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Opeth, Amplifier 03.12.2006 Berlin, Fritz Club
von ta
Ins Geschehen: AMPLIFIER beginnen ihren Set, wie auch das neue, hervorragende Album "Inside" beginnt: Mit dem verspielten Instrumental "Gustav's Arrival" und dem Oberhammer "O Fortuna", beides bei tadellosem Sound. Ich ticke aus, singe mit und springe herum, der Rest des Publikums indes ist zu großen Teilen nur mäßig begeistert. Keinem/keiner zu verübeln, wenn er/sie nur wegen Opeth kam: Der moderne, superfette Alternative Rock von Amplifier gehört eben in eine völlig andere Schublade als das monumentale Prog Death-Brett der Schweden. Ist aber auch Wurst, Amplifier buchstabieren an diesem Abend Rock in extenso aus und leben in ihrer Musik, dass es greifbar ist. Bassist Neil Mahony wackelt wie ein Stehaufmännchen über die Bühne, Drummer Matt Brobins selten auf gerade Zählzeiten gesetzten Snareschläge kommen hart und tight, Sänger/Gitarrist Sel Balimir dackelt mit einem oberbescheuertem Basekap auf die Bühne, das man ihm angesichts seiner gesanglichen Leistung aber gerne verzeiht. State of the art eben, Amplifier gehören zu den drei, vier Alternative Rock-Bands, die diese Welt wirklich braucht. Nur Hits ertönen an diesem Abend - was angesichts einer Auftrittslänge von niemals mehr als 25 Minuten allerdings kein Wunder ist. Das kann doch nicht euer Ernst sein, Jungs! Der Debüthit "The Consultancy" war ja gottlob gleich an dritter Stelle zu vernehmen, aber über das Fehlen von "Insider" könnte ich jetzt noch fluchen, gerade wenn ich daran denke, wie viel von der kurzen Spielzeit allein der instrumentale Opener "Gustav's Arrival" und die vielen Bombast-Finishes weggenommen haben. Das nächste Mal bitte einen richtigen Auftritt und nicht diesen kurzen Alibihappen! Trotzdem Danke.
Was Szenekenner jahrelang für unmöglich hielten, tritt ein: OPETH werden so langsam massenkompatibel. Der Fritz Club fasst sicherlich knapp eintausend Leute und ist ratzefatze ausverkauft am heutigen Abend. Vom ersten Song an wird die Band gefeiert und die Masse der vor der Bühne umherwackelnden Leute scheint sogar mit den Songs, welche vor der jüngsten Veröffentlichung "Ghost Reveries" erschienen sind, vertraut zu sein. Manchmal wird eben doch noch alles gut. Und wem will man den gegenwärtigen Erfolg gönnen, wenn nicht Opeth?
Los geht es fett mit "Ghost Of Perdition", dem Opener von "Ghost Reveries", das jüngst mit DVD wiederveröffentlicht wurde. Der Sound ist leider von Anfang an zu beanstanden, manche Keyboardpassagen und die Gitarre von Peter Lindgren, sicherlich dem Mann bei Opeth, der am unauffälligsten seinem Spiel frönt, sind an vielerlei Stellen zu leise abgemischt. Zweiteres, die fehlende Gitarre, stört zwar nicht allzu oft, da die meisten Soli ohnehin Mikael Akerfeldt spielt, wenn aber, wie es etwa in "Deliverance" der Fall ist, doch mal ein Solospot für Lindgren abfällt, ist es umso ärgerlicher, diesen nur optisch verfolgen zu können. Punktabzug also für den Tonmeister.
