www.Crossover-agm.de WOLF: Black Wings
von rls

WOLF: Black Wings   (No Fashion Records)

Wagen wir ein kleines Gedankenexperiment und begeben uns dazu zurück ins Jahr 1978: Dennis Wilcox, der zweite Sänger in der Geschichte von Iron Maiden (der erste war kein Geringerer als Paul Mario Day, der später bei More und Wildfire wieder auftauchen sollte), hat die Band gerade eben verlassen, aber anstelle des in der Realgeschichte eingestiegenen Paul Di'Anno nimmt der mittels einiger Pinselstriche in der Geburtsurkunde altersmäßig passend gemachte Andi Deris den Platz am Mikro ein. Sieht man mal davon ab, daß auf dem tatsächlich veröffentlichten Doppelschlag "Iron Maiden" und "Killers" anderes Songmaterial seinen Platz gefunden hat, würde es beim konsequenten Weiterspinnen des Gedankenexperiments niemanden wundern, wenn eine der dann entstehenden Platten "Black Wings" geheißen und man neun Songs namens "Night Stalker", "Demon Bell", "I Am The Devil", "Venom", "A World Bewitched", "The Curse", "Unholy Night", "Genocide" und "A Dangerous Meeting" (letztgenanntes könnte von der Struktur her durchaus ein Mercyful Fate-Cover sein, allerdings besitze ich "Don't Break The Oath" mit der möglichen Originalversion nicht und kann das daher nicht nachprüfen) darauf gefunden hätte (man vergegenwärtige sich, daß derart plakative Songtitel im Heavy Metal der 1980er zum guten Ton gehörten, ohne deshalb nun gleich eine satanische Grundausrichtung zu transportieren), womit ganz nebenbei auch noch eine ganze Herde Bands auf der Suche nach einem Namen fündig geworden wäre (Bewitched gibt's ja gleich mehrere, Genocide ebenso, aber Venom wird sich wohl nicht nochmal eine nennen). Wer's bisher noch nicht mitbekommen hat: "Black Wings", veröffentlicht Anfang 2002 und nicht etwa über 20 Jahre zuvor, der Schweden Wolf klingt über weite Strecken originalgetreu nach frühen Iron Maiden mit besagtem Andi Deris (Helloween, Ex-Pink Cream 69) am Gesang - jeder NWoBHM-Kenner würde beispielsweise "I Am The Devil" oder "The Curse" für einen frühen unveröffentlichen Iron Maiden-Track mit irgendeinem unbekannten Sänger halten, so charakteristisch sind die doppelläufigen Gitarren Marke Murray/Stratton bzw. bedingt auch noch Murray/Smith. Diese Stilelemente sind natürlich nicht von Iron Maiden gepachtet worden, aber sie in dieser Intensität abzupausen haben sich bisher nicht mal Tierra Santa getraut. Ab und an lassen aber auch Wolf ein paar unmaideneske Elemente einfließen (einige Passagen der Soli in "Night Stalker" und "Demon Bell" hätten die Maiden-Gitarristen der Frühzeit nicht so umsetzen können, weil diese Sorte Melodik erst in den Eurospeed der Mittachtziger einzufließen begann, wofür ein gewisses Duo namens Kai Hansen & Michael Weikath nicht ganz unschuldig war), und so weit in den Hintergrund, wie der Baß bei Wolf steht, hätte sich Steve Harris im Sound nie drängen lassen. Geschwindigkeitstechnisch gehen Wolf nicht über das anno 1980 Usus Gewesene hinaus - sie verweigern sich konsequent gleichermaßen neumodischen Einflüssen wie den gängigen Melodic Speed-Schemata, sondern spielen einfach nur den Metal, mit dem sie offenbar aufgewachsen sind und den sie im Blut haben. Das größte Kunststück bringen die vier Schweden allerdings in "Unholy Night" fertig: Auch dieser Song klingt stark nach frühen Iron Maiden, obwohl er bis aufs Hauptsolo in einem Dreiertakt gehalten ist (interessante Schlagzeugarbeit übrigens!), der im Metal eigentlich erst mit Amorphis' "Black Winter Day" von 1994 so richtig salonfähig wurde und vorher zwar bisweilen auch schon eingesetzt wurde, allerdings nie in Massen. Ich kenne das selbstbetitelte Wolf-Debüt nicht (nur die Coverabbildung Marke "Kunsterziehung, Klasse 6, Thema: Wir malen Tiere aus dem Wald"), aber wenn das ähnlich professionell uralte Einflüsse in einen neuen Sound umsetzt, dann sollte man als qualitätsbewußter Metaller mit Hang zu gestern eigentlich gleich doppelt zugreifen können. Apropos neuer Sound: Peterle Tägtgren hat es tatsächlich verstanden, nicht zu modern zu produzieren (das werfen ihm Kritiker ja immer wieder anhand seiner Arbeiten für die neueren Destruction-Alben vor) und trotzdem keine 20 Jahre dicke Staubschicht auf den Abtastlaser zu legen. Und da Iron Maiden ja heute etwas anders klingen als vor 20 Jahren, kann dem Uraltfan, der mit der aktuellen Ausrichtung weniger glücklich ist, mit Wolf bestens geholfen werden.



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