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Tarja, Teodasia   01.11.2013   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Was doch der Rahmenfaktor des Konzerttages alles ausmachen kann: 2011 hatte Tarja Turunen schon einmal in Leipzig im Haus Auensee gastiert (wenn man genau sein will: zum zweiten Mal, denn 2002 spielten Nightwish ebenfalls dort), und zwar an einem Montag - prompt war die Halle nicht sonderlich gut gefüllt. 2013 findet das Gastspiel nun an einem Freitag statt, noch dazu nach einem Feiertag, wo also zahlreiche Angehörige der Zielgruppe im Lande sein dürften - und prompt darf sich die aus vier Nationen kompilierte Bandkonstellation samit ihrer Fronterin, deren Popularitätskurve in den seither vergangenen zweieinhalb Jahren weder nach oben noch nach unten eine nennenswerte Amplitude aufgewiesen hatte (selbst die Chartplazierungen der beiden jüngsten Soloalben sind fast identisch), über ein sehr gut gefülltes Haus Auensee freuen, wenngleich der Füllstand nicht solche Ausmaße annimmt, daß man am Schwingen des Tanzbeins prinzipiell gehindert würde, was im Verlaufe der Geschichte noch von Bedeutung sein wird.
Als der Rezensent kurz nach 20 Uhr eintrifft, sind Teodasia schon am Werkeln, und eine reichliche halbe Stunde später können sie einen Überraschungserfolg verbuchen. Der Überraschungsfaktor setzt sich aus mehreren Teilkomponenten zusammen. Zum einen ist die Band auf der Auensee-Homepage zwar angekündigt, in weiten Teilen der Rockpresse jedoch nicht. Zum zweiten dürfte sich der Bekanntheitsgrad der italienischen Band nördlich der Alpen arg in Grenzen halten. Zum dritten haben Teodasia nicht mal eine Plattenfirma hinter sich, sondern bringen ihre Werke (aktueller Stand: ein Album und zwei EPs) bisher in Eigenregie an den Mann. Zum vierten ist ihnen im August die Sängerin abhanden gekommen - Giulia, die an diesem Abend am Mikro steht, ist also "nur" Ersatz. Zum fünften schließlich legt das Quintett ein etwas eigenartiges Verständnis von Progmetal an den Tag: Zwar reihen sich die progtypischen Rhythmuswechsel in recht hoher Dichte aneinander, aber zwischen ihnen machen sich immer wieder geradlinige Vier-Viertel-Passagen breit, und die werden nicht mal mit hochartifiziellen Soli ausstaffiert, wie man das in diesem Genre gemeinhin zu tun pflegt. Statt dessen nutzt die agile Sängerin jede Gelegenheit zu Mitmachanimationen und hat das Material in der überschaubaren Probezeit schon so weit verinnerlicht, daß sie ihre aerobickompatiblen Bewegungsmuster genau auf die Musik ausrichten kann. Eine gute Sängerin ist sie ganz nebenbei übrigens auch noch, wobei sie zwischen Sopran und einer kräftigeren Normalstimme hin und her pendelt und zudem mit dem Bassisten einen von der Stimmfärbung her ausgezeichnet zu ihr passenden Backingsänger an ihrer Seite weiß. Nur mit dem Soundgewand hat das Quintett Pech, denn über allem liegt eine Art dumpfer Schleier, der etliche Feinheiten verschluckt. Aber die ansteckende Spielfreude kommt auch so perfekt rüber, die fünf Italiener freuen sich förmlich einen Ast, diese Tour für einige Tage als Support mitfahren zu dürfen (Leipzig ist das erste Konzert, bei dem sie dabei sind), und das Publikum belohnt sie auch mit viel Applaus, obwohl 99,8% der Anwesenden das Schicksal des Rezensenten geteilt haben dürften, zuvor noch keinen Ton der Band gehört zu haben. Aber ein paar neue Fans dürften Giulia und ihren Mannen nach diesem Abend sicher sein.
