www.Crossover-agm.de CHALICE: Overyears Sensation
von rls

CHALICE: Overyears Sensation   (Keiler Records)

Unlängst hat Châlices 2002er Album "Chameleonation" den Sprung vom ungehörten in den gehörten Teil der CD-Sammlung des Rezensenten geschafft - da liegt auch schon ein neues Werk vor, das siebente insgesamt. Diese zufällig entstandene Konstellation verführt natürlich zu Vergleichen, und da staunt man in "You Better Get Used To It", dem Opener des herrlich selbstironisch betitelten "Overyears Sensation"-Neulings, doch den einen oder anderen der sprichwörtlichen Bauklötze: ein für Melodic-Rock-Verhältnisse ziemlich heftiges Riff von Oliver Scheer, dazu gelegentliche harte Stakkato-Beats von Michael Mehl - das ergibt einen Song, der sich an der oberen Härtegrenze des Châlice-Schaffens bewegt. Aber er entpuppt sich, so stellt man nach Durchhören der 53 Minuten fest, nicht als paradigmatisch für das Album: Schon mit dem folgenden Titeltrack entfaltet sich klassischer melodischer Hardrock, wie er seit jeher für diese Band typisch ist, wenngleich in durchaus unterschiedlicher Ausprägung. Man höre: "Rock'n'Roll Machine" vereint das Beste der Deep Purple aus der "Stormbringer"-Ära und der heutigen Deep Purple, "Chasing The Wind" würde auch im Repertoire von Ten keine schlechte Figur abgeben, wobei seinen Solopart auch Toto mit Kußhand übernommen hätten, und "Shake The Earth" stellt eine leicht gehärtete Version bester Uriah-Heep-Tugenden dar. Komme nun aber niemand und vermute, die Hamburger würden sich aufs Plündern fremden Schaffens verlegen - die Rede ist von Inspirationsquellen, nicht von Ideenklau, und eine derartige Kombination aus Ten- und Toto-Elementen, wie wir sie in den sechseinhalb Minuten von "Chasing The Wind" finden, ist zumindest dem Rezensenten in dieser Form noch nicht untergekommen. Auch wenn Châlice mal ein klassisches Harmonieschema auffahren wie im Intro von "All About Your Love", versuchen sie etwas Eigenständiges daraus zu machen, und egal ob man die flackernden Keyboards im weiteren Verlauf dieses Songs nun mag oder nicht: Sie helfen mit, ein eigenständiges Ergebnis zu erzielen. Dazu tritt das nach wie vor gut ausgeprägte Händchen für einprägsame, aber nicht zu platte Refrains, und da Sänger Gino Naschke eine sehr angenehme Stimme ins Feld führt, fällt es auch leicht, einen Weg zum Mitsingen zu finden. Nur an wenigen Stellen hat man das Gefühl, hier wäre eine Idee nicht ganz konsequent zu Ende gedacht worden, so beispielsweise im Hauptsolo des ansonsten richtig starken "Glorious Again", das irgendwie zu unentschlossen wirkt. Für "Turn Away" wiederum benötigt man aus anderen Gründen mehr Erschließungszeit: Der komplex arrangierte und ebenso rhythmisierte Song geht trotz des relativ zugänglichen Refrains nicht leicht ins Ohr, sondern erfordert eine intensivere Beschäftigung. Hier lassen die norddeutschen Nachbarn Poverty's No Crime freundlich grüßen - der Song würde durchaus auch in ihr Repertoire passen, und wer sieben Jahre nach dem letzten PNC-Album langsam unter Entzugserscheinungen leidet, der bekommt hier zumindest eine kleine Ersatzdroge, auch wenn Volker Walsemann und seine Jungs unterm Strich doch ein Stück proglastiger unterwegs sind (waren?) als Gino Naschke und seine Instrumentalisten. So ganz neu ist Stoff dieser Bauart für Châlice allerdings nicht, denn auch auf "Chameleonation" fand sich immer mal ein etwas komplexerer Bestandteil, auch wenn hier wie da der Fokus ganz klar im Melodic-Rock- oder meinetwegen auch Melodic-Metal-Bereich (jedenfalls in der Grauzone dieser beiden Genres, die eh schwer abzugrenzen sind) anzusiedeln ist. Im Direktvergleich fällt allerdings die etwas erdigere Produktion des neuen Albums auf, die dem Material allerdings durchaus gut tut und ihm den ganz leicht sterilen Touch des 2002er Werkes raubt, der zwar nicht entscheidend störte, aber doch ein wenig gewöhnungsbedürftig war. Produziert hat "Overyears Sensation" übrigens Andy Horn, den Metalhistoriker noch aus dem Lanfear-Umfeld kennen, und wer sich vorstellt, daß Lanfear nach ihrem zweiten Album nicht in den Metal, sondern in den Rock abgedriftet wären, und das Ergebnis mögen zu können glaubt, der sollte sich durchaus mal näher mit Châlice beschäftigen. Das Durchhaltevermögen der Hamburger, die seit über 20 Jahren am Ball sind, aber mit ihren bisherigen sechs Alben trotz mancher hochkarätiger Supporttour nie auf einen grünen Zweig kamen (und das lag nicht an der Qualität der Alben), nötigt jedenfalls großen Respekt ab, aber auch jenseits von solcherart strukturellen Überlegungen sollte man, wenn man starken Melodic Rock mag, den schlicht, aber hübsch gestalteten Digipack von "Overyears Sensation" mal einer detaillierten Prüfung unterziehen, zumal ein Bonus lockt: ein Gratisdownload einer remasterten Variante des Châlice-Debütalbums "In Wonderland", original 1995 erschienen. Andere Bands hätten daraus einen aufgemotzten CD-Re-Release gemacht - die sympathischen Idealisten von Châlice verschenken das Werk einfach so. Hab' ich schon "Support your local scene" gesagt? Nein? Dann aber jetzt - richtig guter Melodic Rock muß nicht aus Übersee oder Schweden kommen.
Kontakt: www.keiler-records.com, www.chalice.de

Tracklist:
You Better Get Used To It
Overyears Sensation
Rock'N'Roll Machine
Chasing The Wind
Glorious Again
All About Your Love
Turn Away
Sign Of The Times
Shake The Earth
Taste It
Don't Tell Me Lies
Last Wish
 




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