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Finntroll, Eluveitie, Dornenreich, Arkona   05.03.2010   Leipzig, Hellraiser
von rls

Packagetouren haben meist den Nachteil eines recht frühen Beginns oder aber eines späten Endes. Im vorliegenden Fall trifft erstgenannte Option ein: Der Rezensent schafft es mal wieder nicht rechtzeitig im Büro wegzukommen, erreicht den Hellraiser mit 40 Minuten Verspätung gegenüber der verbrieften und offensichtlich auch eingehaltenen Anstoßzeit - er verpaßt demnach den Opener Varg, und Arkona ist die erste Band, die er sieht. Wäre allerdings auch ärgerlich gewesen, wenn er die auch noch verpaßt hätte: Sechs Songs hochklassigen russischen Folkmetals gibt es im Set zu hören, und nachdem das Quartett offenbar schon zuvor einige Anhänger im Publikum hatte, die in den vorderen Reihen fleißig bangen, dürfte die Fanschar nach dem Gig deutlich gewachsen sein. Zwar ist der Sound besonders in den schnellen Passagen etwas zu matschig und verschluckt die im Hintergrund durchlaufenden Samples, aber das stört hier erstaunlicherweise nicht, denn wenn man die eingesampelten Instrumente wirklich mal explizit fürs Songverständnis braucht, dann sind sie akustisch auch da (daß manche der Flötentöne durchaus auch zu Falkenbach gepaßt hätten, dürfte natürlich kein Zufall sein). Vier der Songs sind überlange abwechslungsreiche Epen, die letzten beiden knackig-kurze Tanzbärsounds, die einen zum wilden Umherspringen animiert hätten, wäre die Location nicht so dicht gefüllt gewesen. Speziell der fünfte (Namen sind Schall und Rauch, gesungen wird zudem in Russisch) versetzt einen akustisch auf eine osteuropäische Feierlichkeit mit viel Feuerwasser. Im Verlaufe des Sets nehmen übrigens die extremmetallischen Zutaten im Gesamtgemisch der Band ab und die folkigen zu, was am augenfälligsten durch den Gesang widergespiegelt wird: Die Sängerin brüllt anfangs alles in bester Angela-Gossow-Manier in Grund und Boden (agiert allerdings im Gebrüll leicht vielschichtiger als diese), nur gelegentlich Akzente mit Klargesang setzend - gegen Setende verkehrt sich das Verhältnis ins Gegenteil. Überhaupt diese Sängerin: Sie hat ein Fell um die Schultern gehängt, als käme sie frisch aus Sibirien, während ihre drei Bandkollegen eher normale Kleidung tragen. Da sie den Platz auf der Bühne nur mit einem Gitarristen und einem Bassisten teilen muß, hat sie im Gegensatz zum Publikum viel Platz, um wild über die Bretter zu springen, aber das Publikum hüpft dann halt auf der Stelle, aus der Not eine Tugend machend. Frisch, anspruchsvoll und unterhaltsam - eine Entdeckung!
Dornenreich verwenden, von einigen kurzen orchestralen Türmen abgesehen, paradoxerweise fast das gleiche monoton-wabernde Intro wie Arkona, bevor sie zunächst in abgespeckter Version auf die Bühne kommen: Inve an der Geige und Eviga an Mikrofon und Akustikgitarre. Das bleibt aber nur für den ersten Song so, dann wechselt Eviga an die Elektrische, und ein Drummer kommt hinzu, was dann für den Rest des Sets so bleibt - man bekommt also die im Metal sehr seltene Kombination Stimme + E-Gitarre + Geige + Drums zu hören. Das erweckt, die gängigen Erwartungen im Hinterkopf, bisweilen den Eindruck einer Experimentierwerkstatt, was ja prinzipiell nichts Schlechtes bedeuten muß, auch wenn ein Baß doch ein erstaunlich nützliches Instrument ist, wie man allen Musikerwitzen zum Trotz festzustellen geneigt ist. Der experimentelle Faktor wird noch durch eine gewisse Nichtnachvollziehbarkeit in akustischer Hinsicht gesteigert: Sobald der Drummer nämlich die Doublebass anwirft, und das tut er durchaus nicht selten, hört man zwar noch die recht schneidend abgemischte Geige, aber die E-Gitarre nicht mehr. Leider unterbrechen Umstimmarbeiten immer wieder den Set, was die Atmosphäre, die mancher der Düstermetalsongs durchaus aufzubauen in der Lage war, regelmäßig in sich zusammenfallen läßt, und es kostet viel Energie, um sie jedesmal wieder aufzubauen. Den Ansagen nach spielen Dornenreich auch einen noch unveröffentlichten Song vom nächsten Album, der Extreme auslotet: Der Anfang knüppelt mit wilden Blastbeats alles nieder, aber dann schwenkt der Song ins Doomige über und behält das niedrige Tempo mit gewissen Variationen und Breaks auch bei, so daß hier irgendwie ein Eindruck von "My Dying Bride im Proberaum, aber der Sänger und der Bassist sind krank, wobei ersterer trotzdem da ist, zweiterer aber nicht" entsteht - man darf gespannt sein, wie die Studiovariante dieses Songs klingt. Das Publikum versteht den experimentellen Ansatz der Österreicher nur partiell, die Stimmung ist längst nicht so gut wie bei Arkona, aber man applaudiert trotzdem fleißig, auch wenn der Mittelteil des Setclosers "Wer hat Angst vor Einsamkeit" eine erschreckende rhythmische Unfähigkeit des mitklatschenden Publikums offenbart.
