www.Crossover-agm.de ALMORA: Kiyamet Senfonisi
von rls

ALMORA: Kiyamet Senfonisi   (Eznora Music)

Nightwish kennt man natürlich auch in der Türkei, und wenn von dort dann auch noch eine Band kommt, die den SkandinavierInnen zumindest ansatzweise ähnlich klingt, ist man in der Musikwelt schnell dabei, hier einen simplen Abklatsch zu diagnostizieren. Das ist natürlich kompletter Unsinn, denn ein etwas genaueres Hinhören in den 47 Minuten von "Kiyamet Senfonisi" kann, wenn man denn will, zu deutlich differenzierteren Ergebnissen führen. Zunächst ist festzuhalten, daß sich Almora tatsächlich im gleichen metallischen Subgenre aufhalten wie Nightwish - man bekommt also weiblich gefronteten Melodic Metal mit gewissem Klassikeinschlag geboten. Aber damit hat es sich auch schon fast mit den konkreten Vergleichen, was die musikalische Komponente angeht, obwohl sich strukturell doch ein paar erstaunliche Parallelen auftun. Gehen wir mal der Reihe nach durch. Sängerin Duygu Sahin liegt witzigerweise irgendwo in einer imaginären Mitte von Tarja Turunen und Anette Olzon, und wer diese beiden Stimmen kennt, der weiß, daß es hier argumentativ nicht um Kopismus, sondern nur um eine Durchschnittsbildung gehen kann. Nächster Punkt: Das Orchester ist hier nicht echt, sondern kommt finanzbedingt aus der Konserve, allerdings sind einige Gastmusiker am Start, beispielsweise Bilge Kocaarslan an der Flöte und in "Tilsim" auch am Frontmikro, wo man dann auch herausbekommt, daß sich hinter diesem Namen eine Frau verbirgt (deren Gesang übrigens noch durch einen ganz leichten Verzerrer gejagt wurde, wie er westlich des Eisernen Vorhangs seit der NDW kaum noch gehört wurde). Männlichen Gesang gibt es gasthalber im Song "Iyiler Siyah Giyer", allerdings keine rauhe Hietala-Stimme oder gar wildes tiefes Gebrüll, wie man es weiland auf "Oceanborn" hören konnte, sondern eine gedeckte, nur leicht angerauhte Stimme in mittleren Lagen, die ein klein bißchen an Grzegorz Kupczyk erinnert und bei der man ohne einen Blick ins Booklet wohl kaum auf die Idee gekommen wäre, daß sie zu Ogün Sanlisoy gehört, der das in den frühen Neunzigern erschienene "Trail Blazer"-Album von (The) Pentagram noch deutlich rauher eingesungen hatte und seither eine in der Türkei äußerst erfolgreiche Solokarriere fährt. Auch Almora besitzen in ihrer Heimat schon einen gewichtigen Status innerhalb der Szene - "Kiyamet Senfonisi" ist immerhin bereits ihr fünftes Album innerhalb von sieben Jahren, und sie musizieren generell massenkompatibel genug, um den gemeinen weiblichen türkischen Teenie nicht zu verschrecken, aber wiederum nicht seicht genug, um den Metaller in die verzweifelte "Ich will aber Metal"-Depression zu treiben. Insofern könnte ihnen der Zielgruppenspagat Nightwishs in analoger Weise gelingen bzw. in ihrer Heimat schon gelungen sein. Freilich: Sie singen in Türkisch, und das ruft bei der derzeitigen Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland noch beim überwiegenden Teil der Menschen Verständnisschwierigkeiten hervor. Auch der Eingängigkeitsgrad ihrer neun Kompositionen liegt geringfügig unter dem der Nightwish-Äquivalente, obwohl ihnen gerade mit dem doomigen "Sonbahar" quasi die perfekte Kreuzung aus Nightwish und Tristania gelungen ist, großer Refrain inclusive, allerdings auch die wohl höchsten Vocals der Scheibe und damit für manchen Hörer schon wieder zuviel des Guten. Auch der schleppende Titeltrack hat irgendwas, was viele Mitbewerber um den Operatic-Thron nicht haben, was sich aber