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Nightwish, After Forever, Charon   07.09.2002   Leipzig, Haus Auensee
von mst

Ausverkauftes Haus hieß es beim letzten Gig der Nightwish-Tour 2002 in Leipzig. Dass es an der Abendkasse keine Karten mehr gab, verwundert eigentlich nicht wirklich, da es wohl für längere Zeit die letzte Möglichkeit ist, Nightwish livehaftig zu erleben. Für die angereisten Münchner Fans natürlich trotzdem ärgerlich.
Ein Blick auf das wartende Volk vor dem Eingang lässt erkennen, wie szeneübergreifend Nightwish mittlerweile sind. Da stehen Power Metaller im Blind Guardian-Shirt neben blassgeschminkten Gothic-Fans und aufgestylten Girlies, die wahrscheinlich durch Acts wie HIM neugierig auf diese Art von Musik geworden sind.
Alldieweil der Tourtross wohl etwas spät in Leipzig eingetroffen ist, verschiebt sich der Einlass erst mal um 'ne knappe Stunde. Als die ersten Unmutsäußerungen laut werden, öffnen sich dann doch die Tore. Dann geht alles ziemlich schnell. Da der Großteil der Fans die beiden Vorbands eh nicht gekannt haben dürfte, galt es für jene nun einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Charon, die den Reigen eröffneten, gelang das in meinen Augen nur bedingt. Zu vorhersehbar und eindeutig in die HIM/69 Eyes-Fangruppe zielend, goth-rockten Charon in Leipzig drauflos. Die Bühnenshow war okay und Sänger Jukka-Pekka dürfte einige Herzen der traurig vor sich hinschauenden Mädchen im Sturm genommen haben. Charon hatten ihr Publikum in der zahlreich vorhandenen Gothic-Fraktion gefunden und der Typ hinter mir hatte sich vorgenommen durch sein Beifallsgegröle mein Trommelfell zu zerlegen. Aber auch er konnte meine Begeisterung nicht steigern. Irgendwie war mir das Ganze auch viel zu düster. Charon waren ein relativ belangloser, unspektakulärer Einstieg und ich glaube nicht, dass man demnächst irgendetwas Größeres von dieser Band hören wird.

Floor Jansen von After Forever

Mittlerweile hatte ich mich weiter nach vorn gekämpft und wartete aufgrund des Hörgenusses von Charon eher skeptisch auf die folgenden Niederländer After Forever. Aber siehe da, sie kam zurück, meine gute Laune, und das bescherte mir eine Band, deren Entwicklung ich auch in Zukunft weiter verfolgen werde. Klassische Parts, Gothic-Elemente, aber immer in einer zentnerschweren Metallverpackung. After Forever brachten den Metal in die Halle, jawoll! Zwar klang manches doch etwas sehr nach Nightwish, aber durch die gegrindeten Vocals des Gitarristen, öfters vorhandene Doublebass-Attacken und den höheren Metal-Anteil war das Material doch eigenständig genug. Doch After Forever hatten noch ein besonderes As im Ärmel: Sängerin Floor war ein einziger Augen- und Ohrenschmaus und brachte die Menge zum Kochen. Die Band bot einen gelungenen Querschnitt ihrer beiden CDs "Prison Of Desire" und "Decipher" und wenn die Saitenfraktion gemeinsam mit dem Frontfräulein die imposanten Matten kreisen ließ oder Floor graziös zu etwas getrageneren Parts tänzelte, konnte der Daumen für After Forever eigentlich nur nach oben zeigen. Als Sahnehäubchen für die anwesenden Metaleiros wurde noch eine Coverversion von Maidens "The Evil That Men Do" ins Volk gepustet und After Forever kamen um eine Zugabe nicht herum. Gute Band!

