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Eïs
von ta anno 2015

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EÏS haben mit "Bannstein" einen musikalisch kurskorrigierten, aber qualitativ würdigen Nachfolger des herausragenden "Wetterkreuz"-Albums abgeliefert. Grund genug für ein Gespräch mit Alboîn, der für so gut wie alles bei EÏS zuständig ist. Das Gespräch wurde per E-Mail geführt.

Eïs

Alboîn, wo bist du im Moment?
Wäre etwas unglaubhaft, wenn ich jetzt von einem einsamen Herbstwald sprechen würde, während ich schriftliche Interviewfragen beantworte, was? Gedanklich bin ich jedenfalls im Finnland der späten 90er, während ich THROES OF DAWNs "Dreams Of The Black Earth" höre, körperlich sitze ich eher am Schreibtisch.

Ich fand "Bannstein" von Beginn an gut, das Album wurde aber erst richtig gut, als ich die Texte vorgelegt bekam. Welche Bedeutung hat es für dich, einen Text für ein Lied von EÏS zu schreiben?
Auf jeden Fall eine sehr große. Ich schreibe sehr wenig, dem ich irgendeine tiefere Bedeutung beimesse - was man sonst so in Interviews von sich gibt, oder wenn ich selbst Reviews verfasse [Alboîn schreibt für Stormbringer und schrieb lange für metal.de - Anm. ta], das ist alles nichts, das ich für zeitlos halte. Diesen Anspruch habe ich an Lyrics allerdings schon. Ich hadere da sehr lange mit mir, schreibe vieles um, tausche Wörter aus, ändere Phrasierungen ... das ist ein stetiger Kampf mit meinen eigenen Ansprüchen. Dafür ist es ein wunderbares Gefühl, einen fertigen Text zu singen, zu sehen, wie er mit einem Lied harmoniert, und ihn auch in der Livesituation jedesmal wieder neu zu erleben.

Was steht zuerst, die Musik oder der Text?
Bei mir auf jeden Fall Musik. Konkrete Textideen kommen mir viel eher, wenn ich bereits einen Song habe, der mich inspiriert.

Deine Bildsprache ist deutlich vom Expressionismus beeinflusst. Was fasziniert dich an dieser Epoche?
Ihre Radikalität finde ich faszinierend. Der Expressionismus ist für mich eine Epoche extremen Umbruchs, die Menschen fühlten eine dunkle, unaufhaltsame Bedrohung, von der sie noch keine konkrete Vorstellung hatten und die dann noch brutaler und endgültiger über sie kam, als sie es sich je vorgestellt hatten. Gleichzeitig hatten die Menschen mit völlig neuen Herausforderungen zu kämpfen, sie ersannen Lösungen, die ihnen später über den Kopf wuchsen oder die sie selbst entzauberten oder überflüssig machten (man denke zum Beispiel an die Psychoanalyse, das Giftgas oder das komplette Industriezeitalter). Die damals entstandene Literatur ist durchzogen von einer entwaffnenden, nüchternen Klarheit, gleichzeitig lebt in ihr aber noch die Sehnsucht nach etwas Magischem, Unerklärbarem. Georg Heyms "Der Krieg" oder "Der Gott der Stadt" beispielsweise sind ein so unheimliches Stück Literatur, dass mir alleine bei dem Gedanken daran Schauer über den Rücken laufen.

Gleich im Eröffnungstrack "Ein letztes Menetekel" zitierst du den "Gott der Stadt". Ist das eine bewusste Fährte für den Leser der Texte?
Ja, schon. Die Atmosphäre des Songs ist sehr an dieses Gedicht angelehnt, und auch thematisch haben beide Texte das Motiv der ungreifbaren Bedrohung gemeinsam.

