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Hidden Timbre, Syntension, Carpe Noctem, Drown In Grace   01.10.2016   Jena, Kulturbahnhof
von rls

"This is the ultimate drum system in the world. Everything else is junk." pflegte Scott Columbus (RIP!) in den Manowar-Booklets zu vermerken, wenn es an die Endorservorstellungen ging. Junksound dürften wohl kaum diesen Passus im Sinne gehabt haben, als sie ihren Bandnamen wählten, aber irgendwann ging ihnen auf, daß selbiger und der Stil anspruchsvollen Progmetals nicht so richtig zusammenpassen wollten und andererseits auch die Ironiefähigkeit des Publikums nicht überschätzt werden darf. So stellte die Jenaer Band im Frühsommer 2016 ihre Aktivitäten als Junksound ein und nahm sie postwendend wieder auf, nun aber unter dem neuen und in sachlicher Hinsicht wesentlich passenderen Namen Syntension, unter welchselbigem an diesem ersten Tag des letzten Quartals 2016 nun der Debütgig anstand, der zudem auch noch in gleich mehrfacher Hinsicht der Präsentation neuer Tonträger gewidmet werden sollte.
Die einzige Band, die keinen brandneuen Tonträger vorzustellen gedenkt, ist diejenige, die den Gig eröffnet: Drown In Grace. Das Coburger Quartett spielt eine Art Southern Metal und erinnert an eine deutlich weniger verdrogte und straightere Version von Down, wobei dem Erzeugen von Riffpower deutlich mehr Gewicht beigemessen wird als etwaiger Solofiligranität. Das schließt gelegentliche Herunterschaltungen nicht aus, etwa in "Torture" mit seinem ruhigen Break. Dazu tritt der Schalk des Sängers, wenn dieser "Follow Me" als Song "für alle Mädchen und die Jungs, die sich so fühlen" anpreist. Die gesangliche Artikulation des auch gitarrespielenden Larry-B.-Lookalikes bewegt sich meist im rauhen Bereich, und dank des ziemlich klaren Sounds bekommt man auch die nicht eben reichlich gesäten Feinheiten in den Songs gut mit. Der letzte Song "Fade To Grey" stellt keine Visage-Coverversion dar und zeigt den Drummer etwas übermotiviert, paßt sich aber sonst gut ins solide Gesamtbild ein, und der Sänger wünscht abschließend allen Anwesenden noch viel Spaß mit ... äh, der Band, die früher Junksound hieß".
Vorher allerdings spielen noch Carpe Noctem, und die sind strukturell vom Pech verfolgt, wie Geiger Friedrich erklärt: "Schattensaiten", die neue Scheibe, die offiziell am 25.11. veröffentlicht wird, hätte an diesem Abend schon vorgestellt (und verkauft) werden sollen, aber es kam zu Verzögerungen, und obwohl die Band extra eine Samstagszustellung beauftragt hat, ist die CD-Kiste nicht angeliefert worden. Somit müssen sich die Zuhörer mit einem livehaftigen akustischen Vorgeschmack auf das neue Werk begnügen, aber dieser fällt definitiv appetitanregend aus: Die neuen Nummern, die die ersten zwei Drittel des Sets stellen, folgen einerseits dem bewährten Konzept des eigendefinierten String Metal (zwei Celli anstelle der Gitarren, Geige statt Gesang, dazu eine metaltypische Rhythmussektion), scheinen aber vor allem im Einsatz der Celli noch variabler geworden zu sein - vielleicht ist das aber auch nur der ausschnittweisen Momentaufnahme geschuldet (zwölf Nummern umfaßt "Schattensaiten", ergo werden fünf an diesem Abend nicht gespielt) oder aber dem Sound: Mit einem derart klaren Klanggewand hat der Rezensent Carpe Noctem noch nie live erlebt, und so glaubt man selbst in den "Oldies", die das Quintett gegen Setende ab "Intermezzo" auspackt, noch Details zu hören, die man in dieser Form bisher noch nicht wahrgenommen hat. Nachdem in den neueren Songs aber bisweilen eher gespanntes Lauschen angesagt war (etwa in der klasse Halbballade "Daydream" oder dem melancholischen "Autumn"), schwingt das Tanzbein im letzten Drittel dann deutlich heftiger, und die von gespannter Neugier geprägte Stimmung wandelt sich in pure Feierlaune, zumal, wie sich herausstellt, das Gros der Zuschauer hauptsächlich wegen Carpe Noctem anwesend ist.
Setlist Carpe Noctem:
Intro
Blick über die Klippen
Conviction
Tavernenspiel
Daydream
Requiem
Autumn
Untold Story
Intermezzo
BACH
Afterwrath
---
Questionable
Outro