Eluveitie hat der Rezensent schon mehrmals gesehen, aber das ist schon ein paar Jahre her - zwischenzeitlich hat sich die paradoxerweise in der christlichen Szene großgewordene Band personell etwas gewandelt und ist bei Nuclear Blast untergekommen, spielt aber immer noch eine Art extremen Folkmetal mit großem Unterhaltungswert, auch an diesem Abend. Das Oktett vernünftig abzumischen gehört immer noch zu den schwierigsten Aufgaben im Metal, und obwohl das an diesem Abend der beste Livesound ist, den der Rezensent von den Schweizern bisher gehört hat, so ist er doch im allgemeinen Maßstab immer noch nicht als gut zu bewerten, irgendwas fehlt eigentlich immer, wenngleich es hier mal nicht die Bassdrums sind, die alles niederknüppeln. Das senkt die allgemein gute Laune aber nicht, und auch mit der beengten Bühnensituation wissen Eluveitie mittlerweile bestens umzugehen. Neben einer klassischen Rockinstrumentierung hat die Band auch noch eine Drehleierspielerin (die in einigen Songs zusätzlich ans Gesangsmikro geht), eine Violinistin und einen allerlei Gebläse spielenden Menschen in der Besetzung, auch Sänger Chrigel (der sein Mikro in typischer Lemmy-Position aufgebaut hat) greift bekanntermaßen gelegentlich noch zur Flöte oder spielt Mandoline. Freilich sollte er sich bisweilen mal überlegen, was er da von sich gibt: Einen Circle Pit für einen Song einzufordern, der dann zwei längere Akustikbreaks enthält, hat etwas von Realsatire (was bitteschön sollen die Leute in der Zeit machen - stehenbleiben?), und beim folgenden "Dominion" die Aufforderung noch einmal zu wiederholen, obwohl dieser Song nach seinem alles niederknüppelnden Anfang schnell doomig-schleppend wird und das zumeist auch bleibt, senkt den ungewollten Satirefaktor keineswegs (was bitteschön sollen die Leute hier machen - schleichen?). Neben Klassikern wie "Inis Mona" stellen Eluveitie auch etliche Songs ihres justament auf den Markt gekommenen Albums "Everything Remains As It Never Was" vor, bei denen das Applausometer kaum schwächer ausschlägt; zum Leidwesen der Anhängerschaft, zu der auch das optisch äußerst attraktive dunkelhaarige weibliche Wesen zählt, das die zweite Hälfte des Sets links neben dem Rezensenten verbringt, darf die Band, die Intro und Outro ihrer Show mit Flöten der Bauart ausstaffiert hat, die auch Moonspell in "Trebraruna" verwendeten, keine Zugabe spielen.
Finntroll hat der Rezensent letztmalig 2004 gesehen, und zwar in einem deutlich gewichtigeren Line-up. Der schrankartige Keyboarder Trollhorn und der auch recht voluminöse Sänger Tapio Wilska sind mittlerweile zumindest live nicht mehr dabei (erstgenannter steht zumindest für die Studioarbeit noch zur Verfügung, letzterer ist komplett ausgestiegen, aber witzigerweise justament einen reichlichen Monat vorher mit seiner neuen Band Survivors Zero im sächsischen Areal zu sehen gewesen), ihre Ersatzleute stellen sich als Spargeltarzans heraus, aber sie machen ihre Sache musikalisch beileibe nicht schlechter. Trotz spürbarer Anhebung des metallischen Härtegrades sind immer noch zahlreiche flotte Tanzparts und schmissige Melodien am Start, die man dank eines verhältnismäßig klaren Soundbildes (das übrigens von einem niedlichen weiblichen Wesen mit langen dunklen Haaren koordiniert wird - nur eine etwas differenziertere Rhythmusgitarre bleibt als Wunsch offen) auch relativ problemlos durchhören kann. Daß die Band keinesfalls nur geradeaus durch ihre Songs steuert, zeigen die absonderlichen Tempowechsel im Schlußteil von "Slaget Vid Blodsälv", auch ein paar fast balladesk zu nennende Elemente werden eingeflochten. Die stärksten Reaktionen im Hauptset erntet allerdings der Mini-Hit "Trollhammaren" - zu Recht übrigens: Er macht schlicht und einfach noch ein klein wenig mehr Hörspaß als der Rest des Sets. Mit dem Spaß ist's aber so eine Sache: Das Publikum hat, wie man sieht und hört, jede Menge davon - dann aber verschwindet die Band nach dem regulären Set von der Bühne, und es wird auf einmal still im vollen Saal, es beginnt gar eine leichte Abwanderung. Wenn man eine Zugabe haben will, sollte man das die Band ja eigentlich auch hören lassen - so entsteht aber eine relativ eigenartig-angespannte Atmosphäre, noch einmal etwas anders gelagert, aber nicht weniger paradox als zwei Tage zuvor bei The BossHoss. Irgendwann kommt der Drummer dann doch noch zurück auf die Bühne, spielt ein Minisolo, aus dem sich dann "Jaktens Tid" entwickelt, und die Stimmung ist plötzlich wieder am Kochen wie im Hauptset selbst. Eigenartig - aber eben kein Einzelfall, sondern bereits auf mehreren Gigs in letzter Zeit beobachtet. Verlernt die junge Generation (die einen guten Anteil des Publikums stellt) das "korrekte" Benehmen auf Konzerten (wozu übrigens auch gehört, daß man beim Hinausgehen nicht den im Hellraiser sowieso schon engen Durchlaß noch weiter verengt, indem man sich rechts oder links mit einer Runde Kumpels aufpflanzt und dadurch einen Rückstau bis weit in die Halle hinein erzeugt)?



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