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Opeth, Anathema   24.11.2012   Leipzig, Werk 2
von rls

35 Euro Abendkassenpreis sind für eine Band wie Opeth nicht gerade wenig (auch die Shirtpreise bewegen sich mit 25 Euro im gehobenen Bereich), aber das Prinzip von Angebot und Nachfrage scheint trotzdem zu stimmen: Die große Halle A im Werk 2 ist zwar keineswegs ausverkauft, aber doch recht ansehnlich gefüllt. Inwieweit Anathema davon profitieren können, bleibt allerdings fraglich, zumal sich die Briten das Leben selber ein bißchen schwermachen. Wer beispielsweise den Headlinergig der Band vor zwei Jahren in Leipzig erlebt hat, konnte ein eindrucksvolles Bild von der Stimmungsvielfalt gewinnen, welche die Cavanagh-Brüder und ihre Mitmusiker zu erzeugen wissen. In den vielleicht 35 Minuten dieses Supportgigs aber konzentrieren sie sich auf den gemäßigten Teil ihres Schaffens, obwohl da ein durchaus selbst an Death Metal gewöhntes Publikum vor ihnen steht. Und viel vom Set des Abends klingt halt, da hat ein befreundeter Musiker durchaus recht, ein bißchen nach U2. Das ist zwar prinzipiell nichts Schlechtes, und Anathema scheinen auch etliche Fans im Publikum zu haben, die dafür sorgen, daß diverse Mitklatschaufforderungen nicht ins Leere gehen - aber ob man Neulinge dafür erwärmen kann, bleibt abzuwarten, zumal Anathema unverständlicherweise als Closer ebenjenen Song "Closer" vom "A Natural Disaster"-Album spielen (die verzerrten Vocals klingen dort nach Fancy, was vor diesem Publikum natürlich nur bedingt funktioniert) und ihren exzellenten Mini-Hit "Fragile Dreams" erst am nächsten Abend in Hamburg wieder auspacken. Die Atmosphärenerzeugung wird zudem etwas durch den Soundmenschen erschwert, der die Keyboards nur in den ruhigen Passagen zur Entfaltung kommen läßt, aber wenigstens die anderen Trümpfe der Band ins gebührende Licht rückt, als da wären die zeitweise wirklich traumhaften Gitarrenmelodien, der immer ein wenig entrückt wirkende Leadgesang Vinnies und auch die bis zu dreistimmigen Satzgesänge, an denen als dritte Stimme Lee Douglas partizipiert, die also auch auf einer solchen Supporttour mit von der Partie ist. Das Fehlen von "Fragile Dreams" macht den Opener "Deep" (vom 99er Album "Judgement") zum ältesten Song des kurzen Sets, der als jüngste Zutaten das "Untouchable"-Double vom neuen "Weather Systems"-Werk enthält. Ein netter Auftritt - aber der Rezensent hat Anathema schon etliche Male besser, weil noch packender erlebt.
Setlist Anathema:
Deep
Thin Air
Untouchable, Part 1
Untouchable, Part 2
A Simple Mistake
Closer