nicht genau festmachen läßt. Dafür scheint ein weiterer Unterschied zu Nightwish durch: Die Melodien, die Alleinkomponist Soner Canözer zusammenschraubt, unterscheiden sich deutlich von denen aus der Holopainen-Schmiede - hier kommen einem als Geistesverwandte eher Kessier Hsu von Seraphim oder ab und zu auch Lanvall von Edenbridge in den Sinn. Zudem findet man bei Almora, vom Opener "Ay Isigi Savascisi" mal abgesehen, kaum Chöre, statt dessen dominieren klar die Leadvocals, auch die Backings treten stark in den Hintergrund. Stichwort Dominanz: Bei Soner steht in der Aufzählung seiner Kompetenzen "Gitar" an erster Stelle vor "Piyano" und "Orkestrasyon" - er denkt also offensichtlich auch stärker von der Gitarre aus als Herr Holopainen, und das hört man dann zumindest hier und da auch, selbst wenn die Tasten auch in den härteren Songs wie "Rüzgarin Kizi" omnipräsent bleiben und in selbigem in Tateinheit mit der Flöte sogar für die prägende, in diesem Fall mal keltisch inspirierte Hauptmelodie sorgen. Wer übrigens nahöstliche Melodieelemente erwartet, der wird weitestgehend leer ausgehen - statt dessen findet man gleich im Opener "Ay Isigi Savascisi" eine kleine bewußte oder unbewußte harmonische Verbeugung vor Iron Butterflys "In-A-Gadda-Da-Vida". Ansonsten bleiben direkte Zitate im Prinzip aus, wenn man mal davon absieht, daß "Satilik Kraller" gleich zu Beginn ein Thema aus "Rüzgarin Kizi" nochmal verarbeitet - die Songs stehen auch noch direkt hintereinander, gehen allerdings nicht ineinander über, sondern sind auch noch durch einen sehr deutlichen Unterschied im Soundgewand voneinander getrennt. Ob die Themenparallele eine inhaltliche Bedeutung hat, kann der Rezensent leider nicht entschlüsseln, denn auch die zweiseitigen Liner Notes im Booklet sind in Türkisch abgefaßt. Aber nochmal zum Sound: Der ist so ein bißchen das Problem der CD, denn man hört der Aufnahme schon den schmalen Geldbeutel an. Zwar ist alles sauber durchhörbar, aber der generelle Pegel liegt erstaunlich niedrig. An meiner Anlage muß ich zwei bis drei Stufen lauter aufdrehen, um auf Nightwish-Level zu kommen, und selbst dann wirkt manches bombastische Arrangement ein wenig blutarm oder "leer". Gut, das Orchester ist wie erwähnt künstlich, und auch ein achtbarer Szenestatus in der Türkei verhilft nicht automatisch zu gut gefüllten Schatullen, aber im Zeitalter der Globalisierung legt man eben auch an "exotischere" Bands höhere Maßstäbe an. Aber solange dies das einzige Problem ist, wollen wir uns nicht beklagen, sondern uns über die Entdeckung einer Band freuen, die ausgezeichnete Songs schreibt, diese professionell umsetzt und für all diejenigen von Interesse sein könnte, welche die Entwicklung Nightwishs zu immer mehr Komplexität nicht mitgehen wollen, aber beispielsweise Evanescence zu "neumetallisch" finden. Und: "Kiyamet Senfonisi" ist eine der Platten, die "wachsen", beim ersten Hören vielleicht noch durchrauschen, aber mit jedem neuen Hördurchlauf mehr Reize preisgeben und sich so zu einer Art Dauerbrenner entwickeln. Das freut den entdeckungslustigen Musikfreund von heute, und dieser tut Gutes daran, sich besagten Silberling zu holen. Dafür kann man entweder in die Türkei reisen oder mal bei www.karthagorecords.de nachfragen, ob dort noch welche vorrätig sind.
Kontakt: www.almora.net

Tracklist:
Ay Isigi Savascisi
Kiyamet Senfonisi
Iyiler Siyah Giyer
Su Masali
Sonbahar
Tilsim
Rüzgarin Kizi
Satilik Krallar
Gidenlerin Ardindan



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