Die überwältigende Erfahrung der Metropole hat den Expressionismus inhaltlich stark geprägt, doch das ist über 100 Jahre her und die Großstadterfahrung ist heute zur Normalität geworden. Warum also noch Texte über dampfende Eisenrösser, große Städte, den Moloch der Maschinen und rußige Erker schreiben?
Ganz einfach: Weil das Lebensgefühl von heute dem damaligen sehr ähnlich ist. Lies noch einmal, was ich eben über die Epoche des Expressionismus schrieb. Mit einigen Detailveränderungen gilt fast alles davon auch für unsere heutige Zeit. Geschichte wiederholt sich, und Menschen lernen einfach nicht aus ihren Fehlern bzw. sind nicht fähig, sie auf neue Situationen zu übertragen. Heute geht es nicht mehr um Dampfmaschinen, aber große Städte bereiten uns immer noch eine Menge logistischer und vor allem psychischer Probleme, die Maschinen herrschen mittlerweile über uns, und rußige Erker und schmutzige Ecken, in denen Menschen leben müssen, kannst du auch immer noch zuhauf sehen. Das sind existenzialistische Probleme und Erfahrungen, die nicht an einem spezifischen Jahrhundert festzumachen sind. Nicht zuletzt war es mir auch wichtig, die Zeitlosigkeit dieser Thematiken herauszustellen und mit meinem inhaltlichen Anliegen nicht im Sumpf der depressiven Postrocker zu versinken.

Suchst du selbst die Flucht vor der Großstadt?
Ja, schon. Ich selbst lebe in einem kleinen Städtchen, das mehr Dorf als Stadt ist, aber fühle mich hier immer noch zu beengt. Gelegentlich besuche ich große Städte (auch richtig große Städte wie Jakarta oder Lima), finde sie auf ihre Weise faszinierend und schätze auch die fast unendliche Zahl an Möglichkeiten der Beschäftigung, fühle mich aber auch sehr schnell überfordert davon. Wenn ich frei wählen könnte, wo ich leben möchte, würde ich ein rotes Holzhaus auf einem Seegrundstück in der nordschwedischen Einöde kaufen. Aber noch ist es nicht soweit, dass das eine realistische Alternative ist.

Einige Motive tauchen in deinen Texten häufiger auf. Welche Bedeutung haben die Hunde?
Die Hunde sind ein Motiv, das mehrere Bedeutungen hat. Zum einen sind sie Knechte derjenigen, die unterdrücken, sie werden als Jäger den Flüchtenden hinterhergeschickt, sind aber nicht fähig sie zu wittern. Auch stehen sie für das notdürftig Gezähmte im Menschen, die domestizierte Wildheit und Grausamkeit, die wir so gerne ablegen würden, vor der wir aber nicht fliehen können - deswegen schlummern die Hunde schon in jeder Hütte, die wir betreten. Das ist übrigens ein Thema, das ich auf "Kainsmal" im Stück "Lykoi" schon einmal aufgegriffen habe.

Noch ein Leitmotiv: die Weiten, die wir niemals zu sehen bekommen. Das klingt spirituell, aber inhaltlich sehr offen. Bezieht sich diese Metapher auf Religion?
Vielleicht, vielleicht auch nicht - es ist wirklich eine sehr offene Metapher. Letztlich steht sie meinem Empfinden nach für etwas, das wir uns ersehnen, dem wir aber niemals ernsthaft nacheifern. Etwas, das wir vor Augen haben, aber nicht erreichen (können, oder wollen?), etwa vergleichbar mit der Möhre vor der Nase des Esels. Ich hoffe, dass sich das mit meinem Holzhaus in Schweden nicht so verhält.

Ist "Bannstein" letztlich ein Album über die Sehnsucht nach Transzendenz?
Soweit würde ich nicht gehen. Es ist vor allem ein Album eines Menschen, der ernüchtert ist von Menschen und von ihrer Unfähigkeit, sich wahrhaftig zu entwickeln.

Die Hammer-Amboss-Metapher am Ende von "Ein letztes Menetekel", ist das deine eigene, existenzialistische Antwort auf die Frage nach Transzendenz?
Es ist eher mein Gefühl davon, wie Menschen ihr Leben gestalten. Das dauerhafte Rumgeheule derjenigen, die sich in einer albernen, irrationalen Opferrolle sehen, kotzt mich an. Genauso kotzt mich die Täterschaft der Menschen an, die sich tagtäglich abscheulicher moralischer und vieler anderer Verbrechen schuldig machen. Wir reiben uns selbst zwischen uns auf.

