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Dropkick Murphys, Against Me!, Deadly Sins   05.04.2008   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Grün ist die Farbe der Hügel von Irland, und Grün ist auch die dominierende Farbe an diesem Abend im ausverkauften Haus Auensee, was die vertretenen Bandshirts im Publikum angeht, sogar noch vorm sonst für härtere Musizierformen typischen Schwarz. Die Dropkick Murphys ziehen ein interessant gemischtes Publikum vom Normalo, den man sonst nie auf einem Rockkonzert sieht, bis zum Bitterböses-Black-Metal-Shirt-Träger, fast sämtliche Schattierungen dazwischen inbegriffen - und alle stehen wie ein Mann hinter "ihrer" Band. Die mantraartig vorgetragenen Schlachtrufe "Let's go, Murphys!!!" erreichen jedenfalls eine Frenetizität, wie man sie ansonsten wohl nur noch bei Slayer vermutet. Wie bei Slayer haben es auch bei den Dropkick Murphys die Vorbands eher schwer und müssen ihre Professionalität bei den auch während ihrer Gigs immer mal angestimmten Mantras unter Beweis stellen. Die Deadly Sins, die offensichtlich pünktlich oder überpünktlich angefangen haben (der Rezensent gelangt von außen her um 20.03 Uhr in den Bereich, wo man auf der Straße hört, wenn drinnen eine Band spielt, und zu diesem Zeitpunkt sind Deadly Sins schon aktiv), gehen sicher mit der Situation um und lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen, so daß sich in der ungefähr zehnten Reihe sogar ein kleiner Pogopit bildet. Irgendwie stellt die Band sowas wie die Punkversion der alten Warlock dar, woran nicht zuletzt die wasserstoffblonde und schwer tätowierte Sängerin ihren Anteil hat, die allerdings noch einen Tick enthusiastischer über die Bühne tobt als Fräulein Pesch. Ihre Gesangsleistung einzuschätzen fällt schwer, denn wie es fürs Haus Auensee typisch zu werden scheint, geht der Gesang im Gesamtmix unter, und der ebenfalls singende linke Gitarrist kann sich akustisch ein wenig besser durchsetzen. Der huttragende rechte Gitarrist und der Drummer steuern typische Singalongbackings bei, der Bassist sieht so aus wie eine bartlose Version des Klassenlehrers des Rezensenten im 5. und 6. Schuljahr (das war in den tiefsten Achtzigern) - und die Songs? Naja, Punkrock halt, solide gespielt und meist höheren Tempos, aber nur in einem etwas langsameren Stück ins Langzeitgedächtnis vordringend, weil dort das Riff zu Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" durch den Wolf gedreht wird, und in einem weiteren, weil er eine Ballade antäuscht, aber dann mitten in der Strophe plötzlich und abrupt in den gewohnten schnellen Punkrock umschaltet. Live ist das Ganze für eine reichliche halbe Stunde durchaus unterhaltsam, die Qualitäten im konservierten Bereich wären bei Gelegenheit zu prüfen (dann dürfte sich auch der Gesang besser beurteilen lassen).
Against Me! wählen eine andere Strategie, um den Mantras zu entgehen - sie spielen ihre Songs zumeist zu mehreren am Stück und lassen nur sehr knappe Ansagepausen, in denen sich die Mantras entfalten könnten. Was sich anfangs ebenfalls wie typischer Punkrock der Hochgeschwindigkeitssorte anhört, gewinnt mit fortschreitender Dauer des Sets allerdings auch noch etwas anders geartete Komponenten hinzu, und im Gegensatz zu den Deadly Sins gibt's hier sogar Gitarrensoli zu hören, wobei der rechte Gitarrist anfangs die Angewohnheit offenbart, sich während seiner Soli vor seinen Verstärker zu stellen und dem Publikum den Rücken zuzuwenden, was er in der Setmitte aufgibt, um es am Schluß erneut so zu praktizieren. Der Hauptteil des Gesangs kommt vom linken Gitarristen, aber strophenweise übernehmen auch sein Gitarrenpartner und der Bassist diesen Job mit, was zum interessanten Ergebnis führt, daß sich das Ganze trotzdem recht homogen anhört, da sich alle drei stimmlich zwar durchaus unterscheiden lassen, aber nichtsdestotrotz relativ nahe beieinanderliegen. Dazu kommt ein Drummer, der erhöht sitzt und durch sein Muscleshirt das Publikum opisch in besonders starker Weise an seiner Arbeit teilhaben läßt. Und die Songs? Naja, Punkrock halt, wie erwähnt auch mit anderen rockigen Zutaten, aber wenig, was man über den ersten Liveeindruck hinaus noch im Gedächtnis behalten würde. Dann schon eher optische Aspekte: Bis auf die Schuhe gleichen sich die drei Saitenbediener in ihrer sichtbaren Kleidung wie ein Ei dem anderen. Der Sound ist übrigens etwas klarer als bei den Deadly Sins, aber sonderlich viele differenzierte Parts, die man exakt heraushören müßte, gibt es auch bei Against Me! nicht. Der Pogopart fällt etwas größer aus als beim Opener und ist zudem weiter vorn in der Halle angesiedelt, auch die ersten Crowdsurfer schweben über den Köpfen des restlichen Publikums.
