty noch im Proberaum). Hier sang noch Ken Ueda, der für das Zwei-Track-Demo und die Albumaufnahmen dann durch Jim Waits ersetzt wurde, welcher in einer frühen Inkarnation schon einmal Bandmitglied gewesen war, allerdings unglücklicherweise in der Zwischenzeit wenig an seiner Stimme gearbeitet hatte und gemäß Augenzeugen auch live nicht überzeugt haben soll, weder optisch noch gesanglich. Nun ist das wie immer Ansichtssache - als Fakt muß man aber festhalten, daß Jim kein Sänger, sondern ein Shouter war und Last Descendants allein durch diese Stimme ein gewisses Thrash-Moment bekamen, das sie mit dem powermetalkompatibleren hohen Gesang Kens so nicht hatten. Das kann man mögen oder auch nicht; Stefan Glas tat es im Buch "US Metal Vol. 3" nicht, der heutige Anhänger komplizierten Thrashs sieht das vielleicht ein wenig anders, der Anhänger klassischen US-Metals mit progressivem Touch wird wiederum etwas zwischen den Stühlen sitzen und kann sich ja notfalls erstmal über das Instrumental "P.G.13" in das Material einarbeiten, um festzustellen, ob er generell mit der vertrackten Herangehensweise zurechtkommt. Freilich drifteten Morton und seine Jungs nie in die Sphären der Telefonbuchvertoner Watchtower ab, sondern schmolzen auch griffige, bisweilen etwas an Iron Maiden erinnernde Passagen in die Legierung ein - höre beispielsweise den Schlußteil von "Malpractice"! Generell neigte das Quintett zum Schreiben ausladenderer, aber nicht ganz ausufernder Songs - von den elf Songs mit summiert 67 Minuten Spielzeit dauert nur "In God We Trust" nicht länger als fünf Minuten (und selbst dieser unterschreitet die Marke nur um 10 Sekunden), aber auch keiner länger als acht. Keyboards benutzte die Band nur an einigen Stellen zur Stimmungserzeugung bzw. -untermalung, dazu kommen ein paar Geräuschsamples, etwa Hubschrauberlärm in "Fight The Fight". Last Descendants verstanden sich in einer guten Spätachtziger-Tradition immer als politische Band, die die Welt unter einem gesunden christlichen Standpunkt betrachteten und ihren Kommentar zu allen möglichen und unmöglichen Auswüchsen abgaben - "Thinking Man's Metal" pflegte man das weiland zu nennen, und diese Einschätzung trifft eigentlich, nein, definitiv auch noch vom heutigen Standpunkt aus zu. Alle Texte kann man auch im Booklet dieser Wiederveröffentlichung nachlesen, dazu zahlreiche alte Bilder betrachten und zwei Interviews mit Gary Morton und Bill Ackerman begutachten (und interessante Quervergleiche anstellen ...).
Den sieben Songs des regulären Albums folgen wie erwähnt noch die des "World War III"-Demos. Hier sind die Iron-Maiden-Einflüsse in der Gitarrenmelodik partiell noch etwas ausgeprägter, wobei Last Descendants mit "Red Zone" einen Opener für das Demo auswählten, der mit seinen häufigen Verharrungen und leisen Gitarrenlickpassagen eher untypisch anmutet, nach Minute 3 dann allerdings doch noch schneller und zupackender wird. Interessanterweise findet sich eine ähnliche Konstellation auch auf dem Album selbst - das partiell recht schleppende "Not My World" mutet als Opener zumindest ein klein wenig seltsam an und wird möglicherweise den einen oder anderen Hörer eher abgeschreckt haben, wenngleich Jim in diesem Song von der Treffsicherheit der Töne her noch seine beste Leistung bot. Da ist Ken doch ein etwas anderes Kaliber - er singt zwar nicht sirenengleich, hat aber ein ausgeprägtes mittelhohes Organ, das entfernte Ähnlichkeiten zu dem von Omens J.D. Kimball aufweist. Der letzte Refrain von "Red Zone" geht zwar auch ein wenig ins Beinkleid, aber das wäre bei einer regulären Albumaufnahme sicherlich noch geradegebogen worden. Wie auch immer: "In God We Trust" entwickelt sich nach beschaulichem Intro zu einem flotten Track, der vielleicht besser als Demoopener geeignet gewesen wäre, "Talking Down" ist der zugänglichste Last-Desdendants-Song überhaupt, nämlich eine große Power-Metal-Hymne mit furioser Gitarrenarbeit, ebensolchem Gesang und wieder einem kurzen atmosphärischen Keyboardanflug, und "Lines Of Death" schraubt das Tempo nochmal nach oben, kombiniert aber in hervorragender Weise speedige und treibend-midtempolastige Passagen, so daß das Demomaterial unterm Strich als noch etwas geradliniger anzusprechen ist, während die Albumsongs dann in puncto Vertracktheit noch eine Schippe drauflegten, aber trotzdem hörbar blieben. Wie die Entwicklung anno 1993 weiterging, wissen nur die Besitzer des letzten Demos, aber vielleicht kommt, falls "The Holy War" eines Tages doch noch erscheinen sollte, auch dieses Material noch ans Tageslicht. Bis dahin versuchen metallische Gourmets und Archäologen auf der Suche nach den Grundpfeilern des Progmetal, noch eines der 1000 Exemplare der vorliegenden CD auszugraben; der Rezensent hat seines von www.karthagorecords.de, aber es ist auch schon Nr. 703 von 1000 ...
Kontakt: www.stormspell.com

Tracklist:
Not My World
Vision
One By One
P.O.W.13
Malpractice
Fight The Fight
P.G.13
Red Zone
In God We Trust
Talking Down
Lines Of Death



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