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ProgParade 5 mit Toxic Smile, Martigan   30.10.2004   Leipzig, Anker
von rls und ta

Die Mailingliste progrock-dt führt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Listentreffen durch, und deren fünftes verlegte man nach Leipzig. Inwieweit diese Entscheidung im betriebswirtschaftlichen Sinne günstig war, mag dahingestellt sein - die strukturelle Situation in Leipzigs Progszene hat sich seit der 2002er Prog-Night L.E. nur unwesentlich zum Besseren gewandelt, und zudem brachten es Leipzigs Spaceprogger Dice auch noch fertig, am gleichen Abend (!) ihren Jubiläumsgig zum 25jährigen Bandbestehen zu spielen, damit den potentiellen Publikumszustrom noch einmal zur Aufteilung zwingend. So blieb im Anker noch genügend Platz für weiteres Publikum, aber die Anwesenden waren sehr gut drauf und feierten eine schöne Progparty (die übrigens im gemeinsamen begleiteten Chorsingen von Transatlantics "We All Need Some Light" endete - die daraufhin von einigen Enthusiasten geforderte Zugabe bestand in einer improvisierten und daher schaurig-schönen A-Cappella-Version von Marillions "Kayleigh"), wozu auch die beiden Bands des Abends ihr Scherflein entscheidend beitrugen.
Den Anfang machten die mir vorher akustisch völlig unbekannten Martigan, die allerdings schon so etwas wie alte Hasen zu sein schienen, denn ein Blick auf den Merchandisestand offenbarte schon eine ganze Reihe an Alben. Die Kölner fühlten sich im traditionellen Progrock zu Hause, die üblichen kleinen Schlenker in Richtung balladeske Träumerparts einerseits und in wildes Gefrickel in Hochgeschwindigkeit andererseits natürlich inbegriffen. Ihre größtenteils überlangen Kompositionen wiesen nur gelegentlich kleine Längen auf, waren zumeist aber recht anspruchsvoll durchinszeniert, wie gleich am Opener "Vision" deutlich wurde. Auch die gelegentlichen Spielereien mit elektronischen Rhythmen fügten sich gut in die Songgebilde ein, wenngleich das strukturierte Highspeed-Unisono am Ende von "Much More" wohl den herausragendsten Moment des ganzen Gigs (dessen regulärer Teil aus lediglich sieben Songs bestand) markierte. Dazu hatten Martigan einen Sänger im Line-up, der optisch sowohl bei einer Joe Cocker-Coverband als auch (unter Tausch seines arbeiterklasseähnlichen Outfits gegen Wikingerkluft) bei Amon Amarth anheuern könnte, auf der Bühne in Instrumentalpassagen auch schon mal gemütlich rauchte, stimmlich eher klassisches Phil Collins-Territorium beackerte und phasenweise noch von Keyboarder Oliver mit einer zweiten Stimme unterstützt wurde. Warum dieser übrigens ein Shirt mit dem Sachsenring-Logo (also dem bekannten Trabant-S) trug, blieb sein Geheimnis - vielleicht handelte es sich um ein Mitbringsel aus dem legendären Reichenbacher Bergkeller. In einem recht gut ausbalancierten Sound hatte lediglich Gitarrist Björn die Arschkarte gezogen, denn sein Instrument war nur in den Höhenlagen der Soli (derer es nicht wenige gab) deutlich herauszuhören und wurde ansonsten von den Keyboards etwas zu sehr untergebuttert. Trotzdem ein guter und sehr positiv vom Auditorium aufgenommener Gig der Kölner, die folgerichtig mit "The Pride" auch noch eine Zugabe spielten. (rls)
Setlist Martigan:
Vision
Closer Contact
Red & Green
Touch In Time
Roll The Globe
Much More
Images And Tales
-------------
The Pride

