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Divine X, Toxic Smile, Audioprojekt Die Stars   23.02.2007   Leipzig, Anker
von rls

Die alte Mär vom Propheten im eigenen Lande oder doch ein weiterer Beweis, daß es trotz Disillusions Aufbauarbeit immer noch vieler, vieler Schritte bedarf, bis sich Leipzig einmal mit Fug und Recht "Leipzig Prog City" nennen darf? Die Wahrheit dürfte Elemente beider Komponenten enthalten, das strukturelle Problem mehrerer ähnliche Zielgruppen ansprechender Konzerte an einem Abend im Einzugsgebiet noch hinzutreten lassend. Zweieinhalb Jahre ohne Livepräsenz Toxic Smiles in der einstigen Bandheimat Leipzig haben die Vergessensquote unter den heimischen Musikfreunden offensichtlich in ungeahnte Höhen schnellen lassen, so daß der Abend letztlich familiärer verlief, als das der Ankerkasse lieb gewesen sein dürfte (wobei der Preis von 15 Euro für drei Undergroundbands - auch Toxic Smile sind in Germanien eine solche - allerdings auch einen grenzenlosen Optimismus der Ankerkalkulationsabteilung offenbarte).
Sei's drum, irgendwann begann ein Schlagzeuger solistisch zu spielen, und nach einigen Minuten stellte man fest, daß das nicht etwa ein Soundcheck war, sondern den Opener des Gigs einer Truppe mit dem skurrilen Namen Audioprojekt Die Stars markierte. Nach eine ganzen Weile betraten die restlichen vier Musiker die Bühne, und man begann einen Sound zu erzeugen, den sich der unbedarfte Hörer am besten vorstellen kann, wenn er das Gedankenexperiment wagt, wie es klingen würde, wenn Crematory (die Pfälzer natürlich, nicht die längst verblichenen gleichnamigen Schweden) Krautrock spielen würden. Das klang an vielen Stellen zweifellos interessant, bisweilen aber auch noch etwas unfertig und zudem durch das kleine soundliche Problem beeinträchtigt, daß man im ersten und letzten Drittel die Keyboards kaum hören konnte, weder die stationären noch das seit Modern Talking im ernstzunehmenden Rock außerhalb von Spock's Beard eigentlich verbotene tragbare, mit dem der Tastendrücker bei einigen Songs munter posend über die Bühne hüpfte, durch die Nichthörbarkeit damit eher einen skurrilen Eindruck hervorrufend. Das Quintett krankte darüber hinaus noch an dem Problem, daß trotz gleich dreier Sänger (Bassist, Drummer und einer der Gitarristen) ein richtig Großer seiner Zunft noch abwesend war, wobei der Gitarrist sich recht rauh artikulierte, der Bassist eher indielastig näselte und indiekompatibel gerne mal neben der Ideallinie lag und der Drummer noch den souveränsten Eindruck hinterließ. Dagegen hatten die Jungs instrumentalseitig durchaus was drauf, wobei wiederum der Drummer mit phantasievollem Spiel und geschickt plazierten Tempowechseln und Breaks den besten Eindruck hinterließ. Auch die Songs selbst ließen gute Ideen erkennen (die lyrische Pendelung zwischen Deutsch und Englisch war gleichfalls nicht uninteressant), so daß insgesamt ein recht positiver Eindruck von den noch recht jungen Dresdnern haften blieb.
