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Arch Enemy, Destruction, Triosphere   19.12.2009   Leipzig, Hellraiser
von rls

Langsam wird das Zeitmanagement im Hellraiser zum Running Gag. "19 Uhr Einlass, 20 Uhr Beginn" verkündet die Homepage, also eine Stunde früher als sonst in dieser Lokalität üblich, was bei einem Vier-Band-Package ja auch vernünftig wäre. Der Rezensent ist exakt 20 Uhr da und reiht sich in eine Schlange bei 12 Grad unter Null frierender Metaller ein. 20.15 Uhr beginnt der Einlaß und das Konzert letztlich eine Stunde später mit den Norwegern Triosphere. Die spielen einen aus sieben Songs bestehenden Set und stellen darin sowohl vier Songs ihres Debütalbums "Onwards" als auch drei ihres kommenden Albums "The Road Less Travelled" vor. Stilistisch widmet sich das Quartett dem midtempoorientierten Power Metal; wenn der Drummer (der im übrigen fast dauernd bangt und dabei aussieht, als stamme er aus der Muppet Show) mal das Tempo nach oben schraubt, dann bleiben das erstens kurze Intermezzi und erfolgt das zweitens im Stakkato, nicht im Offbeat. Dabei sind einige schräge Rhythmus- und auch Harmoniewechsel festzustellen, die sich nach einmaligem Hören noch nicht erschließen wollen, etwa in den neuen Songs "21" oder "The Death Of Jane Doe" - besonders das Hauptsolo des letztgenannten hinterläßt einen fast patchworkartigen Eindruck. Den Leadgesang übernimmt übrigens die Bassistin, und das tut sie in ausgesprochen guter Manier, stimmlich irgendwo in der Nähe von Marta Gabriel (Crystal Viper) mit einem kleinen Schuß Doro angesiedelt und auch in den Ansagen supersympathisch rüberkommend. Einige Refrains versieht der Leadgitarrist noch mit einer zweiten Stimme, die gar nicht so weit vom Leadgesang entfernt liegt; zudem kommt ihm neben den musikalischen Aufgaben (zu denen auch zweistimmige Leads mit seinem sonst eher Rhythmusarbeit leistenden Partner gehören, die latent an die klassische Iron Maiden-Schule erinnern) noch die Funktion als Applausanheizer zu - er klatscht unmittelbar nach Songende einfach selber drauflos. Nicht nur deshalb ist die Stimmung im Hellraiser prächtig, und das Quartett erntet sogar vehemente Zugabeforderungen, die aber nicht erfüllt werden dürfen. Nur ein Problem: Es ist schön, wenn auch den Vorbands die volle Lichtanlage zur Verfügung gestellt wird - aber der Blendeffekt hätte trotzdem etwas gemäßigt werden dürfen.
Danach wartet man auf Abigail Williams - aber die finnischen Symphoblackmetaller glänzen aus unbekannten Gründen durch Abwesenheit. Die Hellraiser-Page hatte für den Gig sowohl Triosphere als auch Abigail Williams angekündigt, während man in anderen Quellen, z.B. im RockHard, lediglich Abigail Williams ohne Triosphere genannt fand. Sei es, wie es sei: Das Zeitmanagement verlagert sich durch die Reduzierung auf drei Bands wieder ein Stück in den grünen Bereich, und auf die Bühne steigen als nächstes Destruction. Der Rezensent ist nie ein großer Fan der Truppe gewesen, und sein Lieblingsalbum von ihr ist paradoxerweise das allgemein wenig geliebte "Cracked Brain", das ohne das aufgesetzt wirkende böse Image auskommt und auch musikalisch wohl das Anspruchsvollste ist, was Gitarrist Mike Siffringer (damals ohne Bassist/Sänger Marcel "Schmier" Schirmer) bisher auf die Beine gestellt hat. Aber natürlich haben Destruction im Verlaufe ihrer langen Karriere noch andere großartige Songs geschrieben, wobei es an diesem Abend einen relativ oldschooligen Set gibt, darunter mit "Death Trap" eine "alte Kamelle", die sich nur äußerst