www.Crossover-agm.de DEEP PURPLE: Live In Paris 1975
von rls

DEEP PURPLE: Live In Paris 1975   (earMusic)

Auch diese Konzert-Doppel-CD gehört in die "Official Deep Purple (Overseas) Live Series"; im Gegensatz zu den Stockholm- und Kopenhagen-Mitschnitten ist hier allerdings nicht die Mark-II-, sondern die Mark-III-Besetzung am Werk, wie der Purple-Kenner anhand des Mitschnittsjahres schon gemutmaßt haben wird. Theoretisch könnte es allerdings sogar die Mark-IV-Besetzung sein, sofern diese im gleichen Jahr nochmals in Paris aufgetreten sein sollte, was Deep-Purple-Konzertstatistiker sicherlich schnell herausfinden können. Praktisch spielt aber trotzdem Mark III, und zwar zum allerletzten Mal - der Gig am 7. April 1975 im Palais des Sports schloß die laufende Tour ab und markierte zudem den letzten Gig von Ritchie Blackmore mit der Band. Der Gitarrist hatte bereits zuvor sein erstes Soloalbum aufgenommen, das dann unter dem Titel "Ritchie Blackmore's Rainbow" erscheinen, praktisch auch den neuen Bandnamen hergeben und den Grundstock für die Karriere einer weiteren faszinierenden Siebziger-Hardrockband bilden sollte (auch wenn die absoluten Meisterwerke erst in den Folgejahren mit "Rising", "Long Live Rock'n'Roll" und dem dazwischen erschienenen Livealbum "On Stage" erscheinen sollten). Da sich 1984 dann die Mark-II-Besetzung wieder zusammentat und weder Sänger David Coverdale noch Bassist/Sänger Glenn Hughes späterhin noch einmal im Deep-Purple-Kosmos auftauchen sollte, handelt es sich also tatsächlich um ein geschichtliches Dokument, nämlich das allerletzte Mark-III-Konzert, was auch so bleiben wird, denn aufgrund des Todes von Tastenzauberer Jon Lord ist im irdischen Maßstab keine der Besetzungen mit ihm wieder zusammenbringbar (und das betrifft alle Deep-Purple-Besetzungen bis ins aktuelle Jahrtausend, denn neben Drummer Ian Paice war Lord das einzige Bandmitglied, das allen im 20. Jahrhundert aktiv gewesenen Deep-Purple-Besetzungen angehörte). Und obwohl nur einigen wenigen Eingeweihten Blackmores nach Tourende anstehender Ausstieg bereits bekannt war, wurde doch beschlossen, die letzten Konzerte dieser Tour mitzuschneiden: am 4. April in Graz, am 5. April in Saarbrücken und eben am 7. April in Paris. Fünf Songs davon wurden zeitnah zu einem Livealbum zusammengepuzzelt, das unter dem Titel "Made In Europe" vom Licht des Meilensteins "Made In Japan" etwas abbekommen sollte, aber weniger als erhofft Beachtung fand. Daß solches Material aber nicht dauerhaft in den Archiven verbleiben würde, war klar, und so fanden die Gigmitschnitte in verschiedenen Zusammenstellungen aus den drei Städten noch ihren Weg auf den Tonträgermarkt. Auch der "reine" Paris-Mitschnitt ist dort nicht ganz neu; bereits kurz nach der Jahrtausendwende veröffentlichten Deep Purple ihn auf ihrem Eigenlabel Purple Records, und nun liegt er im Kontext eingangs genannter Serie abermals vor, wie die anderen Teile der Serie in aktuell remixten und neu gemasterten Fassungen von Martin Pullan. Im Gegensatz zu den Stockholm- und Kopenhagen-CDs, denen jeweils noch Bonustracks von anderen Gigs hinzugefügt wurden, ist das hier allerdings nicht der Fall; vertreten ist aber wieder ein Interview, diesmal mit David Coverdale, Glenn Hughes und Ian Paice aus dem Jahr 1975, für welches das Übliche gilt - man hört es sich einmal an, und danach schaltet man den CD-Player auf CD 2 nach Track 3 ab.
CD 1 enthält sieben Tracks, ergo ermittelt der Mathematiker, daß das etwa 105minütige Konzert aus zehn Tracks bestanden haben muß. Deep Purple befanden sich offiziell auf Tour, um ihr aktuelles Album "Stormbringer" zu promoten, und so verwundert es nicht, daß dieses mit drei Beiträgen einen großen Anteil stellen darf, worunter sich auch Tracks befinden, die seither nie wieder in Purple-Setlists auftauchten (was auch nicht verwundert, da ja wie eingangs geschildert die Mark-III-Besetzung nie wieder zusammenfand), während andere zumindest noch in der Mark-IV-Besetzung gespielt wurden, die bekanntermaßen aber auch nur ein Jahr hielt, bevor 1976 dann erstmal für acht Jahre komplett Schicht im Purpurschacht war. "Stormbringer" stellt außer dem Titeltrack noch "The Gypsy" und "Lady Double Dealer", allerdings sämtlich in eher kompakten und an den Albumfassungen orientierten Interpretationen, so daß es spielzeittechnisch klar von den ebenfalls drei Beiträgen des Albumvorgängers "Burn" überflügelt wird. Dessen schneller Titeltrack stellt den Setopener dar und hat auch außerhalb Deep Purples seinen Platz gefunden, nämlich in den Solosetlists von Glenn Hughes. Ähnliches gilt für "Mistreated", der sich gar noch weiter ausbreiten konnte: Zum einen übernahm ihn David Coverdale ins Repertoire von Whitesnake, zum anderen wurde er eine feste Größe in den Konzerten von Rainbow und wanderte wiederum von dort auch in die Solokonzerte von Ex-Rainbow-Fronter Ronnie James Dio, obwohl weder Dio noch eines seiner Solobandmitglieder original etwas mit der Nummer zu tun gehabt hatte. In der Versenkung dagegen verschwand "You Fool No One", hier in Paris ähnlich wie "Mistreated" durch Instrumentalsoli stark ausgedehnt (auch Ian Paices Drumsolo wurde hier integriert, und man höre sich mal genau die Baßpassagen um Minute neuneinhalb an!) und noch aus einem anderen Grund strukturell interessant: Wer genau hinhört, dem werden einige der Passagen in der Einleitung bekannt vorkommen - sie erinnern stark an "Still I'm Sad", das Blackmore kurz zuvor für das erste Rainbow-Album eingespielt hatte. Zufall? Sicher nicht, zumal auch andere Songs wieder Zeugnis der eklektizistischen Fähigkeiten Deep Purples abgeben, andere Motive geschickt in ihr eigenes Material einzuweben, wobei allerdings auch die Variante vorkommt, daß das eigene Schaffen "geplündert" wird, so wie hier in Track 6 der ersten CD, wo erst ein Auszug aus "Lazy" erklingt, bevor sich nach zwei Minuten dann doch "Smoke On The Water" ergibt, dessen erste drei Gitarrenakkorde wiederum schon im Intro von "Mistreated" verbraten worden waren. "Smoke On The Water" selbst erklingt in der Variante mit Quintensprung während der Songentwicklung und wird im hinteren Teil mit sehr expressiven Gesangspassagen Hughes' und instrumentalen Zitaten von "With A Little Help From My Friends" angereichert. Überhaupt nimmt Hughes eine überraschend dominante Rolle ein, was die Gesangspassagen und selbst die Ansagen angeht, wobei er bisweilen etwas sehr überdreht agiert - in welchem Zustand er sich damals befand, kann nicht näher ergründet werden. (Bei Coverdale wiederum bemerkt man anhand der historischen Fotos im Booklet, daß er seinem Vorgänger Ian Gillan optisch durchaus etwas ähnelte, was anhand der späteren optischen Entwicklung eher kurios anmutet.) Lord wiederum läßt seine Klassikvorlieben einfließen - im Intro von "Space Truckin'" geht nach einer bekannten Weise von Richard Strauss die Sonne auf, und in den langen Mittelteil hat er seinen Signatursong "Child In Time" zumindest themenseitig eingeflochten, auch wenn Coverdale an der betreffenden Stelle leider nicht drauf einsteigt (wäre nicht uninteressant gewesen zu hören, wie er sich mit den markanten Gesangspassagen schlägt). Selbiges "Space Truckin'", hier die zweite CD eröffnend, dauert reichlich 20 Minuten und ist damit der längste hier, zudem der letzte des regulären Sets und der zweite aus der Mark-II-Ära, dem dann noch "Highway Star" als zweite Zugabe folgen soll, das damit von ganz vorne (man erinnere sich an "Made In Japan") nach ganz hinten gewandert ist, aber die Aufgabe eines flotten Auskehrers genauso gut erfüllt wie die eines Stimmungserzeugers am Setbeginn. Die Wortwahl "zweite Zugabe" assoziiert allerdings, daß es auch eine erste gegeben hat: Deep Purple hatten ja immer mal einen alten Rock'n'Roll-Song in ihre Setlisten eingewoben (Coverdale kündigt am Showanfang zwar an, man habe "a couple of rock'n'roll songs" für das Auditorium, aber er dürfte das in diesem Falle sicher nicht musikalisch, sondern anhand der Zweitbedeutung gemeint haben), und hier kommt nun "Going Down" aus der Feder von Don Nix zum Zuge. Daß im Finale von "Highway Star" dann nur noch Lords Orgel zu ertönen scheint, spricht im nachhinein betrachtet natürlich Bände, auch wenn es sicher nicht so geplant war. Wer die Ursprungsveröffentlichung des kompletten Paris-Materials noch nicht besitzt, sollte nicht nur aus rockhistorischen, sondern auch einfach aus musikalischen Gründen (trotz einzelner technischer Probleme, die auch Pullan nicht ausbügeln konnte, und Coverdale war auch schon mal besser bei Stimme) zugreifen.
Kontakt: www.ear-music.net, www.deep-purple.com

Tracklist:
CD 1:
Burn
Stormbringer
The Gypsy
Lady Double Dealer
Mistreated
Smoke On The Water
You Fool No One

CD 2:
Space Truckin'
Going Down
Highway Star
1975 Interview with David Coverdale, Glenn Hughes & Ian Paice



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