www.Crossover-agm.de BILOCATE: Sudden Death Syndrome
von rls

BILOCATE: Sudden Death Syndrome   (Kolony Records)

Jordanien zählt zu den Ländern der arabischen Welt, in dem man eine Metalband gründen kann, ohne jeden Moment Gefahr zu laufen, von einem Fundamentalisten wegen unislamischer Umtriebe ins Jenseits befördert zu werden. Trotzdem liegen einer konsequenten Bandentwicklung auch hier natürlich noch genügend Steine im Weg, und es bedarf großer Anstrengungen und eines ungebrochenen Idealismus', um ihnen auszuweichen oder sie zur Seite zu rollen. Die in Amman beheimateten Bilocate können nicht nur ein Lied davon singen, vor welchen Schwierigkeiten sie stehen, wenn sie in anderen Ländern alltägliche kulturelle Aktivitäten anzupacken versuchen, also beispielsweise ein Konzert zu organisieren. Einige Mitglieder der überwiegend für arabische Verhältnisse erstaunlich stabil besetzten Band sind mittlerweile ausgewandert, was das dauerhafte Arbeiten natürlich nicht eben leichter macht. Aber immerhin haben es Bilocate mittlerweile auch zu internationaler Aufmerksamkeit gebracht, und nachdem sie ihr Debütalbum "Dysphoria" und auch "Sudden Death Syndrome" zunächst noch in Eigenregie herausbringen mußten, so haben sich sowohl für letztgenanntes als auch für dessen Nachfolger "Summoning The Bygones" europäische Lizenzpartner gefunden, die dafür sorgen, daß die jeweiligen Alben auch überregional mehr oder weniger problemlos erhältlich sind. "Summoning The Bygones" hat sich bisher nicht im Bestand des Rezensenten eingefunden, ergo soll es hier um "Sudden Death Syndrome" gehen, dessen Pressung von Kolony Records in musikalischer Hinsicht mit der Eigenproduktion, die hierzulande natürlich praktisch nicht aufzutreiben sein dürfte, identisch zu sein scheint, so daß ihr Erwerb genügt, wenn man nun nicht gerade fanatischer Sammler von arabischen Metal-Raritäten ist.
Wer sollte nun aber an den Erwerb von "Sudden Death Syndrome" denken? Man könnte es sich einfach machen und "Opeth-Fans!" schreiben, womit man durchaus nicht falsch liegt, aber die Jordanier zu Kopisten der Schweden zu stempeln droht, und das haben sie nun auch wieder nicht verdient, obwohl generelle Parallelen natürlich nicht zu verkennen sind. Beide Bands haben eine Basis im Death Metal epischerer Prägung, verlassen diese aber oft und gerne. Bilocate gehen dabei unterm Strich etwas langsamer, also doomlastiger zu Werke, obwohl sie durchaus auch etwas zügigere Stücke im Repertoire haben, wie "Inoculate" oder "The Dead Sea" beweisen, wobei letzteres allerdings im Hauptsolo auch wieder nach unten schaltet, diese Verschleppung indes mit einem schnellen Knüppelpart gleich im Anschluß wieder kompensiert. Was es bei Bilocate nicht gibt, sind die bei Opeth mittlerweile sogar die Hauptmasse darstellenden Siebziger-Rock-Elemente, und auch die Keyboards von Waseem EsSayed tendieren weniger in diese Richtung, sondern legen entweder Streicherteppiche, schalten auf klassisches Klavier um oder tun das, was My Dying Bride in den Frühneunzigern taten. Hinzu tritt als originär arabische Zutat die Oud, also die arabische Knickhalslaute, die von Gitarrist Baha' Farah gelegentlich eingebracht wird und in Zusammenhang mit mancherlei typisch nahöstlich anmutenden Melodiebögen das exotische Flair einbringt, das Bilocate für nichtarabische Hörer so interessant macht, wobei in der Gesamtbetrachtung allerdings