selten in die Setlisten des Trios verirrt. Freilich hätte es auch andere Möglichkeiten der Setzusammensetzung gegeben - die Liste auf dem Mischpult weist als Kandidaten etwa noch "Metal Discharge" aus, das aber gestrichen worden ist. Das Problem ist nur, die Songs korrekt herauszuhören, denn nachdem Triosphere noch einen recht transparenten und nicht überlauten Sound hatten, der nur in den Doppelleads ein wenig zu sehr klirrte, haben Destruction unter einem Soundgewand zu leiden, das zwar dem Schlagzeug einen äußerst klaren Sound zuweist, aber besonders Gitarre und Baß (und es ist schon nur eine Gitarre abzumischen!) zu einem wenig differenzierten Etwas verschwimmen läßt, das phasenweise auch die Vocals beeinträchtigt. Wenn erst beim zweiten (!) Refrain erkennbar ist, daß das, was da als zweiter Song gespielt wird, "The Butcher Strikes Back" sein soll, dann gibt es definitiv ein Problem. Das verkleinert sich zwar ab "D.E.V.O.L.U.T.I.O.N.", Song 3, etwas, so daß besonders die Vocals deutlicher wahrnehmbar werden, aber Gitarre und Baß bleiben wandartig und werden teilweise noch von einer Art Grunddröhnen überlagert. Trotzdem zeigt sich das Publikum recht feierfreudig, die Band ist offensichtlich auch in Spiellaune, und nachdem Herr Schirmer von geschrieenen zu normal gesprochenen Ansagen übergegangen ist, wirkt er auch gleich viel sympathischer. Beeindruckend übrigens, wie er die spitzen Schreie, die definitiv das Format eines Jon Oliva haben, immer noch hinbekommt, teils ansatzlos aus seinen eher tief-rauhen Vocals in diese Spitzen gleitend. Aber auch er wird nicht jünger: Im Schlußteil von "Curse The Gods" häufen sich diese Schreie, und da hört man doch deutlich, wie die Stimme müde wird, während bei Einzeldosierung die Treffsicherheitsquote sehr hohe Werte annimmt. Zugabeforderungen wirkt die Band durch Einspiel eines Outros entgegen, und auch wenn man mit "Nailed To The Cross" nicht unbedingt sympathisieren muß, kann man dem Trio doch einen starken Thrashset attestieren, der in einem Medley neben weiteren eher selten zu hörenden Highlights wie "Reject Emotions" doch tatsächlich auch den Titelsong von "Cracked Brain" enthält.
Setlist Destruction:
Curse The Gods
The Butcher Strikes Back
D.E.V.O.L.U.T.I.O.N.
Life Without Sense
Death Trap
Thrash 'Til Death
Medley
Mad Butcher
Nailed To The Cross
Bestial Invasion
Total Desaster
Arch Enemy hatten den Rezensenten ein Jahrzehnt zuvor zur Aufstellung der Theorie genötigt, daß Melodic Death Metal einen eher überschaubaren Beglückungsfaktor beinhaltet, wenn man die Gitarren nicht klar und deutlich hören kann. Das war im Rahmen einer Packagetour mit Children Of Bodom, Dark Tranquillity und In Flames, die in der Moritzbastei zu Leipzig Station machte. Damals sang bei Arch Enemy noch Johan Liiva, während der Rezensent die Stücke der Gossow-Phase vor dem Gig dieses Abends nur auf Tonkonserve kennt, aber noch nicht live erlebt hat. Schon die Konserve allerdings läßt das Grundproblem deutlich werden: Der enormen melodischen Vielfalt, welche die Amott-Brüder mit ihren Gitarren erzeugen, steht ein fast monoton zu nennender Krümelmonster-Gesang gegenüber. Es mag unpopulär klingen, aber mit variablerem Gesang könnten Arch Enemy möglicherweise noch mehr erreichen. Das soll nicht als Affront gegen Angela verstanden werden - vielleicht beherrscht sie ja auch andere Vokalstile, traut sich aber nicht, diese bei der Band einzusetzen. Und ihr sympathisches Auftreten macht sie für die Band auch enorm wertvoll, sofern sie nicht gerade wieder in