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Disillusion, TOTL XS. CTRL   04.12.2015   Leipzig, Werk 2
von ta

Ich bin noch immer so geplättet, dass nur strukturloses Stichwortbingo geht.

Treppenwitz. Von denen gab es die letzten Jahre zwei zu Disillusion. Der erste liest sich "Disillusion suchen einen neuen Bassisten" und hat einen Bart, der bis in die Gründungstage der Band zurückreicht. Und was soll ich sagen? Disillusion präsentieren im Werk 2 einen neuen Bassisten: Djon heißt er, spielen tut er natürlich top, sympathisch und zurückhaltend wirkt er, womit er sich optisch, akustisch und überhaupt perfekt ins Bandkollektiv einfügt. Witz Nummer zwei: Disillusion arbeiten an einem Nachfolger zu "Gloria". Der ist noch nicht ganz so alt, aber problemlos bis ins Jahr 2008 zurück verfolgbar. Und er wird natürlich auch im Vorfeld dieses Konzerts ausgepackt. Der Band nahestehende Quellen raunen sogar was von "neuer Song". Aber wer das glaubt, muss inzwischen arg naiv sein, oder?

Trotzdem - allein die Ankündigung elektrisiert. Und macht Angst. Meine Damen und Herren, es ist Zeit für etwas Heiligenschändung: Wir schreiben das Jahr 2015 und ich finde "Gloria" besser als "Back To Times Of Splendour". Das muss doch in Deutschland mal gesagt werden dürfen. Und weil Andy Schmidt in den letzten Jahren durchaus eine kritische Distanz zu "Gloria" aufgebaut hat, ängstigt mich die fixe Idee, der Nachfolger von "Gloria" würde back to times of splendour gehen. Mit dieser Idee im Hinterkopf stehe ich angespannt in der zweiten Reihe und dann gibt es mitten im Konzert diesen Moment, wo der Mainman plötzlich die Worte "neues Stück" in den Mund nimmt, wo ein spürbares Raunen durch die Menge geht und wo Schmidts Augen verraten, dass er noch viel mehr Schiss hat als ich und als jeder andere im Raum. Ruhig durchatmen. Für eine Sekunde steht die Welt still. Und dann zeigen Disillusion elf Minuten lang, wo sie neun Jahre nach "Gloria" stehen und ich könnte nur noch heulen - vor Freude. "Alea" ist weder "Back to ...", Teil II, noch "Gloria", Teil II, sondern wieder etwas anderes, ruhiger als zuletzt und wärmer, von einem hypnotischen Gitarrenmantra durchzogen und auf eine unterschwellige Weise komplex arrangiert. Dem Charakter nach typisch Disillusion, voller Mut und Tiefe, dem Stil nach frisch und unverbraucht, was ja auch wieder irgendwie typisch Disillusion ist. Oder ganz kurz: U-n-g-l-a-u-b-l-i-c-h. Der Flash ist derart gewaltig, dass ich mit dem letzten Ton des Stücks wie paralysiert bin, während die Menge um mich in einen ohrenzerberstenden Jubel ausbricht, der den fassungslosen Sänger irgendwas zwischen "Dankedankedanke" und "Ihr glaubt nicht, wie erleichtert wir jetzt sind" stammeln lässt. Dito, Cheffe, dito.

Angesichts dieses zeitlosen Moments ist der Rest - bei allem Respekt - Drumherumgeplänkel, wenngleich auf hohem Niveau. Und das heißt im Wesentlichen: Back to Times of Splendour. Das Debüt von 2004 wird komplett gespielt und mit drei Unzen "Gloria" ("The Black Sea", "Gloria" und "Don't Go Any Further") veredelt. Als Zugabe schickt "The Porter - A Lament" auf Zeitreise an den Anfang der 2000er, als Disillusion auch bei CrossOver zum ersten Mal auftauchten. Die Auswahl trifft ganz klar den Nerv der Massen und die Stimmung in der ausverkauften Halle ist fantastisch. Alle Rahmenparameter kann man ohnehin problemlos abnicken: Toller Sound - check. Angenehme Lautstärke - check (und keine Selbstverständlichkeit). Spielstarke Band - check (lediglich der Gesang klingt etwas angeschlagen). Das alles macht im Zusammenspiel einen wahrhaft großen Abend einer wahrhaft großen Band. Als nach 105 Minuten Schluss ist, liegt neben Euphorie auch Rührung im Raum und das Gefühl, einem besonderen Abend beigewohnt zu haben.

Im Vorprogramm standen übrigens TOTL XS. CTRL. Die covern mittendrin Think About Mutation, was kein Zufall ist, denn ihre Kreuzung aus rhythmusbetonten und tiefergelegten Riffs mit Dance- und Elektrobeats erinnert nicht nur an die Crossover-Legende der 90er, sondern auch personell gibt es Überschneidungen. Verstärkt um den konsequent grunzbrüllenden Stewa (Ex-Boiled Kilt, Ex-Crowd) klingen TOTL XS. CTRL wie ((tam)) in die 2000er transferiert, mit etwas Groove Death Metal und Metalcore (bäh) drin, viel Tanzbarkeit und gottlob weit entfernt von Sperrmüll wie Tägtgrens Pain oder Lindemann, an den man bei der Kreuzung aus Elektro und Metal ja unweigerlich denken muss. In den Ansagen ist auch nachzuvollziehen, wie der abgedrehte Bandname sich ausspricht: Total Excess Control. Die Kontrolle siegt am Ende zwar über den Exzess, von Stewa stirnrunzelnd kommentiert ("Warum tanzt heutzutage niemand mehr?"), trotzdem eine sowohl musikalisch als auch optisch vielversprechende Präsentation. Sollte man im Auge behalten.



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