DEEP PURPLE: Live In Copenhagen 1972 von rls (Ear Music)
Auch diese Doppel-CD gehört in die Reihe mit historischen Deep-Purple-Liveaufnahmen, und das Aufnahmejahr verrät dem Kenner der Bandgeschichte, daß es sich um einen Mitschnitt in zeitlicher Nähe zu "Made In Japan", der Mutter aller Hardrock-Livealben, handeln muß. Dem ist auch tatsächlich so, allerdings zeigen sich ein paar interessante Unterschiede. Die Japan-Gigs fanden im August 1972 statt, das Kopenhagen-Konzert dagegen bereits am 1. März 1972, also zu einem Zeitpunkt, als das "Machine Head"-Album zwar bereits eingespielt, aber noch nicht veröffentlicht worden war. Letzterer Aspekt störte die Band freilich nicht: Sechs Songs bilden den Hauptset des Abends, und gleich drei davon stammen von "Machine Head", waren dem Publikum bis dahin also unbekannt, darunter gleich der Opener "Highway Star". Aber der nimmt mit seinem unwiderstehlichen Drive sowohl das damalige Publikum als auch den heutigen Hörer für sich ein und erlaubt zudem die überraschende Entdeckung, daß Ian Gillan mitten im Song auf einmal "Oi, Oi!" ruft (wohlgemerkt zu einer Zeit, als es noch gar keinen Punk gab), was er in Japan dann auch tat, dort allerdings in "Speed King". "Lazy" und "Space Truckin'" sind die anderen beiden neuen Tracks, bilden das Ende des regulären Sets, und letztgenanntes sprengt mit wilden Improvisationen problemlos die Zwanzig-Minuten-Marke. Aber natürlich kleben auch die drei älteren Tracks nicht an den Studiovorlagen, und so entdeckt man in "Strange Kind Of Woman" bereits hier das Gesang-Gitarre-Duell, das man in etwas veränderter Form von "Made In Japan" in Erinnerung hat. "Child In Time" überrascht in der Kopenhagen-Fassung mit einigen harmonischen Einfällen Jon Lords, die man so weder von den früheren Liveversionen noch vom Japan-Mitschnitt kennt, auch wenn gerade das Intro ein wenig fernöstliche Melodik durchscheinen läßt. Gewisse Soundschwankungen bei den Orgelparts vor dem ersten Refrain und auch ein überraschend leiser Pegel gleich zu Beginn von "Highway Star", der erst allmählich lauter wird, sind erhalten geblieben: Wie auch bei den 1970er Stockholm-Aufnahmen hat Martin Pullan wieder für eine Soundüberarbeitung gesorgt, aber alle Probleme konnte er offenbar auch nicht beheben, und so sind einige Unausgewogenheiten erhalten geblieben, die aber den Höreindruck nicht wesentlich schmälern. Der reichlichen Viertelstunde "Child In Time" (mit Gillan schon im klassischen Schrei-Timbre wie ein knappes halbes Jahr später in Japan, allerdings hier und da leicht unsicher wirkend) folgt "The Mule", also Ian Paices Drumsolo, und über die erwähnten "Lazy" (man achte mal auf den Schlußakkord des Hauptthemas und vergleiche den mit der Japan-Fassung!) und "Space Truckin'" (wo die Band um Minute 11 herum auf einmal Aram Chatschaturjans "Säbeltanz" intoniert - aber solche easter eggs kennt man von ihr ja) erreichen wir das Ende des 78minütigen Hauptsetmitschnitts auf CD 1, und jetzt könnte sich der Besitzer von "Made In Japan" natürlich wundern, denn dort gibt es noch einen siebenten Song: "Smoke On The Water". Aber wir erinnern uns: "Machine Head", auf dem dessen Studiofassung stand, war noch nicht veröffentlicht, und wie sich Ian Gillan 1993 in einem Interview im Rock Hard erinnerte, hatte die Band den Song als reinen Füller mit auf das Album gepackt, und keiner konnte ahnen, daß ausgerechnet er sich zum größten Hit der Bandgeschichte entwickeln würde. Diese Entwicklung fand logischerweise erst nach dem Albumrelease statt - ergo gab es keinen Grund, "Smoke On The Water" in die Kopenhagen-Setlist aufzunehmen, zumal sowieso schon einige Standards früherer Tage fehlten, etwa "Speed King", das in Japan dann wieder im Zugabenblock gespielt wurde. In Kopenhagen dagegen bestand der Zugabenblock, der die zweite CD eröffnet, neben der Penniman-Collins-Covernummer "Lucille" (durch Little Richard popularisiert, wie Gillan in der Ansage bemerkt) und dem Closer "Black Night", die beide auch auf der Zugaben-CD des "Made In Japan"-Re-Releases zu hören sind (wobei "Lucille" nur bei einer der drei Japan-Shows gespielt wurde, bei den beiden anderen dagegen das erwähnte "Speed King"), noch aus "Fireball".
|