www.Crossover-agm.de Xandria, Regicide, Visions Of Atlantis, Lyriel   18.02.2006   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

"Romantic Darkness" hatte man diese Tour übertitelt und damit im Prinzip den Nagel auf den Kopf getroffen. Zumindest war es in gewisser Weise riskant von Xandria, gleich drei Bands prinzipiell ähnlichen Stils mitfahren zu lassen und damit intensive Direktvergleiche zu provozieren. Andererseits hätte zumindest ich nicht gedacht, daß Xandria nicht mal drei Jahre nach ihrem Debütalbum als Headliner bereits genug Zugkraft entwickeln würden, daß es das Package schaffen würde, den unteren Hauptraum der Spinnerei gut zu füllen. Aber dem war in der Tat so, und zudem herrschte im Publikum reger Pärchenbetrieb vor. Ist Düstermetal also was für Frauen? Lassen wir die Theorie mal im Raum stehen ...
Ein pünktlicher Beginn wird bei Vier-Band-Packages immer positiv vom Auditorium aufgenommen, und Lyriel legten dementsprechend um 20.30 Uhr los, wie es auch auf der Spinnerei-Page verbrieft war. Die Kölner (laut Ansage) bzw. Gummersbacher (laut Homepage) waren erst als letzte in dieses Package gerutscht, aber sie paßten stilistisch da bestens hinein und erinnerten mich an eine sämtlicher Death Metal-Elemente beraubte Version von Illuminandi. Übrig blieb also düsterer melodischer Metal mit gleichermaßen ausgeprägtem Folk- und Fantasy-Touch, der durchaus gute Ideen aufzuweisen hatte, aber noch nicht am Optimum angekommen war, besonders was die Ausreizung der instrumentalen Möglichkeiten betraf. Lyriel hatten nämlich sowohl einen Geiger als auch eine Cellistin in der Besetzung, wobei letztgenannte unter dem generellen Problem der Einbindung dieses Instruments in Metalsound litt, daß sich seine Frequenzen mit zu vielen anderen Instrumenten auf der Bühne überlagern - man hörte sie also nur spielen, wenn der Gitarrist auf halbakustisch runterschaltete oder der Drummer mal nur seine HiHat streichelte. Der Geiger wiederum gab dem Material mitunter einen leichten Skyclad-Touch und spielte auch praktisch alle hörbaren Leads - der Gitarrist verzichtete auf solche komplett, und die Cellistin und den Keyboarder hörte man über weite Strecken halt nicht. Dafür machte sich die Cellistin noch anderweitig nützlich, nämlich als zweite Gesangsstimme, die hohe Backings unter den eher mittellagigen und kraftvollen Klargesang der Leadsängerin legte und damit durchaus den einen oder anderen Wohlfühlaspekt erzeugte. Besagte Leadsängerin wiederum sah originalgetreu aus wie Tristanias Vibeke Stene zu ihren besten Zeiten und bewegte sich mitunter auch noch so, wofür sie von Seiten des Rezensenten natürlich einen Extrapunkt einheimsen darf. Ansonsten muß die "Familienband" (Geiger und Cellistin sind Geschwister, Sängerin und Gitarrist gar miteinander verheiratet) aber noch ein wenig dran arbeiten, ihre Songs noch individueller und unverwechselbarer zu machen, was mit einer soundlich günstigeren Einbindung des Cellos ins Studiomaterial vielleicht auch schon gelungen ist; die Idee, passend zum Bandnamen einen Song in der Elbensprache zu singen, darf ebenfalls als gelungen gewertet werden.
Visions Of Atlantis entpuppten sich danach als eine Art "Lightwish", wobei hier keiner der Instrumentalisten die Rolle des männlichen Gesangsbeisteuerers übernahm, sondern diese Planstelle exklusiv besetzt worden war. Für das Bühnenbild eher skurril war die Tatsache, daß der Sänger kleiner war als die Sängerin; Metalhistorikern in Publikum könnte auch aufgefallen sein, daß er optisch an ein Mitglied der Finalbesetzung von Sacrosanct erinnerte. Leider hörte man seinen Gesang (Lage zwischen Bariton und Tenor, aber recht natürlicher Ausdruck) zunächst recht wenig, den seiner Partnerin (klassischer Sopran) dafür um so besser, bis nach zweieinhalb Songs das akustische Bild plötzlich umschlug und er gut zu hören war, dafür aber sie kaum noch. So konnte man diverse Harmonien bisweilen nur erahnen, was schade war, denn die musikalischen Anlagen ließen zumindest hier und da durchaus Interessantes erwarten. Der Gitarrist spielte etliche phantasievolle Soli, der Keyboarder schlug im Direktvergleich mit seinem etwas zu engagierten Lyriel-Vorgänger (als Kurzhaariger in gebeugter Haltung knapp über dem Manual bangartige Bewegungen auszuführen sieht aber auch zu komisch aus) ins Gegenteil um und wirkte fast zu distanziert, leistete aber gute Arbeit, etwa in der das Finale der Show einleitenden Halbballade, die auch die stärkste Gesangsleistung der blonden Sopranistin beinhaltete. Der schnellere Rauskicker "Lost" machte deutlich, daß diese österreichische Band keinesfalls verloren ist, und einige Anwesende schienen auch hauptsächlich wegen ihnen dagewesen zu sein.
Regicide schraubten die Anzahl der bühnenaktiven Personen danach wieder auf sieben hoch. Sie konzentrierten sich auf das Material ihres über weite Strecken bärenstarken neuen Albums "Break The Silence" und fuhren sehr gut damit, was im Direktvergleich mit dem früheren Material besonders deutlich wurde. Diesen ermöglichte nämlich der Tripelsong "An Embracing Space", von dem erst der ältere zweite Teil und im unmittelbaren Anschluß der neue dritte gespielt wurde - erstgenannter ein relativ unauffälliges Stück Düstermetal, zweitgenannter aber ein gigantischer Bombasthammer mit großem Refrain und furiosem Finale. Spätestens mit diesem hatte die Band einen Großteil der Fanherzen gewonnen und ließ diesen Gewinn bis zum Schluß trotz des einen oder anderen nicht ganz so starken Songs, der sich dazwischengemogelt hatte, nicht mehr aus den Händen gleiten. Im Mittelpunkt des Regicide-Sounds stand eindeutig Jonnas Violine, die der instrumentalen Melange aus HIM und Battlelore (um's mal grob zu umschreiben) den entscheidenden Witz verlieh (man höre sich mal das Streicherthema in "Plastic Dove" an - eigentlich nur eine hoch- und runtergespielte chromatische Tonleiter, aber genial eingepaßt) und die zumindest in den streichenden (nicht aber in den gezupften) Passagen auch jederzeit deutlich durchhörbar war. Mit der Coolness eines Klaus Störtebeker stapfte die kleine gebürtige Emderin (die zu allem Überfluß auch noch ein Piratentuch auf dem Kopf hatte, ohne das - und dafür mit offenen Haaren - sie aber noch zauberhafter ausgesehen hätte) über die Bühne, brachte es aber fertig, fast den ganzen Gig über keine Miene zu verziehen. Die Herzen etlicher Anwesender flogen ihr indes trotzdem zu, wie man im Gästebuch auf www.regicide.de nachlesen kann. Für die Show war Sänger Timo zuständig, der routiniert durch den Gig führte und sich als passabler Entertainer erwies, aber auch die zahlreichen Duettpassagen mit seiner dreadgelockten Mikrofonpartnerin Frauke zur allgemeinen Zufriedenheit darbot. Frauke bangte darüber hinaus gern (was bei den männlichen Bandmitgliedern, Gitarrist Jan mal ausgenommen, keinen optischen Effekt gezeigt hätte - also sprang etwa Bassist Malte so wild auf der Bühne umher, wie es der begrenzte Platz eben zuließ) und hielt sich stimmlagenseitig in angenehmer Mittellage mit leichter Tendenz zu Höherem auf - zwei Generalattribute, die sie mit ihrer Lyriel-Kollegin teilt. Regicide wurden vom Auditorium frenetisch beklatscht, was seine Erwiderung in einer Zugabe fand. Sehr starker Gig!
Daß Xandria da noch eins draufsetzen könnten, war schwer zu glauben, und sie schafften es auch nicht. Das hatte gleich mehrere Ursachen, deren eine genereller Natur ist: Xandria sind für den leicht traditionsgeschwängerten Gothic Metal das, was Majesty für den True Metal-Bereich sind: eine Konsensband, die nirgendwo aneckt und aufgrund einer gewissen Stromlinienförmigkeit eigentlich gar nicht auffällt. Diesen Eindruck konnten Xandria über die gesamte Spielzeit hinweg nicht ganz wegwischen, aber es gelang ihnen zumindest in Teilen des Sets. Der begann auch erstmal mit Soundproblemen, hatte man anfangs doch im wesentlichen Drums, Vocals und Keyboardsamples (auf die Besetzung letztgenannter Planstelle hatten die Bielefelder verzichtet) im Ohr, aber keine Gitarren, was zumindest phasenweise allerdings auch kein Verlust war, denn nur sporadisch durften die Gitarristen (der eine mit Robert Plant-Gedächtnisfrisur, der andere hätte nur noch ein Karohemd anziehen müssen, um in jeder Grungeband aufgenommen zu werden) zeigen, was in ihnen steckt - gegen Setende in stärkerem Maße als zu Beginn. So richtig Laune zu machen begann der Gig nämlich erst ab "Snow White", einem sehr starken doomigen Epos, dem das alte "Isis / Osiris" unmittelbar folgte. Überhaupt hegen Xandria ein gesteigertes Interesse für den afro-asiatischen Raum - schließlich heißt das neue Album "India" (einige der Effekte und Samples gingen entsprechend auch in diese Richtung), das von der Songanzahl her mit dem Zweitling "Ravenheart" ungefähr gleichberechtigt behandelt wurde (das Debüt "Kill The Sun" stellte, wenn ich mich nicht verhört habe, neben "Isis / Osiris" noch den Titeltrack) und das mit dem regulären Setcloser "Goodbye To India", erneut einem großen Epos, den wohl stärksten Track der Setlist beisteuerte. Die spannende Frage im Vorfeld war gewesen, wo man wohl diesen gewissen Hit von "Ravenheart" plazieren würde - er nahm letztlich den Platz der ersten Zugabe ein. Über die ganze Spielzeit hinweg einen eher gewöhnungsbedürftigen Status besaßen Lisas Ansagen, einesteils wegen eines gewissen hölzernen Touches (Peavy Wagner hätte seine helle Freude gehabt - und außerdem: Wenn man schon bekundet, daß man Glauchau lieben würde, sollte man nach dem letzten Ton der zweiten Zugabe eigentlich nicht so völlig sang- und klanglos von der Bühne verschwinden, als einzige sichtbare Gefühlsregung einen winkenden Bassisten hinterlassend) und zweitenteils aufgrund ihres zu zwei Dritteln gewählten schrillen, fast Nina Hagen-verdächtigen Tonfalls - dabei hat sie durchaus eine angenehme Sprech- wie auch Singstimme, wobei letztgenannte gelegentlich auch noch eine Ergänzung durch hysterisches Keuchen erfuhr, was in den betreffenden Stellen der Songs aber wirklich paßte. Trotzdem hatten Xandria das Pech, drei Bands mit echten Könnerinnen am Frontmikro mit im Billing zu haben, und obwohl Lisa beileibe nicht schlecht sang, war sie von den an diesem Abend singenden Damen die schwächste. Durch eine ausschließlich mit Highlights gespickte Setlist hätte das noch kompensiert werden können, aber wie schon oben beschrieben packte man die Volltreffer erst relativ spät aus, und so geht die Trophäe für den stärksten der vier Acts eindeutig an Regicide, obwohl unterm Strich alle Bands ihr Scherflein zu einem gelungenen Abend beitrugen.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver