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Disillusion, Rose Kemp, Zen Zebra   03.04.2010   Leipzig, Theaterfabrik Sachsen
von rls

Nach über zwei Jahren des Werkelns im stillen Kämmerlein oder auch des Nicht-Werkelns melden sich Disillusion an der Livefront zurück. In der Zwischenzeit hat sich viel getan: Der allgemeine Stileklektizismus hat noch weitreichendere Züge angenommen als zuvor, allerdings auch eine puristische Gegenbewegung verursacht. An diesem Abend kommen bei den Supportacts beide Ausprägungen vor. Zunächst sind da die Postrocker/Postmetaller/Postcoreler Zen Zebra, die dem Rezensenten immer dann, wenn er sich gerade ein schönes sprachliches Bild oder einen passenden Vergleich zurechtgelegt hat, mit einem Break den Angstschweiß auf die Stirn treiben, und das über das komplette erste Drittel ihres Sets hinweg. Dabei baut der Opener so richtig schön langsam und meist halbakustisch Stimmungen auf, wie das die großen Briten Anathema zu tun pflegten; der erste laute Ausbruch läßt eine zweistellige Minutenzahl auf sich warten, bleibt aber im Doombereich und ruft Bands wie Spancer ins Hirn. Aber dabei bleibt es nicht, denn das Material wird schrittweise immer schneller und härter, bevor sich irgendwann nach dem Mini-Hit "Pollyanna Please" eine Art Stagnation einstellt, jegliche Progression plötzlich verflogen ist und die Band eigentlich nur noch Ergebnisverwaltung betreibt, die in einem paradoxen Gegensatz zu den vorher unter Beweis gestellten beeindruckenden Spannungsbogenaufbaufähigkeiten steht. Das mutet irgendwie merkwürdig an, wenngleich man der Band seit dem No Silent Backlands-Festival anno 2009, wo sie der Rezensent schon einmal gesehen hat, schon eine gehörige Weiterentwicklung bescheinigen können muß. Menschen, die die Band bereits öfter gesehen haben, sprechen übrigens hinterher von einem sehr guten Klangbild, was sich nicht mit der Einschätzung des Rezensenten deckt - der freut sich zwar, daß endlich mal wieder ein Soundmann nicht der Formel "Metal = Überlautstärke" folgt, aber irgendwie paßt da einiges nicht zusammen. Sowohl die nach wie vor beeindruckend vielschichtigen Leadvocals (übrigens zu etwas größeren Teilen clean, das psychotische Gebrüll weiter zurückfahrend als vor einem Dreivierteljahr in Weißenfels) als auch die Hintergrundgesänge hätte man gerne etwas deutlicher gehört, auch von den Gitarren bleiben, sobald die Drumschlagzahl etwas nach oben geht, die Feinheiten klassisch auf der Strecke, was sicher mitverantwortlich für den plateauhaften Eindruck der hinteren zwei Setdrittel sein dürfte. Bis auf zwei Pausen spielt die fünfköpfige Band ihren Set übrigens komplett ohne Pause durch, auch Publikumskommunikation findet im Gegensatz zu früher so gut wie nicht statt. Als dramaturgisch geschickt geht der Lichtaufbau durch: Immer wenn Anathema-Stimmungen verbreitet werden, gibt's dazu blaues Standlicht etc.; freilich muß man den lichttechnisch-dramaturgischen Schwachpunkt des Sets noch beseitigen: Bassist Max stellt sich hinten rechts erhöht in Positur, setzt zum wilden Sprung an - in diesem Moment geht aber das Licht aus, und wenn es wieder eingeschaltet wird, steht er schon wieder ganz normal auf der Bühne. Und der Sinn des von Generalpausen zerfurchten "Consequences", als Zugabe intoniert, will sich auch immer noch nicht so richtig erschließen. Zen Zebra machen zweifellos viel richtig, aber an der Kanalisierung ihrer Stärken müssen sie nach wie vor hart arbeiten. Das Publikum nimmt die Darbietung überwiegend positiv auf, wenngleich überbordende Begeisterung auch wieder anders aussieht.
