www.Crossover-agm.de PENTAGRAM: 1987
von rls

PENTAGRAM: 1987   (Sony BMG Türkiye)

Das hier sind nicht die legendären amerikanischen Doom Metaller um Bobby Liebling (die anno 1987 erst ihr zweites Album herausbrachten, nachdem sie immerhin schon seit den frühen Siebzigern existiert hatten), auch nicht die gleichnamigen Inder oder die Chilenen, sondern die türkischen Namensvettern, bei denen 1987 das Gründungsjahr markiert - die so betitelte Doppel-CD enthält nun aber nicht etwa frühe Demoaufnahmen, wie man mutmaßen könnte, sondern einen Mitschnitt eines ohrenscheinlich und nach den Fotos im Booklet zu urteilen stark besuchten Konzertes, dessen Ort und Datum das Booklet leider nicht bekanntgibt, so daß es lediglich eine Vermutung bleibt, daß es sich vielleicht um das Jubiläumskonzert zum 20jährigen Bandbestehen handeln könnte. Für diese Vermutung spricht der sehr lange Set von 24 Songs in knapp zwei Stunden, und auch die Tatsache, daß Ogün Sanlisoy, der das 92er Album "Trail Blazer" eingesungen hatte und mittlerweile eine sehr erfolgreiche Solokarriere fährt, hier bei zwei Songs als Gastsänger auf der Bühne erscheint, läßt irgendeinen speziellen Event vermuten, ebenso wie der Fakt, daß Sony BMG Türkiye im April 2008 den kompletten Backkatalog der Band, partiell mit Bonustracks garniert, wiederveröffentlicht hat (das selbstbetitelte 90er Debüt war damals offenbar nur als Kassette erschienen - wer besaß 1990 in der Türkei schon einen CD-Player?). Außerhalb seiner Heimat ist das Quintett wohl die bekannteste türkische Metalband, was aber auch zu namensrechtlichen Problemen führte, obwohl sie phasenweise unter The Pentagram firmierten. So erschien das 2001er Album "Unspoken" im Rest der Welt unter dem Bandnamen Mezarkabul, während man im eigenen Land bis heute unter Pentagram arbeitet und unter diesem Namen auch bei den Fans bekannt ist, wie die Sprechchöre zwischen den Songs beweisen. Drei der fünf Studioalben sind auch außerhalb der Türkei veröffentlicht worden, neben besagtem "Unspoken" noch das ebenfalls bereits genannte "Trail Blazer" (das Nuclear Blast zwei Jahre nach seiner Originalveröffentlichung, die wieder nur als Kassette erfolgt war, als CD herausbrachten, allerdings den elften Track der Kassette wegließen, nämlich das Sex Pistols-Cover "Holidays In The Sun" - warum auch immer) und "Anatolia" von 1997, das bei Century Media erschien. Nach "Anatolia" kam zudem das erste Livealbum heraus, für das bislang aktuellste Studioalbum "Bir" von 2002 fand sich allerdings keine Firma, die für eine Veröffentlichung außerhalb der Grenzen der Türkei gesorgt hätte, und auch vorliegendes zweites Livealbum (parallel auch als DVD mit identischer Tracklist erschienen) kommt zwar in der Türkei bei einem Majorlabel heraus, dürfte aber außerhalb des Mutterlandes nur über den Importweg erhältlich sein (oder man schaut halt mal wie der Rezensent in Ankara im Buch-/CD-Shop auf dem Flughafen nach ...). Das ist schade - gerade die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland hätte eigentlich über jede Gelegenheit froh sein müssen, kulturelle Schnipsel ihrer Heimat auch hierzulande problemlos erwerben zu können, aber die Tatsache, daß jedes der drei erwähnten Alben bei einem anderen Label erschienen ist, läßt eher geringe Verkaufszahlen vermuten (eine ähnliche Situation gibt es ja auch bezüglich russischem Metal in Deutschland). Aber auch der Rest der Metalfans hat offenbar verschlafen, daß hier eine Band am Start ist, die geeignet ist, die oftmals (und nicht zu