www.Crossover-agm.de RE-VISION: Chapter IV: ...All For The Sake Of Love
von rls

RE-VISION: Chapter IV: ...All For The Sake Of Love   (Sleaszy Rider Records)

Der Kreis der Nur-reguläre-Alben-Käufer wird sich die Augen reiben, ob er hier wirklich re-Vision im CD-Player liegen hat, die er bis zum "Longevity"-Album als angedüsterte (Prog-)Powermetaller mit deutlicher Maiden-Vorliebe kannte. Aber wer das Review zu "The Demo Years" gelesen hat, der ist über die Veränderungen in der Band prinzipiell bereits informiert, und seit dem 2004er Demo "For The Sake Of Love" ist die Entwicklung auch kontinuierlich weitergegangen, wobei eine wichtige Komponente hinzugekommen ist: re-Vision haben in Gestalt von Daniel Düring mittlerweile nur noch einen Gitarristen, was gewissermaßen zwangsweise den Anteil Iron-Maiden-ähnlicher Passagen noch etwas herunterschraubt, da die mit nur einer Gitarre live kaum umsetzbar wären. Damit aber dieser Einfluß nicht komplett verschwindet, gibt es als 14. Track des neuen Albums mit "Strange World" ein Maiden-Cover der relativ ungewöhnlichen Art - schon die Wahl ist originell, die Umsetzung in den Stil, wie auch re-Vision selbst eine eigenkomponierte Halbballade umsetzen würden (in der Strophe fällt dadurch auch gleich mal die Hauptgitarrenlinie weg ...), durchaus gelungen, wenngleich konsequente Traditionalisten sicherlich anderer Meinung sein werden. Aber diese Fraktion hatte bei re-Vision eigentlich noch nie was zu lachen, denn die Ruhrgebietsbewohner verstanden es von jeher, traditionelle Einflüsse zu verarbeiten, aber ein eigenständiges und durchaus modernes Gesamtbild zu malen. So gibt es denn auch in den 13 Eigenkompositionen modernen düsteren Power Metal, der rein instrumental durchaus ein wenig an neuere Perzonal War erinnert, eine Band, mit der re-Vision durch freundschaftliche Bande zusammenhängen und von denen zwei Mitglieder auch an "Chapter IV" direkt beteiligt waren: Matthias Zimmer schuf das Artwork, in dem eine Nebelkrähe die zentrale Rolle spielt, und Martin Buchwalter übernahm in Gemeinschaftsarbeit mit Drummer Dominik Mix und Mastering des Albums. Am Klangbild gibt's auch absolut keine Abstriche zu machen, zumal auch schon für die eigentlichen Aufnahmen ein Profi am Werk war: Devon Graves (Dead Soul Tribe), der es sich auch nicht nehmen ließ, bei drei Songs Lead oder Backing Vocals beizusteuern, darunter bei "Strange World", was eine interessante Duettwirkung mit dem hauptamtlichen Leadgesang ergibt. Diesen steuert, was Nur-reguläre-Alben-Käufer auch noch nicht wissen, mittlerweile nicht mehr der hochgradig originell klingende Frank Wenner bei, sondern schon seit dem 2002er Demo Anke Brügmann (jetzt Anke Willnat heißend), und sie singt in kraftvollen mittleren Tonlagen, was mit der generellen Ausrichtung der Songs hervorragend korrespondiert: Extreme sind auch dort abwesend, die Mitte regiert, und das bedeutet in diesem Falle nicht Gesichtslosigkeit oder gar Verschwinden in einer grauen Masse, sondern eine durchaus selbstbewußte Positionierung mit gar einer gewissen Originalität - eine Band, die re-Vision aufs Haar gleicht, ist im metallischen Kosmos kaum auszumachen, und das gilt für die neue Ausrichtung ebenso wie für die frühe Inkarnation. Interessanterweise hat sich rein vom Songwriting her gar nicht so viel geändert, wenngleich man bei "Shapeless" aufgrund der Gitarrenarbeit schon noch erkennt, daß es sich um einen relativ frühen Song handeln muß - und siehe da, er stammt tatsächlich vom 2002er Demo. Sieben der dreizehn Eigenkompositionen waren auf den drei zwischen 2002 und 2004 eingespielten Demos enthalten, die anderen sechs sind undatiert (also wohl jüngeren Datums), aber alles klingt zweifellos wie aus einem Guß. Der Schachzug, die schöne Halbballade "While We Sleep" und den schnellsten Song der Scheibe "Chew 'Em Through" (treibendes Midtempo) unmittelbar hintereinander kurz hinter der Albummitte zu plazieren, darf als gelungen gewertet werden - das markiert die Randbereiche des Albums, aber eben nicht im Sinne einer kontinuierlichen Exzelsior-Entwicklung, sondern genau an der Stelle, wo man sich nach sieben in verschiedenen Midtempolagen gehaltenen Songs eine Abweichung nach oben oder unten gewünscht hatte. Ein gutes Händchen für Dramaturgie haben re-Vision also auch, und das rundet das Bild von einer originellen und wertvollen Formation ab.
99 Menschen außer dem Rezensenten haben jetzt noch die Gelegenheit, tiefergehende Studien zu beginnen: "Chapter IV" erscheint auch in einer auf 100 Exemplare limitierten Auflage in einem Package, das neben dem regulären Album zwei Buttons, einen Sticker, ein signiertes Bandfoto und eine zweite CD enthält. Selbige zweite CD heißt "The Demo Years 2002-2004" und beinhaltet die kompletten drei Demos aus dieser Periode, die insgesamt 12 Songs enthielten. Die Scheibe ist also nicht ganz identisch mit der an anderer Stelle bereits rezensierten Privatpressung "The Demo Years" - dort fehlten "Descending Flame" (2002), "Electric Streams" und "White Bled Soul" (beide 2003), dafür ist aber auf "The Demo Years 2002-2004" das Aerosmith-Cover "Taste Of India" nicht vertreten, das noch aus den "Longevity"-Sessions stammte und mit Frank Wenner am Mikrofon eingespielt worden war. Ein kleiner Rest Exklusivität verbleibt also für beide Editionen, zumal die drei erwähnten Eigenkompositionen auch nicht zu den sieben Neueinspielungen für das reguläre Album gehören. Interessanterweise haben re-Vision das komplette 2004er Demo aufs Album übernommen, vom 2003er dagegen nur "Deep Fovea" mit seiner auch noch deutlich in die Frühzeit der Band zurückverweisenden Leadgitarrenarbeit und vom 2002er "Deconstructed" und das erwähnte "Shapeless". Das soll indes keinen etwaigen Qualitätsabfall implizieren - zwar sind die Demotracks einen Tick druckärmer und unklarer produziert (man hört trotz gleichen Aufnahmetempels auch einige Unterschiede zwischen den drei Sessions, wobei paradoxerweise die von 2003 einen leicht verwascheneren Klang als die von 2002 besitzt), aber sie machen generell Hörspaß und geben wie erwähnt gleichzeitig die Möglichkeit, die Entwicklung der Band nachzuverfolgen. Wer mag, kann auch die Trackversionen vergleichen und wird trotz genereller Strukturübernahme den einen oder anderen Unterschied bemerken, etwa in "Chew 'Em Up", das in der Demovariante noch eine Halbballade war und weit vom Aufstellen des Geschwindigkeitsrekords entfernt, oder in "Don't Wake Me Up", das in der Albumversion basischer inszeniert wurde als in der 2004er Demovariante; überhaupt ist das kein singuläres Phänomen, daß einige der Albumversionen behutsam auf das Wesentliche reduziert wurden, was freilich in "Deconstructed" so weit getrieben wurde, daß dessen Hymnencharakter des Refrains ein wenig gelitten hat, was man indes nur bemerkt, wenn man beide Versionen nacheinander hört. re-Vision müssen also aufpassen, sich nicht zu weit in ihre Nische hineinzumanövrieren und (auch aufgrund der live reduzierten Möglichkeiten mit nur einer Gitarre) von vornherein kompositorisch oder arrangementseitig enger zu denken - das kann Vorteile haben, muß aber nicht in jedem Fall die bessere Lösung sein, zumindest was die Studioarbeit angeht. Das positive Bild von "Chapter IV" beeinträchtigt diese Einschätzung jedenfalls nicht, zumal sie für die Leserschaft wohl sowieso theoretisch bleiben wird - wenn dieses Review erscheint, wird die Special Edition sicherlich ausverkauft sein und "Chapter IV" daher wieder für sich stehen.
Kontakt: www.re-vision.org, www.sleaszyrider.com

Tracklist:
CD 1:
Colours
Scream
Deconstructed
For The Sake Of Love
Tomorrow May Come
Shapeless
Awake My Soul
While We Sleep
Chem 'Em Through
Don't Wake Me Up
Tantalized
Lights On Me
Deep Fovea
Strange World

CD 2:
Deconstructed
Face Of Rust
Shapeless
Descending Flame
Cold Skin
Electric Streams
Deep Fovea
White Bled Soul
For The Sake Of Love
Lights On Me
Chew 'Em Through
Don't Wake Me Up
 




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