www.Crossover-agm.de STEFAN ZAUNER: Zeitgefühl
von rls

STEFAN ZAUNER: Zeitgefühl   (DA Music)

"Zeitgefühl" ist das beste Münchener-Freiheit-Album, das nicht von der Münchener Freiheit stammt. Punkt. Diese Aussage hat zwei Komponenten. Zum einen gab und gibt es keine Band, die dem originellen Sound besagter Kapelle so en detail nachgeeifert hat, wie es in zahllosen Fällen anderer erfolgreicher Acts gang und gäbe ist. Zum anderen fällt auf, daß sich Stefan Zauner auf seinem dritten Soloalbum nur marginal vom Gesamtsound seiner Ex-Kapelle wegbewegt hat. Natürlich fehlen Aron Strobels und Michael Kunzis Stimmen in den Chorgesängen, aber das ist eigentlich auch schon der einzige größere Unterschied. Zauner bestreitet Leadvocals und Backingchöre jetzt eben im Alleingang, und auch instrumentenseitig hat er alles allein eingespielt, wobei man den computerisierten Background der Drums dankenswerterweise nur selten heraushört und er in diesen Situationen auch kaum mal als Störfaktor wirkt - und kurioserweise wirken die Drums hier bisweilen natürlicher als beispielsweise in etlichen Songs auf dem MF-Album "XVII". Möglicherweise hat Zauner sich ja doch auch mal selber hinters Kit geklemmt; daß er das kann, wissen wir ja anhand der Instrumententauschzugaben am Ende eines jeden MF-Gigs. Von Haus aus ist er allerdings Keyboarder, und das glaubt man der Scheibe hier und da auch anzuhören, selbst wenn die Gitarre durchaus nicht untergeht und in "Wenn du mich suchst" gar fette Riffs mit Metalkante auftauchen, wie man sie in Zauners Schaffen bisher noch gar nicht entdecken konnte. Und das ist nicht die einzige Stelle, wo man sich wünscht, Zauner hätte die erstklassige Grundidee noch ausschweifender ausgearbeitet, instrumentenseitig vielleicht noch ein bißchen mehr gegeben, sei es ein Solo, eine Bridge, eine Weiterentwicklung oder Steigerung mehr. Denn wenn man "Zeitgefühl" eines vorhalten kann, dann ist es die zu kompakte Herangehensweise an einige Ideen, aus denen man eben noch viel Größeres hätte herausholen können als das Große, das Zauner immerhin noch herausgeholt hat. Und das macht von der 1. bis zur 51. Minute zweifellos Hörspaß, auch wenn selbst diese Scheibe ein paar Elemente enthält, an die man sich erst schrittweise gewöhnen muß, wobei es auch welche gibt, bei denen dieser Gewöhnungsprozeß kein Ende findet. Aber selbst dann bleibt genügend Zeit, sich von einem Highlight zum nächsten zu hangeln, denn von diesen hat Zauner wieder eine ganze Latte auf dem Album untergebracht, die jedem Anhänger der Münchener Freiheit ohne Wenn und Aber gefallen müßten, nicht nur wegen der abermals gekonnten gesanglichen Leistungen, die sich trotz der Tatsache, daß dieses Studioprojekt wohl nie den Weg auf eine Bühne finden wird, von Passagen möglicherweise problematischer Liveumsetzbarkeit fernhält. Das macht nichts - es bleibt genug Können übrig, und man freut sich, daß diese originelle Stimme noch nicht verstummt ist, zumal selbst die Texte diesmal wieder einen Tick weniger wie aus dem Scrabblekasten der Emotionslyrik zusammengesetzt wirken, auch wenn sie das bekannte Territorium nicht verlassen. Der Text des Openers "Liebe besiegt die Zeit" stellt übrigens die einzige externe kreative Leistung des Albums dar - er wurde von Wolfgang Adenberg geschrieben, alles andere ist Zaunersches Werk, also ein Soloalbum im wahrsten Sinne des Wortes, zu dem nur noch eine Nicht-Zauner-Komponente kommt: die Hinzuziehung von Petra Manuela als Co-Sängerin in "Tick Tack" und "Eine