www.Crossover-agm.de
Doro, Chalice, Overload   20.10.2007   Leipzig, Hellraiser
von rls

Langsam muß sich der Rezensent mal angewöhnen, zu Konzerten im Hellraiser sicherheitshalber überpünktlich zu erscheinen. Als er nämlich Punkt 21 Uhr (das war die verbriefte Anstoßzeit) auf den Hellraiser-Parkplatz rollte, erschollen aus dem Gebäude schon liebliche metallische Weisen, die sich, als er wenige Minuten später den Innenraum betrat, erzeugerseitig in Gestalt einer Band namens Overload manifestierten, die so ungeplant ins Billing dieses Gigs gerutscht sein mußte, daß anstelle ihres Namens in der Running Order, die am Mischpult lag, nur eine Reihe Fragezeichen prangte. Ebenjene Running Order wies auch aus, daß die Band planmäßig bereits 20.45 Uhr begonnen haben dürfte, wobei kurz nach 21 Uhr die Halle einen großen Teil ihres späteren Füllstandes erreicht hatte, die Reihen also auch eine Viertelstunde zuvor nicht ganz leer gewesen sein dürften, wie man es ja oftmals erlebt, wenn Supportbands vor dem ausgewiesenen Startzeitpunkt beginnen müssen. Der Rezensent bekam von Overload noch die letzten vier Songs mit, die sich aber nicht so richtig auf eine Stilrichtung festlegen wollten und von rauhem, aber immer noch melodischem Thrash (der Setcloser) über mannigfache Abstufungen des Speed und Power Metals bis hin zur Halbballade "Madman's Dinner" ein breites Spektrum auffuhren, aber in allen Stilistika zu überzeugen wußten. Als weiteres Element der Vielfalt kam eine Sängerin hinzu, die in den vier gehörten Songs schätzungsweise die Hälfte der Vocalparts bestritt, die genannte Habballade allein intonierte und dafür beim genannten Closer die Bühne verließ, da dieser gesangsseitig ausschließlich vom Leadgitarristen (der die andere Hälfte sang) bestritten wurde. Während die Sängerin bisweilen der Headlinerin des Abends nicht unähnlich agierte (in der Gesamtbetrachtung aber etwas geschliffener sang), hörte man vom Leadgitarristen typische rauhe Thrashvocals gemäßigter Prägung, wobei auch die Ansagen ähnlich gehalten waren, was für eine unbekannte und unangekündigte Band natürlich nicht so den promotionalen Effekt bringt, wenn man nicht mal den Bandnamen versteht. Dafür bot das Quintett aus der Cornflakesstadt Wurzen aber spielerisch eine sehr gute Leistung, und auch die Songs machten prinzipiell Spaß, boten selbstredend nichts existentiell Neues, zeitigten aber gute Ergebnisse in der Traditionspflege und wurden durch einen gut differenzierten Sound unterstützt. Immer wieder erstaunlich, was es im eigenen Regierungsbezirk für starke Bands gibt, von denen man noch nie was gehört hat ...
Trotz sechs Alben sind Chalice (wo ist gleich noch dieses a mit dem drübergestellten Haken, das eigentlich in den Bandnamen gehört, auf der Tastatur?) über den Underdogstatus nie richtig hinausgekommen, und auch diverse hochkarätige Supporttourneen haben an diesem Zustand noch nichts ändern können (man war bereits 2001 mal mit Doro unterwegs gewesen, seitdem noch mit diversen anderen Big Playern, und 2007 geht man auch noch mit Tesla on the road). Musikalische Gründe für diesen Status können kaum vorgebracht werden, denn in den neun Songs des Abends zeigte sich das Quintett als gut eingespielte Melodic Rock-Truppe mit durchaus interessanten, wenngleich natürlich nicht revolutionären Songs im Gepäck. Trotz aller spielerischer Klasse der Saitenfraktion (der Keyboarder stand im Mix ein klein wenig zu weit hinten, um ihn adäquat bewerten zu können) hinterließen Songs wie "Run For Cover" oder "Shotgun Alley" bisweilen einen etwas zu biederen Eindruck. Dem versuchte die Band in anderen Songs allerdings erfolgreich zu begegnen, so etwa in "Sweet Taste Of Live", das ein paar leicht angedüsterte Elemente injiziert bekommen hatte (ist es Zufall, daß sich die eröffnende Tonfolge auch in Type O Negatives "Black No. 1" entwickeln könnte?). Auch die Halbballade "Falling" klang erfreulich unhölzern, und mit "Hollywood Daze" präsentierte man gar noch einen Song von einer Projektplatte, auf der man das eigene Liedgut in Halbakustikversionen umgestrickt hatte, wobei der hier vorgestellte Song einen flotten Beat an den Tag legte und mit leicht verändertem Drumming fast in die Surfschublade gepaßt hätte. Für die gut arrangierten Backingvocals sorgte übrigens die Rhythmusfraktion, während der Leadsänger speziell gegen Setende an manchen Zeilenenden unangenehm nach unten aus der Melodiespur kippte. Insgesamt ein guter Gig, wenngleich nicht weltbewegend und vom Publikum, ein paar permanente "Doro"-Zwischenrufer ausgeklammert, durchaus wohlwollend goutiert.