Der Umbau zum Tarja-Set wird wie schon 2011 hinter einem Vorhang durchgeführt und mit geschmackvoll ausgewählter Pausenmusik versüßt (da erklingt beispielsweise der Black-Sabbath-Klassiker "Neon Knights"). Diesmal fällt der Vorhang aber schon zu Beginn des regulären Openers "In For A Kill" und gibt den Blick auf das Bühnenschema frei, das von der Anordnung her dem von 2011 entspricht. Auch personell gibt es nur eine Veränderung, und das ist die vierte Nationalität in der Band: Neben Finnen (neben der Chefin noch Cellist Max Lilja), Deutschen (Gitarrist Alex Scholpp und Keyboarder Christian Kretzschmar) und Amerikanern (Drummer Mike Terrana) ist eine Italienerin neu an Bord, nämlich Anna P. am Baß, die Kevin Chown und Doug Wimbish kompetent vertritt. Ein wenig muß man sich allerdings gedulden, um das herauszufinden, denn "In For A Kill" wird soundlich stark von Terranas Drums dominiert, und in "500 Letters" und "Sing For Me" entsteht nur deshalb ein ausgeglicheneres Klangbild, weil die Schlagzahl des Trommlers hier deutlich niedriger liegt. Ab "Falling Awake" aber hat der Soundmensch die normale Rockbesetzung klanglich im Griff, und nur den Cellisten hört man nur selten, was später noch Konsequenzen haben wird. Derweil lohnt aber ein Blick auf die Setlist: "Colours In The Dark", das neue Album, muß selbstredend ausführlich vorgestellt werden, aber auch die beiden Vorgängeralben sind durchaus nicht schwach vertreten, wobei Tarja interessanterweise auf "I Feel Immortal", das immerhin Singleauskopplung von "What Lies Beneath" war, verzichtet, wohl mit dem Hintergedanken, daß es im Material des neuen Albums durchaus etliche Stücke ähnlicher Bauart, also eher zurückhaltender und einfacher gestrickter Gothic Rock, gibt und der Set mehr Abwechslung braucht, den er etwa in Gestalt des Meisterwerkes "Anteroom Of Death" (was für ein Mittelteil!) auch bekommt. Kleine Variationen gibt es auf der Tour auch - so soll am Folgetag in Köln "Neverlight" durch "Ciaran's Well" ersetzt worden sein. Und noch etwas fällt auf: Mike Terrana darf kein Solo spielen! Darüber ist der Rezensent freilich nicht böse, zumal die Instrumentalisten im furiosen Finale von "Never Enough" alle nacheinander einen kleineren Solospot zugewiesen bekommen, ihr Können also keineswegs unter den Scheffel stellen müssen. Tarja selbst bleibt zwar eindeutige Chefin im Raum, aber sie hat es nicht nötig, ihre Mitstreiter an der kurzen Leine zu halten. Überhaupt ist sie nicht nur stimmlich in exzellenter Form, sondern auch bester Laune, was vom feierfreudigen Publikum gern aufgenommen wird. Nebenbei bemerkt hat der Rezensent auf noch keinem Metalkonzert ein so diszipliniertes Publikum erlebt: Wenn Tarja, was sie vielleicht drei-, viermal tut, zu einer etwas längeren Ansage ansetzt, herrscht Mucksmäuschenstille im Publikum - man will wissen, was sie zu sagen hat. Und die Stimmung ist letztlich so gut, daß nach der eigentlich geplanten letzten Zugabe "Until My Last Breath" noch eine weitere ausgepackt wird: "Over The Hills And Far Away" bildet einen von zwei Ausflügen Tarjas zurück in ihre Nightwish-Tage, der andere ist bereits zuvor im regulären Zugabenblock erklungen und hieß "Wish I Had An Angel" - Variation also auch hier, denn anno 2011 gab es andere Exempel dieser Art zu hören. 2013 freut man sich zwar auch einen Ast, die besagten Songs zu hören, verkennt aber auch nicht das Problem, das sich mittlerweile eingestellt hat: Im prinzipiell zweifellos löblichen Bestreben, auch Liljas Cello besser hörbar zu machen, hat der Soundmensch in der zweiten Sethälfte Gitarre und Drums immer weiter heruntergedreht, so daß man vor allem Scholpp irgendwann nur noch während der Soli hört. Das raubt leider einem Epos wie dem Setcloser "Medusa" einen guten Teil seines Bombastfaktors, und in den beiden genannten Songs geht der treibende Charakter mehr oder weniger völlig verloren. Da hilft, um in Stimmung zu bleiben, nur "Augen zu und durchbangen" oder "Trotzdem hüpfen und das Tanzbein schwingen", und beidem widmet sich der Rezensent denn auch. So fällt in den süßen Becher des Konzerteindrucks noch ein kleiner Wermutstropfen, aber auch so bleibt die Erinnerung an einen sehr starken Auftritt.

Setlist Tarja:
Intro (Deliverance)
In For A Kill
500 Letters
Sing For Me
Falling Awake
I Walk Alone
Anteroom Of Death
Never Enough
Until Silence
Die Alive
Mystique Voyage
Neverlight
Medusa
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Victim Of Ritual
Wish I Had An Angel
Until My Last Breath
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Over The Hills And Far Away
Outro (Never Too Far)



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