Toxic Smile beanspruchten nicht den Headlinerposten, sondern gingen als zweite Band an den Start. Was soll man über sie eigentlich noch groß schreiben, was nicht beispielsweise schon im Livereview der Progparade vor zweieinhalb Jahren an gleicher Stelle geschrieben worden ist? Daß die Jungs feinste Musik an der Grenze zwischen Progrock und Progmetal mit Schlagseite eher zum letzteren hin fabrizieren, weiß der Kenner eh, und der Nichtkenner glänzte an dem Abend sowieso durch Abwesenheit. Alle fünf Musiker ließen sich nicht lumpen, spielten mit gewohnter Perfektion ("Fall Down" gab's diesmal ohne das superschräge Drumintro von vor zweieinhalb Jahren, und ein paar andere winzige Variationen in den Songs fielen nicht so ins Gewicht, daß man etwa ihre Sinnhaftigkeit bzw. Geplantheit hinterfragen sollte), ließen klugerweise sämtliche Solospots weg (einen kompakten Set ohne etwaige Stimmungsdowner erzeugend und denselben lediglich balladenseitig durch "Escape" und "Steps Back" auflockernd), und so blieb lediglich die spannende Frage nach der Zusammensetzung der Setlist. Da neues Material immer noch durch Nonexistenz glänzt, war die Fokussierung auf "Retrotox Forte" mit der Berücksichtigung von drei Vierteln seiner Songs keine Überraschung, auch mit "The Crown" und Nothing To Believe" konnte man irgendwie rechnen, mit dem fast zum eigenständigen Instrumentalstück ausgebauten Intro zu letzterem dagegen nur bedingt, und eine angenehme Wiederentdeckung stellte die von "Autumn Leaves II" dar, das sich schon eine geraume Weile nicht mehr im Liveset befunden hatte. Soundseitig gab es leichte Schwankungen in puncto Durchhörintensität der einzelnen Instrumente, die sich nicht unbedingt mit deren Einsatzfokus deckten, zu konstatieren, aber nicht in einem solchen Maße, daß der Hörgenuß irgendwie getrübt worden wäre, und die bei den ersten Songs irgendwie noch etwas fehlende Lockerheit könnte durchaus auch ein sehr subjektiver Eindruck des Rezensenten in direkter Korrelation mit seiner eigenen Konstitution gewesen sein, derer er auch mit gelegentlichem solistischem Headbangen nicht ganz Herr wurde. "Pyramid" beendete mit bombastischen Kaskaden den Set, aber das mächtige Häuflein vor der Bühne gab sich damit natürlich nicht zufrieden und forderte erfolgreich noch "Could It Be" ein.
Divine X beschlossen den Konzertabend sinnbildlich mit Pauken und Trompeten, wobei es für viele der Besucher der erstgenannten wohl zu viele waren, sie mit dem Härtegrad der Kompositionen also nicht zurechtkamen, so daß sich der Anker zu leeren begann. Die Dagebliebenen erhielten dafür eine erstklassige Demonstration technischen Death Metals, der durchaus international konkurrenzfähig ist - vor ein paar Jahren galten die Polen Decapitated mal als Wunderkinder in Sachen technischer Death Metal, aber die Dresdner Divine X, gar nicht mal so sehr viel älter, stehen ihnen nicht weit nach. Der Drummer hängte ein Break ans nächste, die Gitarristen ließen über weite Strecken der Spielzeit erfolgreich vergessen, was ein monotones Grundtonriff ist, der Bassist frickelte auch mal kurz mit, wenn es sein mußte, und auch der Sänger wollte da nicht zurückstehen und intonierte sich außer dem typischen Grunzen auch noch in Klargesang, der - das war das einzige größere Manko des ansonsten für diese Sorte Musik überdurchschnittlich guten Soundgewands, das auch das Heraushören von spielerischen Feinheiten nicht von vornherein zur Unmöglichkeit machte - bisweilen nur schwer vernehmbar war. Temposeitig baute das Quintett eher selten Blastspeed ein, variierte aber sonst geschickt und schnell zwischen treibenden Tempi und zähen Doompassagen, nicht zu vergessen das komplette Spektrum dazwischen. Auffällig war, daß sich der aus Publikumsblickrichtung rechts stehende Gitarrist bei den Soli auf die episch-schwelgenden Töne verlegte, während sich sein Kompagnon links außen auf die Flitzefingersoli spezialisiert hatte. Ein eher sanftes, eskapistisches Instrumental hatten die Jungs ebenfalls im Set versteckt, das durchaus gutklassig ausgefallen war, wenngleich es an Genreheldentaten wie Gates Of Ishtars "Forever Beach" noch nicht heranreichte. Aber in der Gesamtbetrachtung erwiesen sich Divine X als eine der hoffnungvollsten Nachwuchsbands, die den sächsischen Landen derzeit so entspringen, und wer die Abdriftung Disillusions in experimentellere Gefilde bedauert und sich deren Phase in der ersten Hälfte des laufenden Jahrzehntes zurückwünscht, der sollte Divine X (die ebenfalls noch zu einer Zugabe überredet werden konnten und einen der Songs des regulären Sets nochmal spielen mußten) mal sein Ohr leihen.



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