ihre alte "Krankheit" zurückfällt, auf Gigs vor rein deutschsprachigem Publikum englische Ansagen zu bringen. Von diesen gibt's in Leipzig nur eine und ansonsten relaxt-freundliche Plaudereien in normaler Artikulationsweise. Sympathisch ihre Reaktion, als das Publikum nach dem zweiten Song "Angela"-Sprechchöre anstimmt: "Wir hätten doch Backdrops aufhängen sollen - die Band heißt Arch Enemy, und ich bin hier nur ein kleines Rädchen. Aber ich freu' mich natürlich. Danke!" Musikalisch sind freilich die Amott-Brüder der Dreh- und Angelpunkt der Band, und was die an diesem Abend abliefern, gehört zur Spitzenklasse - soweit man es hören kann. Das trifft hauptsächlich auf die höheren Frequenzen zu, also die gesamten Leads, was erstmal positiv zu bewerten ist. Aber von den tieferen Frequenzen der Gitarren und quasi dem kompletten Baß des Hünen Andreas Pettersson (wie auch immer der auf das Pseudonym Sharlee D'Angelo gekommen ist ...) hört man, sobald der Drummer die Doppelfußmaschine anwirft (und das tut er in weiten Strecken des Materials oft und gern), wenig bis nichts mehr, und das ist schade, denn so reduzieren sich viele Passagen in der Hörwahrnehmung auf Vocals, Leadgitarren und Drums. Freilich läßt sich der zu etwa zwei Dritteln gefüllte Hellraiser trotzdem nicht davon abbringen, die Band abzufeiern, aber gerade die unmittelbar ineinander übergehenden gefühlvollen Gitarrensoli Chris' und Michaels (die von sehr dezenten Drums begleitet werden, und der Drummer wird durch einen Lichtschirm auch optisch so weit nach hinten gestellt, daß man ihn praktisch nicht spielen sieht) verdeutlichen, was hier eigentlich herausholbar gewesen wäre und was die Studioaufnahmen so hochwertig macht: Spieltechnik und Gefühl gehen eine wunderbare Symbiose ein. Dazu dann noch exzellente Songs wie "Dead Eyes See No Future" oder gleich der Opener "The Immortal" - Hätte, Wenn und Aber helfen im Nachgang indes auch nicht mehr. Von der Setlist her gehen Arch Enemy immerhin bis zum Debüt "Black Earth" (mit dem enorm schnellen, aber von Angela als Ballade angesagten "Bury Me An Angel" - die Ansage ist seit Ian Gillan zwar auch nicht mehr neu, aber immer wieder nett) zurück und trauen sich auch, den Zugabenteil nicht mit einem Kracher, sondern dem gefühlvollen Instrumental "Snowbound" einzuleiten, bevor es mit dem zum imaginären Fahrenschwenken animierenden "Nemesis" doch nochmal in die Vollen geht. "Fields Of Desolation" wird als Outro dann vom Band eingespielt und unterbindet weitere Zugabeforderungen. Zu brandmarken bleibt abschließend nur noch die neue T-Shirt-Gestaltung der Band: Neben anspruchsvollen wie ansprechenden Motiven findet sich da nämlich auch ein simples Pentagramm, und jetzt rennen wieder ein paar tausend Kiddies damit herum, ohne Ahnung davon zu haben, was das eigentlich bedeutet (während der Rückenschriftzug den unausrottbaren Irrglauben, das stünde für "Pure Fucking Metal", mal wieder nährt). Gerade eine anspruchsvolle und musikalisch hochwertige Band wie Arch Enemy hat eine derartige Simplifizierung und Wahrnehmungsreduzierung nun wahrlich nicht nötig.
Setlist Arch Enemy:
Intro
The Immortal
Revolution Begins
Ravenous
Blood On Their Hands
My Apocalypse
Demonic Science
Dead Eyes See No Future
Drum Solo
I Will Live Again
Bury Me An Angel
Taking Back My Soul
Chris Guitar Solo
Michael Guitar Solo
Dead Bury Their Dead
We Will Rise
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Snowbound
Nemesis
Fields Of Desolation (Outro)



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