stets der Metal im Mittelpunkt steht und durch die arabischen Elemente nur seine band- oder zumindest regionentypische Prägung erfährt, wenngleich man mit solchen Einschätzungen bekannterweise immer vorsichtig sein muß, um nicht in einen Kulturkolonialismus abzugleiten, denn umgekehrt baut ja auch nicht jede deutsche Metalband nun typische deutsche Musikelemente wie Märsche oder bayrische Jodler ein. Bleiben wir also bei den Fakten: Was es bei Bilocate nicht gibt, ist Klargesang, wie ihn My Dying Bride und Opeth schrittweise immer stärker einzubauen begannen. Aus der Kehle von Ramzi EsSayed hingegen dringt ausschließlich finsteres Gegrolle in durchaus unterschiedlichen Stimmlagen, das nur an sehr wenigen Stellen, etwa in "Ebtehal" oder "Pure Wicked Sins", durch kurze gesprochene Passagen eine Flankierung erfährt. Was uns der Sänger zu verkünden hat, ist freilich auch viel Düsteres - so illustriert das erwähnte "Ebtehal" die Verzweiflung einer Mutter, deren Neugeborenes in einem bürgerkriegsartigen Szenario ums Leben gekommen ist. Parallelen zu realen Geschehnissen in der arabischen Welt sind sicherlich nicht zufällig, obwohl "Sudden Death Syndrome" original bereits 2007/2008 eingespielt worden ist, als das, was man heutzutage euphemistisch den "Arabischen Frühling" zu nennen pflegt, noch lange nicht auf der Tagesordnung stand. Mit knapp zehn Minuten ist "Ebtehal" der zweitlängste Song auf "Sudden Death Syndrome", während die siebzehn Minuten von "Bloodred Forest" dem zweiminütigen, gekonnt in die musikalische Welt des Albums einführenden und nicht wie in vielen ähnlichen Fällen lediglich Alibifunktion ausübenden Intro "Humans & The Dark Affiliation" auf dem Fuß folgen, aufgrund des geschickten Arrangements allerdings keineswegs langweilig werden. Trotzdem beweist diese Position den Mut des Sextetts, dem Hörer gleich so einen Brocken vorzusetzen und ihm das hohe Anspruchsniveau des zwar jederzeit ideenseitig gut nachzuvollziehenden, aber doch recht komplex arrangierten 51minütigen Albums gleich zu Beginn klarzumachen. Wer noch weitere Vergleichsbands braucht, dem sei gesagt, daß man sich "Pure Wicked Sins" durchaus auch auf dem Tristania-Debüt "Widow's Weeds" vorstellen könnte, wenngleich hier natürlich Vibeke Stenes Gesang und Pete Johansens Geige fehlen. Die libanesischen Nachbarn von Kimaera sind musikalisch hier und da auch nicht gerade hinter den sieben Bergen anzusiedeln, die Ägypter Odious passen ebenso ins Bild, und mit Orphaned Land wird sowieso jede nahöstliche Metalband irgendwie verglichen. Das durchschnittlich schnellste der sieben Stücke, "Inoculate", wiederum sei dem Freund komplex-orchestralen Death Metals als Hörprobe ans Herz gelegt - wer Edge Of Sanity mag, wird hier sicherlich glücklich. Interessanterweise ist Dan Swanö dann auf dem Folgealbum auch als Gastsänger zu hören. In welche Richtung die Entwicklung auf besagtem Folgealbum weitergegangen ist, kann der Rezensent noch nicht bekanntgeben, aber auch "Sudden Death Syndrome" lohnt den Erwerb unbedingt, nicht nur, weil man damit einer Band, die es strukturell eher schwer hat, hilft, sondern auch aus rein musikalischen Gründen.
Kontakt: www.bilocate.net, www.kolonyrecords.com

Tracklist:
Humans & The Dark Affiliation
Bloodred Forest
The Dead Sea
Ebtehal
Inoculate
Pure Wicked Sins
The Stone Of Hate



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