Welt die es nicht gibt". Nur unter Vornamen antretende Künstler versetzen den Freund anspruchsvollerer Musik bisweilen in Alarmstimmung, aber im vorliegenden Fall kann Entwarnung gegeben werden, zumindest im Hinblick auf die Albumfassungen (auf der "Tick Tack"-Single soll allerdings auch noch ein Dance-Remix stehen - Rückfallgefahr in alte Untugenden und der Versuch, Zielgruppen heranzuziehen, die sich sonst nie ein Zauner-Album kaufen würden?), wo die mit Zauner übrigens auch privat verbandelte Sängerin einen erfreulich unstromlinienförmigen Part zu spielen hat. Nicht im Booklet vermerkt ist übrigens, wer den Kinderchor im viel zu unauffälligen "Wer hat Angst vor morgen" eingesungen hat - oder sollte der gar computergeneriert sein? Immerhin bleibt der nur zweieinhalbminütige Song, der wirkt, als ob er noch nicht fertig bzw. zu Ende gedacht sei, einer der nur sehr wenigen schwächeren Momente des Albums. Fans klassischer 80er-MF-Klänge der etwas flotteren Gangart dürften an "Im falschen Traum" oder "Wunderbar" Gefallen finden, aber auch die Bombastballaden "Liebe besiegt die Zeit" und "Du bist einfach da" hätten einen Platz auf besagten Scheiben bekommen können, wären sie denn damals schon komponiert gewesen. Daneben experimentiert Zauner aber auch fröhlich vor sich hin, etwa im vielschichtigen "Loslassen", das durch seine explosionsartigen Paukenhintergrundgeräusche einen ganz eigentümlichen Touch bekommt, während das schleppende "Geisterstunde" (natürlich kein Babylon-Cover) ein wenig an "Leuchtturm" erinnert, aber noch neblig-düsterer daherkommt und das programmatische "Blues" eine Stilistik aufgreift, die man auch auf MF-Alben gelegentlich zu hören bekommen hatte, etwa in "Sorry" vom bereits erwähnten "XVII"-Album, wobei "Blues" allerdings musikalisch weit weniger auf die gängigen Elemente dieses Stils zurückgreift, sondern fast in progrockigen Gefilden landet und sich im Hauptsolo endlich mal richtig was zutraut - davon hätte man wie erwähnt gerne noch viel mehr gehört (das kann man übrigens auf den beiden ersten Zauner-Soloalben aus den Siebzigern - wäre es nicht mal eine Aktion, diese wiederzuveröffentlichen, nachdem sich selbst Dream-Theater-Keyboarder Jordan Rudess als Anhänger geoutet hat?). Aber auch in der vorliegenden Form gehört "Zeitgefühl" zweifellos zu den positivsten Überraschungen des Tonträgerjahres 2012, auf dessen Qualität man bestenfalls hoffen durfte. Und wenn die Münchener Freiheit mit neuem Sänger jetzt ein ebenbürtiges Album vorlegt, ist für den Anhänger eigentlich eine ideale Situation entstanden, bekommt er doch interessante Platten in doppelter Dosis geliefert. Hat 1980 bei Black Sabbath, die mit Ronnie James Dio den Meilenstein "Heaven And Hell" einspielten, während Ex-Sänger Ozzy Osbourne mit "Blizzard Of Ozz" gleichfalls einen Meilenstein vorlegte, schließlich auch geklappt ...
Kontakt: www.da-music.de, www.crocodile-music.de
PS: Daß der Rezensent unmittelbar vor dem Zauner-Album die Riverside-EP "Memories In My Head" rezensiert hat, deren CD-Aufdruck ebenfalls ein Zifferblatt zeigt (im Gegensatz zu Zauner aber mit arabischen statt römischen Ziffern), dessen Zeiger ebenfalls auf 10.10 Uhr stehen, ist blanker Zufall ...

Tracklist:
Liebe besiegt die Zeit
Wunderbar
Du bist einfach da
Tick Tack
Wenn du mich suchst
Wenn die Zeit vergeht
Geisterstunde
Eine Welt die es nicht gibt
Wer hat Angst vor morgen
Im falschen Traum
Loslassen
Blues
Amerika
Man kann



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