Die Mantras nehmen schon während der Umbaupause immense Ausmaße an (Crowdsurfer sieht man in Umbaupausen sonst auch eher selten), und vom Intro der Dropkick Murphys bekommt man somit akustisch fast nichts mit. Danach legt das Septett (das übrigens keineswegs aus der Nordwestecke Europas kommt, sondern aus Boston - aber dorthin sind ja in der Mitte des 19. Jahrhunderts viele Iren ausgewandert) mit seinem brachialen Mix aus klassischem Punk und Zutaten aus der iro-schottisch-keltisch-gälischen Tradition los. Ein Teilzeit-Ire wie Kollege Thorsten könnte vermutlich detailliert aufzählen, bei welchem der Songs es sich um adaptierte Traditionals handelt, bei welchen nur einzelne Melodien übernommen wurden und welche Eigenschöpfungen im entsprechenden stilistischen Gestus sind - der Rezensent kann das aus zwei Gründen nicht: Ihm fehlt weitenteils der musikalische Background der erwähnten Tradition, und der Sound macht die Identifikation noch zusätzlich schwer. Der Rock- bzw. Punkaspekt dominiert klar, die anderen Instrumente sind dagegen kaum zu hören. Als akustisch noch günstigster Platz stellt sich wie schon bei HIM der Emporenaufgang am der Bühne entgegengesetzten Hallenende heraus, aber selbst dort ist der Dudelsack allenfalls zu erahnen und das Akkordeon, zu dem der etatmäßige zweite Gitarrist gelegentlich greift, völlig unhörbar. Auch das Banjo entfaltet nur in den wenigen ruhigen Passagen seine Wirkung, und so sind es die Flöten, die von der folkloristisch angehauchten Seite her noch am ehesten wahrgenommen werden können und neben den in die Rockbesetzung "übersetzten" traditionellen oder traditionell nachkomponierten Melodielinien für das besondere Etwas des Livesounds dieses Abends sorgen. Das Publikum stört sich an der zu undifferenzierten Klangwand erwartungsgemäß ganz und gar nicht, feiert eine gigantische Folkpunkparty und erweist sich bei den zahlreichen Gelegenheiten, die ihm seitens der Sangesfraktion geboten werden, auch als ausgesprochen textsicher. Besagte Sangesfraktion besteht übrigens gleich aus fünf Menschen, nämlich der kompletten Band außer dem Dudelsackspieler/Flötisten und dem Drummer; die fünf singenden Frontleute (von denen nur einer kein Instrument mehr abbekommen hat) rochieren ständig in der Position, wobei der Hauptanteil des Leadgesangs vom erwähnten instrumentenlosen Menschen und seinem Baß spielenden Kollegen (das einzige verbliebene Mitglied der 1995er Urbesetzung übrigens) bestritten wird. Als ruhigster Song des Abends erklingt die traditionelle Hymne "The Wild Rover", die auch für den Rezensenten einen der Höhepunkte des Gigs stellt, wenngleich ihm die gewöhnungsbedürftige, aber exzellente Version von Tyr im Direktvergleich noch ein wenig besser gefällt. Das Publikum wird hier in den Refrain nach dem Klatschbreak einbezogen und intoniert mehrheitlich den Originaltext, verzichtet also auf pseudohumoristische "Noooordseeeeküste"-Anwandlungen zweier Menschen vornamens Klaus. Einige wenige der Riffs mancher Songs offenbaren übrigens eine seltsame Ähnlichkeit zu älteren Primordial-Alben, was diesen verwaschen-schrammeligen Ton angeht. Zufall oder nicht? Ein Fall für die Musikwissenschaft? Immerhin widmen sich auch Primordial trotz anderen musikalischen Genres irischen Thematiken (und sicherlich ist mancher Vorfahre der Dropkick Murphys-Musiker einstmals mit den Primordialschen "Coffin Ships" nach Amerika gekommen). Zur ganz großen Party wird der Set, als vor dem letzten Song die Damen im Publikum aufgefordert werden, die Bühne zu stürmen - so stehen dann letztlich ungefähr 40 Personen weiblichen Geschlechts schunkelnd oder auf dem wenigen zur Verfügung stehenden Platz lustig durcheinanderpogend auf den Bühnenbrettern, und man fragt sich schon, wie die Band das noch toppen will, ohne die Intensität dieses Moments wieder abzuschwächen. Einen Zugabenblock gibt's natürlich trotzdem (eingefordert wird dieser bei den Dropkick Murphys natürlich nicht mit dem Wort "Zugabe", sondern - man errät's schon - mit dem Mantra), und zu dessen letztem Song ergeht die Aufforderung des Bühnenenterns an die Herren. Von denen sind ein paar mehr im Publikum, und irgendwann muß die Bühne wegen Überfüllung wieder abgeriegelt werden, und mit Pogen ist es wegen der Enge auch nicht mehr weit her. Wie es die Band, die irgendwo zwischen den "Gästen" verstreut steht, in dieser Situation noch schafft, auf den Punkt tight zu spielen, bleibt ein Rätsel, dessen Lösung wohl irgendwas mit blindem Verständnis untereinander zu tun haben muß, und die Backings werden von den "Gästen" übernommen. So endet eine soundseitig alles andere als perfekte, stimmungsseitig aber nicht leicht übertreffbare Show, die übrigens auch den längsten Headlinerset (von Den Ärzten 2007 in Leipzig abgesehen) beinhaltete, den der Rezensent jemals von einer Punkband gesehen hat (er sah nicht auf die Uhr, aber das dürften deutlich über zwei Stunden gewesen sein). Und wenn dann vielleicht beim nächsten Mal auch der Sound noch stimmt ...



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