Setlist:
Opera Burns
Shotgun Alley Turn Into
Shadow Of My Soul
Falling
Hollywood Daze
Sweet Taste Of Live
Run For Cover
Kick It
Nach der nächsten Umbaupause zeigte sich allerdings, weshalb das Publikum im wesentlichen hier war. Man mußte ja vorher befürchten, allein in der Halle zu stehen, denn der rockende Traditionalist hat es in Leipzig nicht leicht: Wochen-, ja monatelang steht kein größeres Konzert an, dann aber muß man sich an einem Abend zwischen Meat Loaf und Doro entscheiden, nachdem zwei Tage vorher schon Status Quo für eine Belastung der Geldbörsen von 2000 Traditionalisten gesorgt hatten und vier Tage vorher auch noch Gotthard und The Poodles dagewesen waren. So war die Halle nur unwesentlich stärker gefüllt als bei Paradise Lost drei Wochen zuvor, aber dafür übertraf die Feierstimmung des Auditoriums die von vor drei Wochen um etliche Prozentpunkte und rief beim Rezensenten wohlige Erinnerungen an legendäre Mittneunziger-Konzerte wie eben sein erstes und bisher auch letztes Doro-Konzert anno 1993 in Chemnitz hervor. Im Gegensatz zu diversen anderen Gigs, bei denen die Feierstimmung des Publikums bei nüchterner Betrachtung des musikalischen Geschehens eigentlich keinen rationalen Grund zur Entstehung gehabt hätte, kam hier allerdings von der Bühne auch der passende Soundtrack, unterstützt noch durch eine geschickte Songauswahl. Doro grub tief in der eigenen Vergangenheit, so daß sich der Set über weite Strecken aus alten Warlock-Nummern zusammensetzte, dabei neben Pflichtstoff wie der programmatischen Hymne "True As Steel" oder dem begeistert aufgenommen "Burning The Witches" auch einige Ausgrabungen wie "Fight For Rock" oder "Metalracer" berücksichtigend. Daß man auch das für Doro-Verhältnisse recht komplexe "Hellraiser" berücksichtigte, war eine äußerst nette Überraschung (wenngleich angesichts des Auftrittsortes eine nicht unlogische Wahl); an neueren Songs kamen im Hauptset lediglich "You're My Family", "Above The Ashes" und "Strangers Yesterday" zum Zuge, letztgenanntes den einzigen Durchhänger des Gigs markierend. Die Band präsentierte sich als eingespielte Einheit (immerhin ist Basser Nick Douglas schon über anderthalb Jahrzehnte an der Seite Doros zu finden, und auch Drummer Johnny Dee spielte bereits auf der 1993er Tour mit), wobei auch hier die Rhythmusgruppe für die Backingvocals sorgte. Die Chanteuse selbst präsentierte sich gesanglich in guter Verfassung (es hat ja, wenn man die Alben so durchhört, etliche Jahre gedauert, bis sie nicht nur eine eigenständige, sondern auch eine liniensichere Stimme besaß - hier werden wohl die perfektionistischen US-Produzenten der ersten Soloalben die meiste Arbeit investiert haben, und das Ergebnis gibt ihnen ja auch durchaus recht), war in blendender Laune, bezog die ersten Reihen sehr häufig ins gesangliche Geschehen ein (wobei man, wenn man an diesem Abend eine Liveplatte mitgeschnitten hätte, aus musikästhetischen Gründen einiges rausschneiden müßte, ähem ...) und ließ jeden in der Halle spüren, daß sie froh über sein Anwesendsein und seine Anhängerschaft war. An die diesbezüglichen, leicht pathetisch anmutenden Ansagen mußte man sich zwar erst wieder gewöhnen, bezog sie jedoch bald als passendes Element ins Gesamtbild ein - der Fanhuldigung in Form des Songs "You're My Family" (was ja auch der Realität entspricht) hätte es da gar nicht mehr bedurft, und im Gegensatz etwa zu den verbal ähnlich fanbezogen agierenden Manowar nimmt man Doro deutlich eher ab, daß sie es ehrlich meint (auch wenn 50% englische