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Motorowl, Hidden Timbre, Junksound   25.12.2015   Gera, Sächsischer Bahnhof
von rls

Der Hidden-Timbre-Gig am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages im Sächsischen Bahnhof zu Gera hat mittlerweile Tradition, und nach 2011 ist der Rezensent auch 2015 mal wieder am Start. Im Gegensatz zu damals gibt es diesmal allerdings zwei strukturelle Veränderungen: Erstens treten drei "volle Bands" auf (2011 hatte es zwei Bandsets sowie einen gemeinsamen Auftritt von HT-Drummer Danny mit einem seiner Schüler gegeben), und zweitens spielen Hidden Timbre diesmal nicht zum Schluß, sondern in der Mitte. Daß Danny außerdem irgendwann in den letzten vier Jahren mal beim Friseur gewesen sein muß, fällt nicht unter "strukturelle Veränderung" ...
Den Gig eröffnen Junksound, wobei man hinter diesem Namen eigentlich erstmal eine Punktruppe oder sonstirgendeine, die auf strukturierten Wohlklang wenig Wert legt, erwarten würde. Der Opener bietet ein sanftes Intro, dann grunzt der Sänger ins Mikro, und ein wilder Prügelpart mäht den Hörer nieder - aha, eine Death-Metal-Band also, vermutet man. Aber auch diese Stilistik zieht vorüber, und am Ende des besagten Openers ist man geneigt, Junksound ins Progmetallager zu stecken, allerdings mit starker Power-Metal-Tendenz. Kann sich jemand vorstellen, wie Symphony X ohne Keyboarder und mit heruntergeschraubtem Frickelfaktor klingen würden? Oder Kamelot unter den gleichen Bedingungen? Das Ergebnis dürfte Junksound zumindest etwas ähneln, wobei der Sänger bisweilen allerdings eine Hetfield-artige Stimme ins Gefecht führt, sofern er überhaupt etwas zu tun hat - die Songs enthalten häufig längere Instrumentalpassagen, in denen die scheinbar sehr fähigen Gitarristen zaubern, entweder flitzefingrig oder auch mal mit sanftem Atmosphäreaufbau. Allerdings ist's nicht ganz leicht, das herauszuhören, denn nach anfänglichen, aber nach ein, zwei Songs gelösten Problemen der allgemeinen Dumpfheit des Sounds nimmt die Markanz der Gitarrenabmischung immer weiter ab, so daß nach dem enorm abwechslungsreichen "1055" schon das fünftplazierte "Parasite" sehr zerrissen wirkt und "Pathfinder" an sechster Stelle quasi unerschließbar bleibt, weil man die Gitarren so gut wie gar nicht mehr hört. Das ändert sich erst wieder mit dem "Roots Bloody Roots"-Gedächtnisriff am Anfang des folgenden "Inner Enemy", das allerdings außer diesem Riff wenig mit Sepultura gemein hat und in dem der Sänger später noch zur Akustikgitarre greift. Der Setcloser, der passenderweise "Quit" heißt, beweist im Mittelteil dann noch, daß die Jenaer auch geradlinige tanzbare Vierviertelmusik spielen können, was ein interessantes Panorama abrundet.
"Roots Bloody Roots" ist ein gutes Stichwort - der Umbaupausenmusikprogrammierer beweist nämlich Geschmack und läßt nach genanntem Song, der erklingt, als der Rezensent gerade im Saal eintrifft, noch "Painkiller", "Sad But True" und schließlich "Keeper Of The Seven Keys" (!) laufen. In der nächsten Umbaupause gibt's dann u.a. "Das Boot" von Macbeth und in der letzten dann noch "Princess Of The Night".
Hidden Timbre haben 2013 ein neues Album namens "Triangulation" herausgebracht, aber irgendwie ist selbiges am Rezensenten vorbeigegangen, und so hört er das Material an diesem Abend zum maximal zweiten Mal - vor vier Jahren an gleicher Stelle war neben Songs der selbstbetitelten 2007er Scheibe auch schon mancherlei neuer Stoff erklungen, und dieser dominiert jetzt natürlich die Setlist nahezu komplett. Nur ein älteres Werk hat sich eingemischt, nämlich "Be Winded" vom besagten 2007er Album, von Sänger Ronny prompt auch als Kandidat zum Mitsingen fürs Publikum deklariert. Zu diesem Zeitpunkt kann sich das Publikum auch durchaus schon auf solche Tätigkeiten konzentrieren, während in der ersten Sethälfte die ganze Konzentration dafür draufgegangen ist, aus dem ziemlich problematischen und undurchsichtigen Soundgewand die Strukturen und Melodien herauszufiltern zu versuchen - erst nach etlichen Songs kommt etwas mehr Klarheit ins Klangbild und bleibt dann auch bis zum Setende erhalten. Die Verwendung einer Achtsaitengitarre durch Andreas sorgt natürlich zusätzlich für eine Verdichtung der Tiefen, ist aber nicht Hauptverursacher des Klangmulms, der eher aus einer Verkettung von Umständen entstanden sein dürfte. Der Progmetal des Quintetts hat nach wie vor leichte Nu-Metal-Schlagseite, wobei Hidden Timbre interessanterweise an diesem Abend auf die "Killing In The Name"-Coverversion verzichten. Dafür beweisen sie etwa in "Fortunes", daß sie durchaus Vierviertelbeats geradeaus spielen können, wenn sie wollen, und sie bauen auch wieder einige ihrer schönen atmosphärischen Verharrungen ein. Passenderweise wechselt Ronny dann auch zwischen relativ derbem Shouting und berückend schönen Klargesangspassagen, die dem Material eine nicht gerade zwingend im Genre angelegte Möglichkeit des Hineinarbeitens verleihen. Interessantes Detail am Rande: Ronnys Mimik, allen voran das psychopathische Augenrollen, wäre eine eigene Analyse wert ... Progressiv im Sinne von fortschrittlich kommt der bisher noch unveröffentlichte, unbetitelte und fürs nächste Album vorgesehene Setcloser daher: Gitarren und Keyboards werden von Millionen Metalbands ganz selbstverständlich als gemeinhin so bezeichnete Soloinstrumente eingesetzt, also wenn es um die Besetzung für den Hauptleadpart im Song geht. Bässe hört man in dieser Funktion schon seltener, aber daß diese Funktion durch den Drummer ausgefüllt wird, das kannte zumindest der Rezensent bisher noch nicht (natürlich ist ihm das traditionelle Drumsolo geläufig, aber das ist wieder eine andere Baustelle). Hidden-Timbre-Drummer Danny beweist jedenfalls an diesem Abend, daß mit etwas Einfallsreichtum der betreffende Job auch durch einen Schlagzeuger ausgefüllt werden kann, und erntet am Ende besonders verdienten Applaus, was aber die (soweit hör- und damit einschätzbar) starke Leistung seiner Mitmusiker nicht schmälern soll.
Setlist Hidden Timbre:
1. Headshot
2. Eleven
3. Black Ink
4. Kidz
5. Be Winded
6. Fortunes
7. New Song

Im Publikum findet sich eine überraschend große Anzahl junger weiblicher Besucher, und ein Gutteil von denen steht dann bei Motorowl relativ weit vorn. Komme nun aber niemand und vermute, das Quintett würde irgendwelche Teeniemucke zocken - vielmehr gibt es psychedelisch angehauchten Doom Metal (laut Bandeigendefinition hingegen PsychStonerProg oder Heavy.Psychedelic.Rock.Music) zu hören, der eigentlich eher für die Ü30- oder gar Ü40-Generation geeignet erscheint. Aber die Geraer Lokalmatadore wissen an diesem Abend durchaus generationenübergreifend zu begeistern, obwohl auch sie phasenweise mit den Soundverhältnissen zu kämpfen haben und außerdem der Sänger das Kunststück fertigbringt, innerhalb eines Songs im Minutentakt für Saitenrisse an seiner Gitarre zu sorgen, wobei die Kollegen wie alte Profis nicht etwa zu spielen aufhören, sondern kurzerhand ohne ihn weitermachen. Motorowl haben einen Keyboarder in der Besetzung, der für Mellotron- oder Hammondorgeltöne sorgt und den Sound der Band damit ein wenig in Richtung der längst verblichenen Norweger Valhall lenkt, während ansonsten die mittleren bis späten Cathedral einen besseren Anhaltspunkt abgeben, in die oft bedächtigen Spannungsaufbauten aber auch ein Schimmer Postrock fällt und der Gesang schließlich nochmal eine andere Baustelle bedient, für die dem Rezensenten momentan kein passender Vergleich einfällt (ihm ist auch noch nicht wieder eingefallen, in welchem Kontext er den Sänger/Gitarristen schon mal gesehen hat). Kompakte und schnellere Nummern wie "White Horse", die einen ganz leichten Stoner-Touch mit sich herumtragen, bilden im Set eher die Ausnahme, während ein riesiges dreiteiliges Opus wie "THC" (was in diesem Falle übrigens für "The Highest City" steht) schon eher als archetypisch anzusehen ist, wobei die Stimmung unter den Anwesenden allerdings die ganze Zeit über sehr gut ist und man auch komplett unbekannte Nummern wie den dritten Teil von "THC", der an diesem Abend seine Livepremiere erlebt und auch noch nicht konserviert vorliegt, fleißig beklatscht. Ebenfalls komplett neu ist der Setcloser, der mit flottem Geprügel überrascht, was vom einmaligen Hören her aber nicht so richtig überzeugen will. Vielleicht ergibt sich im Zuge weiterer Beschäftigung mit dem Material noch eine tiefgründigere Erkenntnis, als sie in der reichlichen Stunde dieses Auftritts möglich ist, der mit einer kurzen Zugabe abgeschlossen wird. Drei starke Bands bei leider nur teilweise guten Soundverhältnissen - das läßt für weitere Jahrgänge in letzterer Komponente noch Steigerungsmöglichkeiten offen, während Hidden Timbre einmal mehr bewiesen haben, daß sie interessante Protagonisten der hiesigen Szene "aus dem Hut zaubern" können.



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