Und es sollte noch besser kommen. Kam es auch, trotz erschwerter Umstände. Ein paar Wochen zuvor hatte Toxic Smile-Schlagzeuger Daniel Zehe das Weite gesucht und sein Nachfolger Antonius Grützner sah seine Person mit der Aufgabe konfrontiert, sich in vier Wochen soviel TS-Material als möglich draufzuschaufeln. Was bei den Scorpions oder Def Leppard vermutlich nicht die ärgste Aufgabe wäre, erwies sich bei dem vertrackten Die Hard-Prog von TS sicherlich als eher anspruchsvolles Unterfangen. So konnten TS am Ende ihres Sets eben aufgrund dieses Faktums "nur" noch auf die Zugabe "Raised" zurückgreifen und damit nicht alle Wünsche des unermüdlichen Publikums erfüllen. Die Setlist umfasste (ohne Zugabe) nichtsdestotrotz stolze fünfzehn Positionen, darunter auch Rhythmusfallen wie "Pyramid" oder das hochverschachtelte Instrumental "O.T.". Die unvergleichlichen Grimassen seines Vorgängers gehen dem neuen Drummer zwar ab, mit geschlossenen Augen wäre aber zweifellos die Umbesetzung nicht aufgefallen. Soll heißen: Hier werden selbst 13/35stel-Takte mit traumwandlerischer und breakdurchsetzter Sicherheit gezockt, wird "Fall Down" mit einem verschrobenen Das-klopft-keiner-mit-Rhythmus eingeleitet und später mit Bassist Robert Brenner höllisch beim Rhythmusgruppenduett vor "Stop Now" abgegroovt. Mr. Brenner himself hat sich überraschenderweise zum Aktivposten Nr. 1 entwickelt. Als ob es nicht genug wäre, sechs Saiten selbst in den höchsten Lagen mit einer Affengeschwindigkeit und schweizerischer Präzision zu bearbeiten, rammelt der ehemals so introvertierte Mann über die Bühne für zwei und übernimmt nebenbei auch noch die Backing-Vocals. Allein seine Performance macht selbst einen reduzierten Song wie das sphärendurchtränkte "Escape" zu einer kleinen Göttergabe. Apropos Performance: Auch Gitarrero Uwe Reinholz verlässt nunmehr gerne seine Position am äußersten Bühnenrand und wandelt gen Mitte derselben; die Idee allerdings, sich bei Soloparts partiell in eine rückwärtsgewandte Haltung zu begeben, welche nur der Hälfte des Publikums einen Blick aufs Griffbrett erlaubt, ist dann aber doch etwas obskur und verleiht besonders einer Angelegenheit wie dem Alleinauftritt nach "The Crown" einen bizarren Touch. (Angeblich soll ja Eddie Van Halen in den 80ern ähnlich verfahren sein, um ja keinen Zuschauer die von ihm kreierte Tapping-Technik erkennen zu lassen.) Der Spielspaß ist der gesamten Band anzusehen. Selbst Keyboarder und Blasinstrumentalist Marek, so etwas wie TSs ruhender Pol (von der Fingerarbeit einmal abgesehen), erlaubt sich nach einem zärtlichen Electronic Wind Instrument-Sölchen ein Grinsen ... was natürlich auch von den gewohntermaßen abwegigen Ansagen Larry B.s herrühren könnte, welche einmal mehr beweisen, dass Prog Metal keine so ernste Sache sein muss. Beim unterhaltsamen und überraschend früh in der Setlist auftauchenden Yes-Cover "Owner Of A Lonely Heart" wird ein Zuschauer auf die Bühne zitiert, der sich im Duett mit Larry - dessen Gesang einmal mehr superb ausfällt - wacker schlägt, und auch jener vermutlich im Anker-Dienst stehende Anonymus, welcher dem glatzbeköpft, in ein schwarzes Muscleshirt gekleidet und tätowiert ja eher furchteinflößend wirkenden Sänger bei jeder ruhigen Nummer ("Steps Back" - wundervoll) einen Barhocker auf die Bühne reicht, sorgt mit diesem Akt für die eine oder andere humoristische Einlage. Da übersieht man textliche Unsicherheiten (ein Notenpult mit den aufliegenden entsprechenden Notizen stand auf der Bühne und wurde verhältnismäßig oft abgerufen) doch fast. Und weil auch die "Retrotox Forte"-orientierte Setlist (s.u.) und Sound (klar, differenziert, sogar die Gitarre war zu hören) kaum einen wirklichen Grund zum Meckern boten, kann das Fazit nur lauten: Nicht alles beim Alten, aber im Wesentlichen auch nichts schlechter geworden. Fand ebenfalls das, sei es wegen Dice - Herzlichen Glückwunsch auch - oder wegen was auch immer, zwar nur spärlich vertretene, aber lautstark feiernde Auditorium, unter dem sich auch der/die eine oder andere MusikerkollegIn befand. 2005 an gleicher Stelle? Hoffentlich. (ta)
Setlist Toxic Smile:
Invitation/Nothing To Believe
Fall Down
Escape
Owner Of A Lonely Heart
Pyramid
Hate Me
Bass-Solo/Drum-Solo
Stop Now
Confidence In Deception
Steps Back
Electronic Wind Instrument-Solo (Dr. & B.)
The Crown
Git.-Solo
O.T.
Could It Be
----------
Raised



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