Rose Kemp steigt anschließend nur mit einer E-Gitarre bewaffnet auf die Bühne und zieht ihren Set auch nur mit Stimme und E-Gitarre, ohne Samples oder sonstige Helferlein, durch. Sie singt oftmals eindringlich meist in mittelhohen bis hohen Lagen, legt allerdings finstere Doomriffs darunter, meist sogar lange Zeit auf einem Ton liegenbleibend. Das klingt in der Beschreibung interessanter, als es letzten Endes ist - das Durchhören des Sets gestaltet sich zu einer enorm anstrengenden Angelegenheit, und so verschwinden die meisten Besucher schrittweise Richtung hintere Saalhälfte (die ist rangartig ansteigend bestuhlt) oder an die Bar. Würde man hier eine fähige Rhythmusgruppe dazupacken, ergäbe sich vermutlich eine durchaus interessante Doomband (was auf den regulären Platten auch der Fall sein soll), aber in der Ausprägung dieses Abends, die in den besten Momenten wie Joan Baez auf Doom klingt, doomt einen das extrem puristische Material förmlich in die Polster der Sitze ...
Der Weckruf kommt erst im Laufe des Disillusion-Sets, denn das variationsarme Intro mit epischer Länge läßt es den Hörer irgendwann bereuen, daß er sich schon aus dem Polster erhoben hat. Aber dann geht es endlich richtig los, und man schaut gespannt, wer sich denn da auf der Bühne produziert. Andy Schmidt sieht mittlerweile ganz und gar nicht mehr wie Status Quo-Francis aus, Rajk Barthel bedient neben der zweiten Gitarre auch die Elektronik. Wer aber ist das da hinter dem Drumkit? Überraschung - der 2007 aus Zeitgründen ausgestiegene Jens Maluschka ist zurück. Aber Disillusion spielen an diesem Abend zu viert - sie haben noch eine Überraschung an Bord, nämlich nach langer Suche einen festen Bassisten namens Matthias. Das hilft den Gesamtsound einen Tick organischer zu machen, allerdings ist auch hier balanceseitig nicht alles in Ordnung. Von beiden Gitarren hört man über weite Strecken des Sets nämlich deutlich zu wenig, die von Andy fällt ausgerechnet in "Back To Times Of Splendour" über weite Strecken ganz aus, ohne daß das jemand live beheben kann. Das raubt dem Material einen guten Teil seines Reizes, und das von "Gloria" ist ja sowieso schon äußerst schwer zugänglich. Die Zeit seit dessen Release scheint mancher der Anwesenden zum genauen Studium des Materials genutzt zu haben (einzelne Enthusiasten bangen auch zu komplizierteren Rhythmen timingsicher), so daß der Titeltrack und "Don't Go Any Further" stark bejubelt werden - das warmherzige Material des Albumvorgängers "Back ..." aber stellt nach wie vor alles in den Schatten, und kaum sind die ersten zwei, drei Töne des Geigenintros von dessen Titeltrack erklungen, geht ein Jubelschrei durchs Auditorium. Den Rest des regulären Sets stellt das deutlich elektronisch-unterkühltere "Gloria"-Material, und nach nicht einmal einer Stunde ist mit dem erwähnten "Don't Go Any Further" Zapfenstreich angesagt, dem dann noch die sieben Bombastmetalminuten von "Alone I Stand In Fires", leider aber nicht die siebzehn von "The Sleep Of Restless Hours" folgen - die hat man schlicht und einfach noch nicht wieder eingeprobt, gesteht Andy. Aber einige Enthusiasten wollen sich mit dem Faktum, daß der erste Support länger spielt als der Headliner, nicht zufriedengeben, und obwohl das Hallenlicht längst wieder brennt und die Pausenmusik läuft (nachdem man beim Betreten der Theaterfabrik übrigens mit Jon Lord-Solomaterial begrüßt worden war - hätte gerne so weitergehen dürfen), gehen die Zugabeforderungen weiter. Nach mehreren Minuten erscheint das Quartett dann tatsächlich noch einmal und bietet an, einen Song zu wiederholen, da man noch nicht mehr Material eingeprobt hat. Die Chance, "Back ..." noch einmal bei vielleicht besseren Soundverhältnissen, zumindest ohne Gitarrenausfall, geboten zu bekommen, nutzt das noch anwesende Publikum nicht, sondern will nochmal "Don't Go Any Further", einen Song, dessen Titel, so meint mancher von "Gloria" überforderter Alt-Anhänger der Band, für das noch für 2010 in Aussicht gestellte nächste Studioalbum gerne programmatisch angewendet werden darf. Schaun mer mal - zunächst gilt der Satz "Welcome back!"



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