Nightwish

Können Nightwish das Ganze toppen? Sie konnten, trotz eines seltsamerweise schlechteren Sounds, noch einen draufsetzen. Das lag zum Einen an der geschlossenen Mannschaftsleistung, von Tourmüdigkeit keine Spur, und zum Anderen am fantastischen Publikum, das die Band gnadenlos abfeierte. Die relativ lange Umbaupause verkürzte sich unsere Rasselbande + Umgebung mit Sprechchören der Marke "Legions" (gemeint ist der Stratovarius-Track), "Grave Digger" oder "Motörhead". (Da hätte die Rasselbande doch gleich noch den Kultklassiker "Weil heute Dein Geburtstag ist" anstimmen können ... - Anm. rls) Für unsere selbstlose Art die Stimmung etwas aufzulockern ernteten wir jedoch nur größtenteils erstaunte Blicke der durch die angeschminkten Augenringe doch etwas depressiv wirkenden Style & Düstervertreter. Da treffen wohl Welten aufeinander ...

Nightwish

Endlich erstrahlte das Backdrop mit Wasserfällen und Bäumen und Nightwish stiegen mit "Bless The Child" in ihren Set ein. Die Menge tobte und der Sauerstoffmangel nahm langsam unangenehme Formen an. Man schwitzte halt so vor sich hin. Spätestens bei Song Nummer 4 "Kinslayer" und dem folgenden, phänomenalen "Dead To The World" war das aber egal. Es machte einfach Spaß, die Band auf der Bühne zu beobachten, denn sie bot einiges fürs Auge. Neben der grandiosen, immer perfekt die Stimmung des jeweiligen Songs unterstreichenden Lichtshow lag das vor allem an der bezaubernden, sehr sympathisch wirkenden Tarja und Bassneuzugang Marco. Ebenjener brachte mit seinen Vocals eine weitere Facette in den Nightwish-Stil ein und rockte außerdem absolut cool ab. Nur dass er maximal 'nen halben Song ohne neue Kippe im Mundwinkel durchhielt wirkte ein bisschen seltsam. Das kennt man doch sonst nur von Herrn Weikath ... Weitere Höhepunkte des Sets waren der exzellente Stampfer "Slaying The Dreamer" und das lautstark gefeierte "Sacraments Of Wilderness". In der Mitte des Sets verließ Tarja die Bühne und After Forever-Gitarrist Bas schnappte sich das Mikro um uns erst Ozzy-like den "Crazy Train" zu besingen und anschließend den Twisted Sister-Gassenhauer "We're Not Gonna Take It" runterzuschmettern. Während dieser Einlage stürmten übrigens Charon erneut die Bühne, um mit auf den nackten Oberkörper geklebten umgedrehten Kreuzen tierisch abzuposen. Überflüssig zu erwähnen, dass sie damit in meiner Beliebtheitsskala weiterhin niederste Kellerwohnungen innehaben. Für mich ist das Kreuz das Zeichen für die Liebe Gottes zu den Menschen und wer dieses Symbol so in den Schmutz zieht, hat wenig darüber nachgedacht und stößt damit viele Menschen vor den Kopf. Und ich war nicht der Einzige in der Halle der darüber so dachte.

Immer ein Blickfang: Tarja Turunen

Klar, dass Nightwish nicht ohne Zugabe davonkamen, sie wurden so frenetisch zurückgebrüllt, dass sie einfach weiterspielen mussten. Das alles abschließende "Wishmaster" mobilisierte die letzten Kraftreserven, alle Tourbeteiligten kamen auf die Bühne und ein tolles Konzert fand sein Ende. Die Massen strömten, Kühle und Sauerstoff suchend, ins Freie und Nightwish beginnen ihre geplante Pause, die ein ziemliches Loch in der Szene hinterlassen wird. Andererseits hält man die Leute durch die bewiesene Klasse neugierig und wenn die Band in einiger Zeit (hoffentlich) weitermacht, dürften sie auf etliche treue Anhänger bauen dürfen. Bis dahin gilt es andere gute und innovative Bands zu entdecken. Zum Beispiel After Forever ...



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