Die Gourmets im Kulturbahnhof lassen sich aber natürlich auch die Auferstehung Junksounds als Syntension nicht entgehen. Daß es sich hier tatsächlich um eine Anpassung des Bandnamens an den Bandsound handelt und nicht um eine völlige Neukonzeptionierung des musikalischen Schaffens, zeigt allein schon die Tatsache, daß das Repertoire nicht etwa total umgekrempelt wunde, sondern Junksound-Material wie "Parasite" oder der Setcloser "Inner Enemy" wie selbstverständlich auch unter dem Namen Syntension erklingt. Einen Stilbruch muß also keiner befürchten, selbst wenn gefühlt die heftigen Passagen im Set dieses Abends einen geringeren Anteil einnehmen als am 25.12.2015, als der Rezensent Junksound erst- und, wie nun klar ist, auch einmalig live erlebte. Schon der urlange Opener "Invading Desire" macht allerdings das komplette Stilspektrum klar, das der Progmetal Syntensions abzudecken weiß, und die gelegentlichen Opeth-Parallelen, die man bisweilen herauszuhören denkt, sind nicht etwa als Kritik an der Band zu verstehen, sondern als Erkenntnis der Reverenz der Jenaer für eine gewisse Stilperiode der Schweden - deren Abdriften in den puren Siebziger-Rock hingegen gedenken Syntension offensichtlich nicht nachzuvollziehen. Aber auch sie schrauben in den "Invading Desire" folgenden Songs den Anteil der sehr harten Passagen immer weiter herunter und setzen erst mit dem abermals extrem vielschichtigen "Inner Enemy" nochmal einen heftigen Kontrapunkt zu den oftmals eher verträumten, dabei aber nach wie vor sehr anspruchsvollen Kompositionen dazwischen, die selbstredend das metallisch-zupackende Element auch nicht missen lassen. Die nagelneue Syntension-Scheibe "Within Yet Without" findet natürlich entsprechenden Platz im Set (bis auf "Pathfinder" wird sie komplett durchgespielt), und der Gig erfüllt seine Funktion als Appetitanreger gleichfalls glänzend, unterstützt abermals durch ein exzellentes klares Soundgewand, das alle Feinheiten ungetrübt ans Ohr des Hörers dringen läßt. So werden Syntension letztlich auch nicht ohne eine Zugabe fortgelassen.
Setlist Syntension:
Invading Desire
Do Without It
Parasite
Fox
Release Your Dreams
Trapped In Freedom
Inner Enemy
---
In Front Of My Eyes

Hidden Timbre hätten eigentlich an Position 2 spielen sollen, aber da sie am gleichen Abend auch noch einen Gig in Gera zu bestreiten haben, tauschen sie ihre Position mit Carpe Noctem, spielen erst in Gera und beschließen dann den Abend in Jena. Das raubt ihnen in letzterem Falle allerdings einiges an Zuschauerzuspruch - es ist schon arg spät, und ein Gutteil der Besucher hat sich schon auf den Heimweg gemacht oder hängt konditionell ziemlich in den Seilen. Zu alldem gesellt sich der strukturelle Faktor, daß in der letztlichen Anordnung der Bands die musikalische Komplexität von der ersten bis zur letzten kontinuierlich zugenommen hat, mit Hidden Timbre die allerkomplexesten also ganz zum Schluß spielen, was den Ausharrenden nochmal alles an Restenergie abverlangt. Aber sie bekommen reichlich Interessantes geboten. Daß die Songs vom 2013er Album "Triangulation", die zwei Drittel des Sets stellen, erstklassigen Progmetal bieten, hat sich mittlerweile ja herumgesprochen, aber auch Hidden Timbre haben justament eine neue Scheibe am Start, "Odyssey" genannt, und deren Material erlebt mit "Scylla And Charybdis" und "Score" an diesem Tag die Livepremiere. Natürlich ist's sauschwer, solche hochkomplexen Nummern nach nur einmaligem Hören zu bewerten, aber ohrenscheinlich hat es das Quintett geschafft, das sehr hohe Niveau des Vorgängers mindestens zu halten. Und an diesem Abend tritt im Kulturbahnhof der bereits bei den anderen Bands lobend erwähnte und auch bei der letzten Formation noch realisierte extrem klare Sound hinzu - ähnlich wie bei Carpe Noctem ist es für den Rezensenten der mit Abstand beste Livesound, mit dem er die Truppe je gehört hat, und das ermöglicht ein eindrucksvolles Hörerlebnis, vor allem bei der sonst nicht leichten Differenzierung der Saitenklänge, die sich bei Hidden Timbre durch die Verwendung achtsaitiger Gitarren und sechssaitiger Bässe bekanntlich in eher progmetaluntypischen Tiefenlagen abspielen. Basser Mirko setzt sogar ultratiefe knarrende Baßtöne ein, wie sie der Rezensent bisher nur ein einziges Mal live gehört hat, nämlich vor weit mehr als einer Dekade bei Versus The Stillborn-Minded in Schmölln, und die spielen keinen Progmetal, sondern finsteren Doom. "Doom" heißt allerdings auch ein Hidden-Timbre-Song, aber der erklingt an diesem Abend oder vielmehr in dieser Nacht nicht - auch zur Einforderung einer Zugabe, die von der musikalischen Leistung her definitiv verdient gewesen wäre, reicht die Restenergie des Publikums nicht mehr. Trotzdem ein sehr starker Gig, zu dem alle Beteiligten ihr Scherflein beigetragen haben.
Setlist Hidden Timbre
Fortunes
Black Ink
Eleven
Scylla And Charybdis
Score
Recurring History



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