Opeth sind richtig heavy an diesem Abend, was nicht nur am einseitigen Sound, sondern auch an der Songauswahl liegt: Geradliniger Stoff wie eben das genannte "Ghost Of Perdition", "When" von "My Arms, Your Hearse", "Bleak" und "Blackwater Park" (als offizieller Abschluss) vom gleichnamigen Album sowie der knochentrockene Brecher "Deliverance" vom wiederum gleichnamigen Album (als einzige Zugabe) ist in hohem Maße bangertauglich und bratzt ordentlich rein. Auch die eher sperrige neue Nummer "The Grand Conjuration" entwickelt ungeahnte Livequalitäten und sorgt für ein wahres Bangermeer im Publikum. Respekt für die Live-Umsetzung dieses Tracks, ich hätte nicht erwartet, dass er vor der Bühne solch eine Gruselatmosphäre entwickelt. Was gibt es darüber hinaus zur Songauswahl zu sagen? Das göttliche "Still Life"-Album kommt mit der Semiballade "Face Of Melinda" zum Zuge (leider nur mit dieser Semiballade - was hätte der Verfasser sich doch über "White Cluster" gefreut), zu der sich das Akustikmeisterstück "Windowpale" von "Damnation" gesellt. Aus dem eher verspielten "Morningrise"-Album wurde "The Night And The Silent Water" treffsicher herausgepickt und das Debüt "Orchid" ist am Ende die einzige Veröffentlichung, von der es an diesem Abend keinen Ton zu hören gibt, was zumindest mich nicht stört. Die Band spielt leidenschaftlich und auf den Punkt, auch Neuzugang Martin "Axe" Axenrot, der den krankheitsbedingt ausgestiegenen Martin Lopez ersetzt, überzeugt mit kellenweise Power und kopiert die vielen Details seines Vorgängers mit liebevoller Akribie, wenngleich ihm das jazzige Feeling von Lopez noch abgeht. Aber das kann ja noch werden. Star des Abends bleibt natürlich the mastermind himself, Mikael Akerfeldt. Wie dieser Mann nahtlos von derbstem Kellergeröchel in glasklare Höhen entschwebt, sucht in der Szene weiterhin seinesgleichen. Hinzu kommt ein unvergleichliches Charisma, das sich aus der skurrilen Mischung von introvertierter Progger-Konzentration und ziemlich neben der Spur liegenden, meist herrlich selbstironischen Ansagen speist. Kostproben? "Unsere neue Scheibe ist ein einziger Rip Off." "Habt ihr schon meine neue Gitarre gesehen? Hübsch, nicht? Die verstimmt sich nie. Schaut: E - immer gestimmt. A - immer gestimmt. D - etc. [spielt tatsächlich jede einzelne Saite an]." "Der nächste Song ist sehr, sehr alt. Aber wenn ihr ihn nicht mögt, ist es mir egal. Wenn ihr ihn mögt ... nun, dann mag ich euch ein kleines bisschen mehr." "Ich möchte, dass ihr zum nächsten Track mehr bangt als zu ... Helloween [Jubel]. Mehr als zu Gamma Ray [noch lauterer Jubel]. ... The Gathering! [verhaltener Jubel, Irritation] ... die Scorpions [lautes Gelächter]. Was gibt's da zu lachen? Wir klingen wie die Scorpions." usw. usf. ... Jedes Mitsingspielchen wird vom Publikum artig mitgemacht ("Singt ein D! [Alles singt von links nach schräg, Akerfeldt grinst hämisch.] Und jetzt macht eine Harmonie daraus! [Grinst noch hämischer.]"), jede noch so dämliche Frage findet eine enthusiastisch kreischgebrüllte Antwort ("Ist das ein Dur-Akkord oder ein Moll-Akkord? Ihr da! Moll? Falsch!!! Und der Akkord hier? Und der hier?"). Nur ein paar wenige humorlose Opethianer verlieren nach manch zweiminütigem Palaver dann doch mal die Geduld und plärren nach mehr Songs bzw. weniger Worten, aber seien wir mal ehrlich: Bei - sagen wir: - The Exploited braucht kein Mensch eine Pause zwischen zwei Songs, die länger als zwanzig Sekunden dauert. Bei Opeth aber, d.h. bei Tracklängen von selten unter zehn Minuten sind die ausufernden Ansprachen Akerfeldts angebracht und sorgen für die nötige Auflockerung.
Nach neun Songs inklusive Zugabe ist der ganze Spaß viel zu schnell vorbei, überrascht muss ich jedoch feststellen, dass Opeth über 100 Minuten gespielt haben. Das nennt man dann wohl Kurzweil im positivsten Sinne. Toller Gig, trotz marginaler Beanstandungen! Überlassen wir das Schlusswort Akerfeldt: "Before we play the last song: let me say - and there is absolutely no irony in this -: Thank you for coming here tonight, thank you very much."
Ein Schlusswort unabhängig vom direkten Konzertgeschehen noch, diesmal nicht von Akerfeldt, sondern von mir: Dass man im Fritz Club für 0,4 Liter Bier über 3 Euro bezahlt, ist schon unfein. Mehrwertsteuererhöhung vorgezogen, oder was? Dass man dann aber kein Bier bekommt, sondern eine beinahe untrinkbare Plörre namens Berliner Pilsner, grenzt an geschäftsschädigendes Verhalten. Pfui Deibel.
Setlist:
1. Ghost Of Perdition
2. When
3. Bleak
4. Face Of Melinda
5. The Night And Silent Water
6. The Grand Conjuration
7. Windowpane
8. Blackwater Park
9. Deliverance
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