Ich werfe mal ein paar Namen in den Raum, die mir beim Lesen der Texte in den Sinn kamen, und würde gern dein Verhältnis zu diesen Künstlern wissen. Lunar Aurora.
Lunar Aurora sind eine der Bands, die mich am längsten im deutschen Black Metal begleiten. Ich habe sie immer für das verehrt, was sie schon Mitte der 90er gemacht haben, und habe das fast bis zuletzt getan. Interessanterweise habe ich erst vorgestern ein Gespräch darüber gehabt, dass ich die Band eigentlich lieben müsste, mir aber vermutlich seit fast 10 Jahren kein Album von ihnen angehört habe, was wirklich seltsam ist. Vermutlich hat sich mein Verhältnis zu ihnen etwas geändert.

Alexander Paul Blake.
Ich habe Sascha Blach nie so recht verstanden, muss ich sagen. Eden Weint Im Grab zum Beispiel gibt mir absolut gar nichts in seinem Ausdruck. Bei Aethernaeum habe ich nicht nur mit der Schreibweise zu kämpfen, sondern auch mit seiner Musik, die für mich immer gute Ansätze hatte, bei der mir aber das Zwingende fehlt. Dafür teilen wir eine Vorliebe für die ersten beiden Ulver-Alben (bei mir auch und vor allem das dritte).

Das Ich.
Wenn ich mich nicht völlig irre, habe ich nie auch nur einen Song von der Band gehört.

Zuletzt Fluoryne, die du auf jeden Fall kennen dürftest.
Falk [Wehmeier, Keyboarder bei GEIST, der Vorgängerband von EÏS - Anm. ta] hat mit Fluoryne ein paar echt coole Songs gemacht und es verstanden, Atmosphäre aufzubauen. Nicht zuletzt ist Falk es gewesen, der mich auf die wohl schon immer vorhandenen Parallelen meiner Texte zu expressionistischer Lyrik aufmerksam gemacht hat. Leider ist das Projekt meines Wissens nach schon lange tot, was durchaus schade ist.

Zur Musik. "Bannstein" wirkt auf mich sehr kalkuliert, weil stimmungs- und abwechslungsreich. Komponierst du eher kopflastig? Und war das bei "Wetterkreuz" genauso?
Nein, ich habe noch niemals auch nur ein kalkuliertes Stück geschrieben, geschweige denn ein ganzes Album, das kann ich auch gar nicht. Wohl aber plane ich natürlich die Atmosphäre eines Stückes ein wenig vor, komponiere und arrangiere also in eine bestimmte Richtung, aber das macht vermutlich jeder - ich weiß aber nicht, ob das Kopflastigkeit ist. Meinem Empfinden nach komponiere ich sehr emotional. "Wetterkreuz" ist ein sehr stürmisches, drängendes Album, "Bannstein" dagegen reifer und ausgeglichener, aber beide sind für mich die reine Emotion.

Beim Mittelteil von "Im Schosz der welken Blätter" ab diesem leicht Pagan-lastigen mehrstimmigen Riff könnte ich jedesmal ausrasten, weil das einfach so geil ist. Hast du solche Momente als Musiker noch, wo dich deine eigenen Ideen überwältigen?
Hast du gerade das Wort Pagan im Zusammenhang mit EÏS verwendet? Ich finde raus, wo du wohnst, und dann...
Ähem, da hat mich wohl kurz mein innerer Kanwolf überwältigt, entschuldige.
Ja, solche Momente habe ich sehr oft, sonst würde ich diese Songs niemals so veröffentlichen, wie man sie jetzt hören kann. Bei diesem Song geht mir das zum Beispiel extrem so, aber auch bei fast allen anderen auf dem Album verbinde ich emotional sehr viel damit. Mich freut sehr, dass das Album fähig ist, das zu transportieren.

"Wetterkreuz" war deutlich Attacken-lastiger. Woher kommt die Neigung zu ruhigeren und langsameren Tönen?
Die Stimmung beim Komponieren war einfach anders, es war eine andere Zeit als Ende 2011, Anfang 2012, mich trieben andere Dinge um, ich war ein anderer Mensch, die Umstände waren andere. "Bannstein" ist reflektierter als "Wetterkreuz" und einfach ein anderes Album, es ist auch eigener im Stil und braucht diese Attacken nicht, um auszudrücken, was es ausdrücken will.

An einigen Stellen des Album sind Maschinengeräusche zu hören. Wie habt ihr die produziert?
Die hat ein Bekannter produziert, Manuel Karakas, der auch einen Song auf dem Bonusalbum gesungen und an diesem Bonusalbum gearbeitet hat. Er hat mir auch mit dem Intro zu "Ein letztes Menetekel" geholfen.

Einige Momente wie in "Im Noktarium" sind für Black Metal schon sehr friedfertig, geradezu schön. Inwiefern fühlst du EÏS noch der Black-Metal-Szene zugehörig?
Puh, die Black-Metal-Szene ist groß und vielfältig ... Manchen Teilen davon sehe ich die Band sehr zugehörig, vielen aber auch nicht. Letztlich ist das doch aber auch völlig wurscht, denn "Bannstein" ist in seinen einzelnen Stücken doch mehr die Vertonung eines imaginären Films oder einer Erzählung, als dass es jetzt unbedingt ein pures Black-Metal-Album sein müsste. Für mich ist es das, aber ich empfinde Black Metal auch durchaus als schön (allerdings nicht als friedfertig), und so hat jeder seine eigene Vorstellung davon. Ist ja auch egal - jeder sollte mal reinhören, und wenn es jemanden packt, tut es das. Wenn nicht, dann eben nicht.

Ihr seid sicher mit "Bannstein" zu nett für die Orthodox-Fraktion, andererseits aber zu rau und langatmig für den Dimmu-Borgir-Fan. Hast du Angst davor, dass EIS zu sehr zwischen den Stühlen sitzen?
Eigentlich nicht. Ich mache die Musik ja nicht, um mich oder die Band irgendwo anzubiedern, sondern weil es die Musik ist, die mich bewegt und die ich mag, und weil ich eben so bin, wie EÏS klingt. Ich bin kein böser Mensch, ich bin niemand, der mit seiner Musik Geld verdienen muss, ich bin kein Rockstar - ich bin jemand, der Black Metal liebt und ihn so spielt, wie ich ihn liebe. Es wäre traurig, lebten wir in einer Zeit, in der es nur noch entweder-oder gäbe.

Eïs

Wegen wem sind auf der zurückliegenden Tour mehr Leute zu den Shows gekommen - wegen euch oder Negator?
Die ersten zehn Konzerte habe ich noch am Einlass gestanden und jeden gefragt, wegen welcher Band er oder sie kommt, aber das hab' ich dann beim letzten irgendwie vergessen. Deswegen kann ich dir da leider keine statistisch belegte Angabe machen. Um mal völlig gerechtfertigte Werbung zu machen und einer arroganten, aber natürlich wahrheitsgemäßen Antwort aus dem Weg zu gehen, würde ich sagen: Die meisten sind wahrscheinlich gekommen, weil die unfassbar geilen GRIFT ihre ersten Gigs gespielt haben.

Negator pflügen auf Platte ja alles in Grund und Boden. Sind das privat richtige Schwiegersöhne?
Du meinst Leute, die keinen Mittagsschlaf machen, keine Spülung benutzen, 24 Stunden lang auf WLAN verzichten können und ihren Kaffee auch mal ohne Milch trinken? Wenn du wüsstest, wie die Realität im Black Metal aussieht ...

Letzte Frage: Wo ist C:R:A geblieben? Er war m.E. ein toller Live-Gitarrist.
Hm, wenn es stimmt, was ich gehört habe, ist er wohl aus der Band ausgestiegen und hat jetzt ein paar andere Betätigungsfelder, zum Beispiel Funeral Procession.

Alboîn, danke für das Interview.
Danke dir für das sehr interessante Interview, tolle Fragen!









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