Anathema-Zentralachse senkrecht  Anathema-Zentralachse waagerecht

Lee Douglas  Anathema-Zentralachse nochmal waagerecht



Martin Mendez  Die Saitenfraktion von Opeth

Gut integrierter Neuzugang: Joakim Svalberg  Der Zeremonienmeister im Ozzy-Shirt: Mikael Akerfeldt
Opeth klingen auf ihrem jüngsten Werk "Heritage" zwar nicht ganz so extrem anders als zu debütierenden "Orchid"-Zeiten, wenn man Anathema in einem Direktvergleich von "Crestfallen" und "Weather Systems" danebenstellt - aber auch sie haben eine interessante Evolution durchlaufen, die etwa den von "Heritage" stammenden Setopener "The Devil's Orchard" eher zu einer metallisierten Version von King Crimson werden läßt, wie Kollege Tobias schon in seinem CD-Review richtigerweise festgestellt hat. Sie spielen an diesem Abend allerdings einen sehr gemischten Set. In weit über anderthalb Stunden Spielzeit bringen sie dabei gerade mal neun Songs unter, und diese stammen von sieben verschiedenen Alben - neben dem aktuellen, zu dem noch "Häxprocess" gehört, darf nur das 2005er "Ghost Reveries" zwei Beiträge stellen, nämlich "Ghost Of Perdition", das Mikael Akerfeldt schelmisch mit den Worten ankündigt, er vermute einige Death-Metal-Liebhaber im Publikum, und den Setcloser "Reverie/Harlequin Forest". Überhaupt ist der Sänger/Gitarrist humortechnisch mal wieder in Hochform, erzählt vom ersten Opeth-Gig in Leipzig, der die damals noch wesentlich extremer agierende Band ausgerechnet aufs Wave-Gotik-Treffen führte ("just tons of Gothic bands and us"), sagt diverse Songs als Popmusik an, stellt seinen Sechssaiten-Sidekick Fredrik Akesson als Kris Kristofferson vor und läßt natürlich seiner Liebe für die Scorpions freien Lauf, auch wenn er kein Shirt von diesen, sondern ein altes Ozzy-Leibchen trägt. Seine Mitmusiker wollen da nicht nachstehen und spielen mehrmals Tanzmusik-Standardrhythmen an, wenn Akerfeldt gerade trinkt oder stimmt. Aber so locker sie auch drauf sind, so ernst nehmen sie ihren wilden Hybriden aus (mittlerweile wenig) Death Metal und (mittlerweile viel) Seventies-Rock der hauptsächlich progressiveren Sorte. Per Wibergs tastenspielender Nachfolger Joakim Svalberg ist beleuchtungstechnisch zwar kaum richtig zu sehen, da er meist irgendwie im Gegenlicht steht, aber er hat sich prima in das Ensemble eingefuchst und bildet zudem einen wichtigen Faktor in den mehrstimmigen Gesangspassagen. Einzelne Songs hervorzuheben erübrigt sich eigentlich, wäre da nicht das balladeske "Hope Leaves" vom "Damnation"-Akustikwerk, hier und heute zumindest in einer Halbakustikfassung, und wäre da nicht das eher rare "White Cluster" vom "Still Life"-Album, das Kollege Tobias im 2006er Set so schmerzlich vermißt hatte und das auch bei diversen beinharten Opeth-Anhängern links neben dem Rezensenten Freudentränen auslöst. Daraufhin entwickelt sich ein Wortgefecht zwischen einem derselben und einem beinharten Opeth-Anhänger rechts neben dem Rezensenten: Der eine fordert lautstark noch "Hex Omega" vom "Watershed"-Album ("hat in München funktioniert"), der andere will unbedingt noch "Bleak" (von "Blackwater Park") hören - und letztlich werden beide nicht bedient. Aber das ist eben das Los bei einer Band wie Opeth mit zehn Alben und einer Durchschnittssonglänge irgendwo in der Nähe von zehn Minuten. Und bis auf die Zugabe "Blackwater Park" enthält der Set übrigens keine einzige Überschneidung mit dem urlangen London-Gig von 2010 - auch das kann sich nicht jede Band leisten, ohne von ihrer Anhängerschaft gesteinigt zu werden. Nächstens dann auch noch mit Scorpions-Coverversionen? Warum nicht - "Fly To The Rainbow" böte sich durchaus an. Wie auch immer: Der Gig ist klasse, auch soundtechnisch, sobald der Soundmensch das Problem der zu lauten Bassdrums in den Griff bekommen hat (dafür braucht er den ganzen Opener "The Devil's Orchard", aber dann hat er's gepackt), und allerspätestens bei der brillanten Ausfeilung des Outros von "Harlequin Forest" klappt auch die letzte Kinnlade im Publikum nach unten, so daß die "Opeth"-Sprechchöre, die während des Sets gelegentlich erklungen waren, im Break vor der Zugabe sogar ausbleiben. Aber die Schweden lassen sich natürlich nicht lumpen und ziehen noch wie erwähnt das Meisterwerk "Blackwater Park" aus dem Hut, bevor sie verschwinden und einen mit der Vorfreude auf die nächste Tour zurücklassen, wo sie dann vermutlich wieder eine ganz andere Setlist aufstellen werden.

Die Setlist von Opeth

Fotos: Juliane Audersch



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