Unrecht) beklagte Tatsache der Innovationslosigkeit und Selbstkopiererei der neuzeitlichen Metalszene an ihrem eigenen Beispiel auszuhebeln, ohne sich dabei aber in gar zu exotische und kaum noch nachvollziehbare musikalische Gefilde zu bewegen. Pentagram begannen einstmals als Thrashband, waren aber spätestens mit "Anatolia" in einer originellen Sparte des Power Metal angekommen, der zahlreiche musikalische Einflüsse aus Kleinasien aufwies, sowohl in der Wahl der Instrumente (von 1997 bis 2004 hatte die Band mit Ilhan Barutcu sogar einen festen Ney-Spieler in der Besetzung, also einen Flötisten) als auch in der Melodik und der Rhythmik, was besonders bei letztgenannter zu für das normale mitteleuropäische Musikgehirn oftmals etwas komplizierter nachvollziehbaren Strukturen führte (man höre sich nur mal "For The One Unchanging" an). Das bedeutete, daß man sich schon etwas intensiver mit dem Material beschäftigen muß, und diese Zeit und Intensität wollten viele Metaller offensichtlich nicht aufbringen. Das sieht in der Türkei selbstredend anders aus, denn dort stellt die Band eine Art metallisches Nationalheiligtum dar, zudem ein äußerst beständiges - die Rhythmusgruppe ist seit der Bandgründung dabei, und auch Gitarrist Hakan Utangac ist auf allen Alben zu hören (vor Ogün Sanlisoys Einstieg 1992 auch noch am Frontmikro stehend); die derzeitige Besetzung spielt im Prinzip seit 2001 zusammen, zwischenzeitlich lediglich durch den Ausstieg Ilhan Barutcus vom Sextett zum Quintett schrumpfend. Dementsprechend nehmen die kleinasiatischen Elemente auf vorliegendem Livedokument einen etwas zurückgesetzten Rahmen ein - von den drei genannten Komponenten fällt die Instrumentierung weg (außer dem Ex-Sänger sind keine weiteren Gäste dabei), und es verbleiben nur die Melodik und die Rhythmik, aber die deutlich genug, um auch "1987" für den Stromlinienmetaller nichttürkischer Herkunft zu einem recht schweren Brocken zu machen. Aber selbst der dürfte zumindest an den alten Songs Gefallen finden können, von denen "Powerstage" und "Rotten Dogs", die beiden einzigen Beiträge vom Debütalbum, kurz vor Ende von CD 1 unmittelbar nacheinander plaziert wurden und einen kantigen Thrashbrocken mit für die Gesamtverhältnisse der Band recht schnellem Geknüppel markieren. Der seit "Anatolia" in der Band befindliche Sänger Murat Ilkan, sonst eher eine mäßig hohe, leicht epische wirkende Power Metal-Stimme ins Feld führend (der große J.D. Kimball von Omen schimmert manchmal durch, bisweilen auch Mike Scalzi von The Lord Weird Slough Feg, und in "G.S.T.K.P." oder ausgeschrieben "Give Me Something To Kill The Pain" glaubt man phasenweise gar Bruce Dickinson zu hören, ebenso in "Lions In A Cage"), brüllt hier relativ rabiat ins Mikro und unterstreicht damit seine Vielseitigkeit - sofern er es ist und nicht Hakan Utangac hier nochmal singt, da er ja auch die Studiofassungen eingesungen hatte (Besitzer der DVD werden dieses Rätsel problemlos lösen können). Für Murat spräche, daß "Bu Alemi Gören Sensin", vom 2002er "Bir"-Album stammend und in der Setlist gleich nach "Rotten Dogs" plaziert, in den Strophen ebenfalls herzhaftes Gebrüll recht tiefer rauher Stimmlage beinhaltet, das aber mit einem etwas klareren, leicht ätherisch wirkenden Refrain koppelt, somit eine Art Bindeglied zwischen diesem Song und anderen neueren, die lediglich Cleangesang auffahren, darstellt. Temposeitig geht die Band wie erwähnt kaum über mittlere Lagen hinaus, aber diese sind sehr variabel gestaltet; auch vor schleppenden Passagen schreckt man nicht zurück (höre etwa "Unspoken" oder "Dark Is The Sunlight"), ohne aber etwa die Gefilde der amerikanischen Namensvettern aufzusuchen. Selbige fahren bekanntlich völlig auf dem Retrozug, während das türkische Quintett zwar offensichtlich auch aus lauter Traditionalisten besteht, aber durch die Erweiterung um kleinasiatische Traditionen außerhalb dieses Kulturkreises schon wieder als progressiv im Sinne von fortschrittlich durchgeht. Auch der Sound ist durchaus zeitgemäß zu nennen und bis auf die in manchen Soli etwas untergebutterten Leadgitarren (in "Dark Is The Sunlight" ist das ja so gedacht, daß man da zunächst ohne Rhythmusgitarre auskommt, weil der mittlere Soloteil Twinguitars beinhaltet, aber sobald dieser Part aufhört, bemerkt man deutlich, daß die wieder einsetzende Rhythmusgitarre etwas untergeht) auf einem guten Niveau, auch was die Hörbarkeit der Publikumsreaktionen angeht. Die sind bei "Anatolia" übrigens am frenetischsten, wo die ganze Halle den Text der Strophen mitsingt, was aufgrund deren zurückhaltender Instrumentierung gut durchhörbar ist. Von der Setlist her folgen dem Intro "Gordian Knot" erstmal drei neue Songs, bis mit "No One Wins The Fight" der erste Oldie von "Trail Blazer" ausgepackt wird. Von da an geht's bunt durch den Gemüsegarten der fünf Alben, wobei das erste wie erwähnt nur den thrashigen Zweierblock stellt. "Trail Blazer" kommt dreimal zum Zuge, wobei "Secret Missile" der eine der beiden Songs ist, die der stürmisch bejubelte Ogün Sanlisoy mit einer phasenweise relativ rauhen, an eine tiefergelegte Mixtur aus Overkill-Blitz und Rage-Peavy erinnernden Stimme als Gast singt - der andere ist "Bir" vom gleichnamigen Album, das (obwohl immer noch aktuellstes) inclusive des "Tigris"-Intros lediglich fünfmal berücksichtigt wurde, während der Vorgänger "Unspoken" eine Nennung mehr erfährt und auch "Anatolia" mit sechs Songs zu Buche schlägt. Dazu kommt noch mit dem sehr epischen Closer "For Those Who Died Alone" ein Song, der original sowohl auf "Unspoken" als auch auf "Bir" steht, hier allerdings fast nach einer Studioergänzung klingt, nicht nur wegen der verwendeten kleinasiatischen Instrumente (man denkt ans Prinzip von Manowars "The Crown And The Ring"). So wird ein hochklassiges Livedokument einer sehr interessanten Band (sowohl musikalisch als auch textlich, nachdem sie sich von den frühen Pseudolyrics, die dann auch noch mit Songtiteln wie "Metal Not Dead" verschönert wurden, emanzipiert hatten) abgerundet. Deren Entdeckung ist gegenüber früher zwar etwas erschwert, da es "Bir" und "1987" sowie auch die ganzen Re-Releases des laufenden Jahres regulär ja nur in der Türkei gibt, aber angesichts der Beliebtheit der Türkei als Reiseland und der Popularität der Band in ihrem Heimatland sollte sich auf diesem Weg durchaus die eine oder andere Chance bieten, und ansonsten gibt es sicher auch noch den einen oder anderen gut sortierten deutschen Importhändler, bei dem man die CD bekommen kann, ohne erst in die Türkei reisen zu müssen.
Kontakt: www.sonybmg.com.tr

Tracklist:
CD 1:
Gordians Knot
In Esir Like An Eagle
Unspoken
Seytan Bunun Neresinde
No One Wins The Fight
This Too Will Pass
1000 In The Eastland
For The One Unchanging
Vita Es Morte
Anatolia
Powerstage
Rotten Dogs
Bu Alemi Gören Sensin

CD 2:
Dark Is The Sunlight
Take My Time
Ölümlü
G.S.T.K.P.
Secret Missile
Tigris
Bir
Lions In A Cage
Behind The Veil
Gündüz Gece
For Those Who Died Alone
 




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