Ansagen und Anfeuerungen vor einem deutschen Publikum nicht der Weisheit letzter Schluß sind). Immerhin änderte sie auf Zuruf auch gleich mal die Setlist - nachdem "East Meets West" schon früh aus den Publikumsreihen vehement gefordert worden war, wanderte der Song aus dem Zugabenteil, wo er eigentlich vorgesehen war, nach vorn an Position 8 des Hauptsets, während "Ungebrochen" die Gegenrichtung einschlug. Nicht mal das Drumsolo animierte zum Gähnen (nein, man hörte nichts Neues, aber es machte Spaß zuzuhören), und die ersten balladesken Töne wurden erst an Setposition 13 angeschlagen, nämlich mit dem unvermeidlichen "Für immer", das trotz allem emotionalem Ausdruck trotzdem die Fragen aufwarf, warum man für seine Performance gleich zwei Keyboards brauchte (akustisch wahrnehmbare Gründe dafür gab es nicht) und warum, der gespielten recht stark rhythmisch strukturierten Version Knüppel zwischen die Beine werfend, ein verwässernder Echoeffekt auf die Vocals gelegt wurde. Da wußte die anschließende Version von "Breaking The Law" (gedoppelt, erst als Ballade und dann als Rocker) deutlich mehr zu überzeugen. Hernach addierte man nicht gleich noch "Fear Of The Dark" (wogegen der rechte Nebenmann des Rezensenten mit seiner von Maiden-Aufnähern geprägten Kutte sicher nichts einzuwenden gehabt hätte), sondern schloß den Hauptset mit "All We Are", bevor der Zugabenteil gegenüber dem Plan auch noch etwas umgestrickt wurde, indem nach den ersten beiden Zugaben die erste Reihe zur Wunschäußerung aufgefordert wurde. Der linke Nebenmann des Rezensenten konnte sich mit seinem Wunsch nach "A Whiter Shade Of Pale" akustisch nicht bis vorn durcharbeiten, und die erste Reihe unterließ es tunlichst, Obskuritäten wie "Bis aufs Blut", Nummern von Nicks 2007 erschienenem erstem Soloalbum oder "The Fortuneteller" (letztgenanntes war 1993 in Chemnitz als erste Zugabe gespielt worden) zu fordern, sondern einigte sich auf das verschobene "Ungebrochen" und die Hymne "Love Me In Black", die einen perfekten Abschluß des Gigs bildete. Was dann allerdings passierte, hat der Rezensent in 14 Jahren Konzertgängertum auch noch nicht erlebt: Nach dem Schlußabfeiern verließen die vier Instrumentalisten die Bühne, Doro aber wurde aus der ersten Reihe angesprochen, und prompt bildete sich eine Menschentraube mit Signierwünschen, die die Blondine auch geduldig erfüllte, für jeden nette Worte übrighatte, sich wie ein Kind freuen konnte, als ihr ein Zuschauer zwei CD-ROMs mit Fotos, die er auf diversen ihrer 2007er Gigs geschossen hat, überreichte und so eine Stunde nach Konzertende immer noch auf der Bühne saß, ohne zwischendurch mal in der Backstagekabine verschwunden zu sein. Das war Fanpflege, wie sie im Buche steht, und stützt damit die o.g. These der grundehrlichen Herangehensweise der Düsseldorferin. So boten die 100 Minuten Spielzeit eine große Metalparty traditionellen Zuschnitts, wie man sie trotz Dauerhochs im traditionellen Rock- und Metalbereich in den letzten Jahren viel zu selten erlebt hat.
Setlist (die eigentlich geplante, aber etwas anders umgesetzte - "Metal Tango" etwa fiel auch noch raus):
Earthshaker Rock
I Rule The Ruins
You're My Family
Fight For Rock
Burning The Witches
True As Steel
Above The Ashes
Ungebrochen
Hellraiser
Metalracer
Drumsolo
Strangers Yesterday
Für immer
Breaking The Law
All We Are
--
Warrior Soul
East Meets West
Love Me In Black
Metal Tango
Hellbound
Burn It Up/Let Love Rain On Me
Love Me Forever/Brutal & Effect



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver