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Saphena, Today Forever, Lurid Dawn   04.11.2005   Chemnitz, Atomino
von rls

Raider heißt schon seit geraumter Zeit Twix, Brain:FAQ dagegen haben sich erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit entschieden, sich in Saphena umzubenennen. Ob dies der Weisheit letzter Schluß ist, wird erst die Zukunft zeigen, hatte sich die Truppe unter dem alten Namen (der von der Schreibweise auch schon diversen Änderungen unterworfen gewesen war - zumindest diese Problematik dürfte es mit dem neuen Namen aber nicht mehr geben) doch schon einen recht guten und weit gedrungenen Ruf erspielt, und strukturelle Gründe wie radikale Umbesetzungen oder einen musikalischen Kurswechsel hat es auch nicht gegeben. Der neue Name Saphena ist an Neutralität kaum zu überbieten, erlaubt daher aber auch keinerlei Rückschlüsse auf die Gestalt der dahinter agierenden Künstler (eine Arbeitskollegin meinte, der Name höre sich eher nach einer Sängerin an - tatsächlich gibt es ja da beispielsweise eine gewisse Shakira). Daß der Einleitungssatz dieses Reviews in sehr ähnlicher Form auch von Kollege Dirk in seinem CD-Review verwendet worden ist, war übrigens keineswegs abgesprochen :-)
Sei's drum, Saphena hatten zur Releaseparty ihres Albums "Das Leben wird zu Glas" (ich weigere mich, das als Debütalbum zu bezeichnen) geladen, und als ich eine Stunde nach Einlaßbeginn den Hinterhofclub Atomino betrat, hatten Lurid Dawn gerade mit ihrem Set begonnen. Das Quintett spielte progressiven Death Metal der zumindest partiell recht abgefahrenen Sorte und profitierte dabei vom besten Sound des ganzen Abends. Dem Schlagzeuger konnte man somit vor allem im Songkontext zuhören (das ist bei metallischen Gigs heutzutage angehörs der offensichtlichen Taubheit vieler Mixer eine Seltenheit) und sich sowohl an seinen Kabinettstückchen als auch an denen seiner Saitenkollegen erfreuen, wobei Lurid Dawn nicht zum Einbau möglichst effektvoll-virtuoser Passagen neigten, aber trotzdem ein Break ans andere reihten, sich selten entschließen konnten, einen Takt mal dreißig Sekunden am Stück durchzuspielen, und - das ist dann auch der einzige Kritikpunkt - es dem Hörer auch dadurch sehr schwer machten, daß sie nahezu keine Passagen wiederholten, um wenigstens ansatzweise so etwas wie Wiedererkennungsmöglichkeiten zu bieten. Zwar zeigte sich die Band mit ihrer spielerischen Leistung im Nachgang nicht ganz zufrieden, aber etwaige Fehler dürften in diesem Komplexgetrümmer wohl niemandem aufgefallen sein. Irgendwie brachte es die Band aber trotz dieser hohen Komplexität noch fertig, locker zu bleiben und für etwas Action auf der nicht gerade geräumigen Bühne zu sorgen. Eine erfolgversprechende Marschrichtung für die Weiterentwicklung zeigte der letzte Song "There's A Place" auf, der mit gut arrangiertem Wechselgesang zwischen Sänger und Bassist ausgestattet war und eben durch dieses Element wenigstens einen Hauch von Wiedererkennungswert gewann, wohingegen die in diesem Song ebenfalls vertretenen Cleanpassagen noch Arbeitsbedarf beim Sänger verrieten, der sich aber ansonsten sehr gekonnt durch die vier Songs grunzkreischte. Wem Disillusion zu melodisch sind, der sollte sich Lurid Dawn auf jeden Fall vormerken. Kleine Randbemerkung: Spötter behaupten, solche Musik werde bevorzugt von bebrillten Studenten gespielt - Lurid Dawn hatten tatsächlich diverse Brillenträger im Line-up ...
Setlist Lurid Dawn:
Intro
Tempel des Ich
Some People Say
Anger
There's A Place
Mußten sich Lurid Dawn noch mit reinem Applaus des mehr als gut gefüllten Clubs begnügen, so brach bei Today Forever ein wilder Moshpit aus, für den die Hessen aber auch den richtigen Sound inszenierten. Zwar hatte ich das Quintett von flüchtigen Höreindrücken ihrer CDs her etwas oldschooliger im Hinterkopf, aber live entfachte die Band einen Hardcore-Flächenbrand, der auch reichlich newschoolige Elemente beinhaltete und sogar ein paar Metalelemente auffuhr, ohne deshalb aber gleich Metalcore genannt werden zu müssen (daß gleich beide Gitarristen aussahen wie ihr Instrumentenkollege Blumi von den Traditionalisten Metal Inquisitor, dürfte purster Zufall sein). Um die metallischen Passagen herauszuhören, mußte man sich allerdings große Mühe geben, denn von den Gitarren war im Sound wenig bis gar nichts zu hören, allerdings ohne daß die Drums alles zukleisterten. Zwei kleine Verharrungen in Gestalt von halbakustischen Instrumentals sorgten für Ruhepole im Getrümmer, wobei auch auf der Bühne jede Menge Bewegung herrschte. Der Bassist (jawohl, auch ein Brillenträger) hielt sich dabei noch etwas zurück, denn es war erst sein zweiter Gig mit der Band - dafür tobte der von den Baßpflichten entbundene Sänger Christian um so heftiger herum und shoutete mit großer Intensität. Cleangesang blieb eine Seltenheit im Set, und in der Spielzeit eines Lurid Dawn-Songs brachten Today Forever locker drei bis vier unter, hörten mitunter schon wieder auf, als der metallisch sozialisierte Hörer wähnte, jetzt müsse das Intro in den richtigen Song übergehen. Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde (es hatte auch noch eine Zwangspause im Gig durch einen ausgefallenen Verstärker gegeben) konnte man Today Forever keine Zugabe zubilligen, obwohl das Auditorium nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte.
Saphena erhöhten die Anzahl der Brillenträger auf der Bühne wieder auf zwei. Die Besetzung hatte sich im Vergleich zu Brain:FAQ-Zeiten nicht geändert, und nach dem Gig stand fest: Die Musik eigentlich auch nicht. Vertrackter Neo Thrash bleibt auch das Metier von Saphena, das eine oder andere Sepultura-Gedächtnisriff hat Rob auch in den neuen Songs untergebracht, Andis Gesangsvielfalt im hysterischen Bereich kennt man auch schon (lediglich der Anteil von Cleanpassagen scheint in den neuen Songs etwas abgenommen bzw. mehr in einzelnen Songs konzentriert worden zu sein) - alles beim alten also? Nicht ganz, denn beim genauen Hinhören (das war angesichts des nicht idealen Klangbildes mit nun doch zu lauten Drums auch vonnöten) ließen sich einige neue oder deutlicher ausgeprägte Elemente feststellen. Zum einen hatte Trommler Axel offensichtlich von seiner zweiten Band Cottonbomb die Vorliebe zum sehr intensiven Beckeneinsatz mitgebracht (zumindest ist mir das früher bei Brain:FAQ nie so aufgefallen), und auch der Metalcore ist nicht ganz an Saphena vorübergegangen, wie diverse Meloleads unter Beweis stellten (hier darf die Gitarrenfraktion ruhig noch mehr Mut zum Tonsprung beweisen). Ach ja, und ein Epic-Doppel wie "Schatten" und "Blut" (wiewohl letzteres live nur ausschnittweise dargeboten und in eine extended version von "Schatten" integriert) hat es im Schaffen der Band bisher auch noch nicht gegeben, wobei der Übergang aus dem atmosphärischen Wegschwebeteil in den Aggropart bei einem geschätzten Drittel der Gesamtspielzeit noch organischer (ohne Schlagzeuganzählung) hätte gestaltet werden können. Nach dem (etwas zu lange ausgespielten) Intro (auch dieses stammt aus "Blut") gingen Saphena mit "Gefangen" und "Keine Antwort" gleich in die vollen und ließen sich keinen Deut der vorher herrschenden Aufgeregtheit anmerken - statt dessen sprangen Andi und Rob wie von der Tarantel gestochen über die Bühne, auch Zweitgitarrist Ralph hatte einen großen Aktionsradius (und den Vorteil, daß Headbangen bei ihm als einzigem der männlichen Bandmitglieder einen optischen Effekt zeitigt), Axel alberte selbst hinter seinem Drumkit herum, und trotz auch nicht fehlender Bewegung wirkte Bassistin Silvi (optisch vorteilhaft in ein enges schwarzes, oberhalb der Knie endendes Kleidungsstück sowie halbhohe Lederstiefel gehüllt) ein wenig wie der ruhende Pol auf der Bühne. Von der Setlist her konzentrierten sich Saphena logischerweise auf die neue Scheibe "Das Leben wird zu Glas", griffen im regulären Set mit "Gestern" und "Endlos" nur zweimal auf das Brain:FAQ-Material von "Nutze die Zeit" zurück, ergänzt noch durch "Schweige" als zweite Zugabe, dem als erste Zugabe allerdings das uralte "Be Free" vorausgegangen war (die Hymne "Niemand" fehlte). Auch das neue Material stieß auf sehr wohlwollende Aufnahme beim Auditorium, der größte Moshpit tobte allerdings bei den Oldies. Das ebenfalls neue "Feuer" beschloß einen intensiven Gig, der zumindest musikalisch die Weichen für Saphena auf Grün stellte. Seien wir gespannt, wohin die Reise geht.
Setlist Saphena:
Gefangen
Keine Antwort
Endlos
Schatten
Blut
Niemals
Gestern
Morgen
Wo
Sie
Die Schlacht
Der Gott
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Be Free
Schweige
Feuer



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