www.Crossover-agm.de
Moonspell, The Foreshadowing, Eleine   13.10.2016   Leipzig, Hellraiser
von rls

Knappe 20 Jahre ist's her, als Moonspell, die damals gerade ihren Zweitling "Irreligious" veröffentlicht hatten, in Leipzig im Haus Auensee spielten und der heutige Rezensent sie zum ersten und bisher auch einzigen Mal live erlebte. Man schrieb damals Dezember 1996, und Headliner waren keine Geringeren als Type O Negative. Ob der Soundmensch des Konzertes im Oktober 2016 im Hellraiser als bewußte Reminiszenz in der ersten Umbaupause Songs von "Bloody Kisses" und in der zweiten einen von "October Rust", das anno 1996 das aktuellste Album gewesen war, spielt?
Wie dem auch sei, 20.15 ist als etwas ungewöhnliche Konzertanstoßzeit publik gemacht worden, und als der Rezensent 20.20 Uhr eintrifft, erklingt bereits Musik von der Bühne. Die stammt, so wird schnell klar, nicht von The Foreshadowing, sondern von einer unangekündigten dritten Band, die offensichtlich schon früher auf die Bretter geschickt wurde, denn es läuft, wie sich herausstellt, bereits der vorletzte Song, so daß die folgenden Ausführungen allein auf den letzten anderthalb Songs beruhen, wobei der letzte, "Break Take Live", die jüngste (dritte) Single aus dem selbstbetitelten 2015er Debütalbum von Eleine darstellt. Eleine ist zugleich das Pseudonym der mit langer dunkler Mähne eher südländisch als schwedisch aussehenden und bürgerlich Madeleine Liljestam heißenden Frontfrau, die mit einem knappen Top, etlichen Tätowierungen und einer Art Schmuckumhang um die Hüften eine eigentümliche Optik auffährt, es allerdings keinswegs nötig hat, mit optischen Mitteln, zu denen auch ihre schlangentanzähnlichen Bewegungen zu rechnen sind, etwa von stimmlichen Schwächen abzulenken - sie besitzt eine gute hohe, kräftige und treffsichere Stimme. Die vier begleitenden Herren erzeugen dazu sinfonisch angehauchten Gothic Metal der klassischen "Beauty And The Beast"-Struktur, wobei die Growls vom Gitarristen kommen und eher mäßig aggressiv ausfallen. Die anderthalb Songs bewegen sich in mittleren Tempolagen, der genannte Closer wird aber im Finale richtig schnell, bleibt aber trotzdem akustisch problemlos nachvollziehbar - der Sound ist überraschend leise, aber trotzdem energisch genug und vor allem schön klar. Für viel mehr als Höflichkeitsapplaus reicht's aber trotzdem nicht, zumal Eleine kaum jemand der Anwesenden kennt - und Anwesende gibt's sowieso nicht so sehr viele: Der Club ist überraschenderweise nicht mal zur Hälfte gefüllt. Gut, es ist Donnerstag, und Rockkonzerte an Wochentagen sind im Osten grundsätzlich schwierig, aber etwa Epica haben den gleichen Club anno 2015 auch an einem Montag komplett vollbekommen.
Die Umbaupause ist kurz - gut für alle, die einen zügigen Konzertablauf lieben, aber in dem Falle mal schlecht für alle Nostalgiker, die gerne noch mehr Type O Negative gehört hätten. The Foreshadowing starten mit einem langen orchestralen Intro, bevor sie losdoomen. Frühe Anathema werden bisweilen als Referenzgröße angegeben, aber das ist zweifelhaft und läßt sich allenfalls auf die Harmonik in "Lovelorn Rhapsody" beziehen. Wenn man schon eine britische Band nennen will, dann My Dying Bride in den Mittneunzigern, aber ohne Geige - die Melodiestrukturen von The Foreshadowing lassen die eine oder andere diesbezügliche Reminiszenz anklingen, verraten aber viel eher die italienische Herkunft der Band, so daß sich das Sextett in einer imaginären Schnittmenge aus MDB und Acts wie Klimt 1918 wiederfindet, zumal es auch keineswegs auf konsequente Kriechgeschwindigkeit setzt, sondern meist irgendwo im unteren Midtempo herumkraucht, dabei aber durchaus einen Sinn für Vielseitigkeit besitzt. Gerade die Gitarrenharmonien hätte man aber gerne noch viel deutlicher gehört - der Sound wird lauter, aber damit leider auch verwaschener, obwohl nach gewissen Anlaufschwierigkeiten doch noch eine gewisse Transparenz hergestellt werden kann, die alle Komponenten der Band zumindest halbwegs durchhörbar macht - und da sind neben zwei Gitarristen und der Rhythmusgruppe auch noch der Sänger, ein Keyboarder sowie die Zweitstimme des letzteren abzumischen. Beide Vokalisten befleißigen sich übrigens des Klargesangs und machen ihre Sache auch richtig gut, was nicht jeder im Publikum so sieht: Links hinter dem Rezensenten wünscht sich jemand, der Sänger solle ihn mal richtig anbrüllen. Das tut selbiger nur einmal, nämlich in "17", einem Song, der aufgrund seines seltsamen schwingenden Rhythmus, in den allerdings ein für die Band typischer hymnischer Refrain eingepflanzt ist, sowieso aus der Rolle fällt. Ansonsten mischen die Italiener im Acht-Song-Set Nummern all ihrer Alben, berücksichtigen mit "Departure" auch ihr Debüt und landen mit dem Titeltrack des Zweitlings "Oionos" die neben "17", das vom aktuellen Album stammt, markanteste Nummer, bevor zum Schluß "Havoc" nochmal aus der stilistischen Rolle fällt und rifftechnisch wie rhythmusseitig Sepultura-Anklänge aus der "Chaos A.D."-Phase mit dem typischen Gothic Metal der Band mischt. Überwältigende Publikumsreaktionen kann man mit so einem Sound als weitgehend unbekannte Band natürlich auch kaum ernten, aber Leipzig zeigt sich doch einigermaßen aufgeschlossen, und das weibliche Wesen rechts neben dem Rezensenten, das kurioserweise aussieht wie eine weibliche Ausgabe von Disillusion-Drummer Jens Maluschka, formuliert sogar andächtig etliche der Texte mit.
Setlist The Foreshadowing:
Fall Of Heroes
Two Horizons
New Babylon
The Forsaken Son
Oionos
17
Departure
Havoc

Moonspell betouren ihr 2015er Album "Extinct", haben die an diesem Abend zu Ende gehende Tour folgerichtig "Road To Extinction" getauft und spielen erwartungsgemäß auch eine ganze Anzahl Songs von ebenjenem Album, dessen Studiofassung dem Rezensenten bisher noch nicht geläufig ist, das aber scheinbar den Gothic-Elementen wieder ein klein wenig mehr Raum gibt als den Metal-Parts, die indes nach wie vor tragende Rollen spielen, wenngleich nicht ganz so große wie im Titeltrack von "Night Eternal", der wohl härtesten Nummer des Sets. Leider steht sie in selbigem an Nummer 3, dann kommt der "Irreligious"-Opener "Opium", und erst dann nimmt der Soundmensch das Motto des nun folgenden "Awake!" wörtlich, denn urplötzlich ist der Sound zwar immer noch überlaut, aber klar strukturiert und damit viel beglückender als in den ersten Nummern, wo ein ohrenbetäubendes Gemisch aus Drums, Keyboards, Gesang und einer undefinierbaren Geräuschwand die Laune nachhaltig zu verderben drohte. Diese Gefahr ist mit "Awake!" glücklicherweise abgewendet, und auch für den Rest des Abends bleibt der Sound klar, wenngleich (direkt vor dem Mischpult stehend!) immer noch so laut, daß die Ohrstöpsel zum rettenden Utensil werden. Speziell Fernandos Gesang hört man sehr gut und kann feststellen, daß der Moonspell-Frontmann auch am letzten Tourtag immer noch exzellent bei Stimme ist und die zahlreichen Wechsel von Klar- in Extremlagen perfekt meistert. Kuriosum: Er sagt viele der Songs an - aber nicht vor-, sondern hinterher: "This was 'Everything Invaded' from 'The Antidote' album", was der Rezensent in dieser Form auch selten gehört hat. (Noch ein Kuriosum am Rande, was der Rezensent in seinem ganzen Vierteljahrhundert Konzertpraxis noch nicht erlebt hat: In der Umbaupause läuft ein Kätzchen durch die Konzerthalle.) Viel Raum für Songs mit einem Entstehungsdatum zwischen 1996 und 2015 bleibt indes nicht: Zwar nutzen Moonspell die mit Eleines Anwesenheit gegebene Möglichkeit, die Duettstruktur von "Scorpion Flower" auf die Bühne zu bringen, aber das Gros der Songs stammt entweder vom neuen Album oder von den beiden Erstlingen, die gute Teile der Anhängerschaft nach wie vor am höchsten einschätzen, wobei der Rezensent das epische "Wolfheart"-Debüt gegenüber dem sehr kompakten "Irreligious" deutlich vorzieht. Zweimal darf er sich über Debütmaterial freuen - und meine Güte, wie groß ist (trotz seiner simplen Struktur) doch das Finale von "Vampiria"! "Alma Mater" beschließt erwartungsgemäß den Set, aber für drei Songs kehren die Portugiesen nochmal auf die Bühne zurück. Vor "The Future Is Dark" bedankt sich der stets freundliche und gut gelaunte Fernando bei allen, die zum Konzert gekommen sind und am Folgetag zur Schule oder arbeiten gehen müssen (auch das Wesen neben dem Rezensenten verschwindet schon vor Ende des Hauptsets), während im Song selbst Kunstschnee auf Gitarrist Ricardo herabrieselt (auch ein Könner seines Fachs, wie man an diesem Abend wieder einmal feststellen darf - aber auch die anderen drei Bandmitglieder wissen zu überzeugen), bevor mit "Full Moon Madness" ein letztes Mal der majestätische Gothic Metal regiert. Dann ist Schluß - nicht nur des Konzertes, sondern auch der Tour, so daß alle Musiker (die unisono betonen, daß man sich prima verstanden habe) nochmal auf der Bühne erscheinen und das Ganze mit Umarmungs- und Schulterklopforgien in den gemütlichen Teil übergeht. Wenn halt nur der Soundmensch die richtigen Einstellungen schon früher gefunden hätte ... Aber ein sehr positiver Eindruck bleibt trotzdem zurück.
Setlist Moonspell:
Breathe (Until We Are No More)
Extinct
Night Eternal
Opium
Awake!
The Last Of Us
Nocturna
Ruin & Misery
Scorpion Flower
Malignia
Herr Spiegelmann
Vampiria
Ataegina
Alma Mater
---
Everything Invaded
The Future Is Dark
Full Moon Madness



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver