www.Crossover-agm.de SYMPHONITY: Voice From The Silence
von rls

SYMPHONITY: Voice From The Silence   (Limb Music)

Daß in Osteuropa größere Mengen an genialen Bands existieren, von denen der Rest der Welt wenig bis keine Ahnung hat, ist ein Faktum. Aber zumindest ab und zu schafft es doch mal eine, auch im angloeuropäischen Kulturkreis Fuß zu fassen, und die Tschechen Symphonity haben zumindest strukturell die besten Voraussetzungen dafür. Schon die Vorgängerband Nemesis konnte mit dem bei den Italienern Underground Symphony veröffentlichten Album "Goddess Of Revenge" erste Achtungserfolge einheimsen und wurde auch in Japan richtig groß damit. Aber dann überstürzten sich die Ereignisse: Ein Bandmitglied nach dem anderen wechselte, wobei alle Positionen aber kompetent neu besetzt werden konnten. Letztes Wechselglied war Sänger Vilem Mejtner, der unmittelbar vor den Aufnahmen zum neuen Album seinen Hut nahm. Urgitarrist Libor Krivak und seine neuen Mitstreiter beschlossen daraufhin die Flucht nach vorn, verpflichteten keinen Geringeren als Olaf Hayer (den kennt man weitreichend von Dionysus und Luca Turilli), benannten sich von Nemesis (ein Bandname, der selbst innerhalb Tschechiens schon mehrfach gewählt worden war, und im Rest Europas dachte man dabei natürlich zuerst an den legendären Candlemass-Vorläufer) in Symphonity um, heimsten einen Deal bei Limb Music ein und stehen mit "Voice From The Silence" nun Gewehr bei Fuß, die Herzen der deutschen Liebhaber hochklassigsten Symphonic Metals zu erobern. Und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn ihnen mit diesem Album nicht zumindest ein gewisser Schritt auf der Erfolgsleiter gelingen sollte, denn die tschechisch-deutsche Allianz hat mit "Voice From The Silence" mal so mir nichts, dir nichts das Album des Jahres 2008 fabriziert. Hier sprühen der Enthusiasmus und die Spielfreude nur so aus den Rillen, und dieser Eindruck wird keinesfalls allein dadurch hervorgerufen, daß sich Symphonity nach dem Intro über 20 Minuten Zeit lassen, bevor sie wieder für längere Zeit vom musikalischen Gaspedal heruntergehen. "Give Me Your Helping Hand", "Gates Of Fantasy", "Bring Us The Light" und "Salvation Dance" sind allesamt Lehrbeispiele für symphonisch-melodischen Speed Metal, wie man sie in ihrer Unbekümmertheit seit Stratovarius' "Episode" kaum jemals wieder gehört hat (und dieses Album ist zwölf Jahre alt!). Fast in jedem der Songs finden sich indes geschickt eingewobene Breaks, teils rhythmisch recht kompliziert, die das Anhören jedes Mal wieder zum Erlebnis machen und die Kombination aus purer Energie und gediegenem Anspruch lobpreisen lassen. Dazu gesellt sich ein geschicktes Händchen der Arrangementfraktion, etwa wenn in "Give Me Your Helping Hand" die erste Strophe in einen Part übergeht, der wie ein wenig markanter Refrain anmutet, sich dann aber doch nur als verkappte Bridge entpuppt, welcher ein großer chorunterstützter Refrain folgt, woraufhin der Hörer, stolz auf seine Entdeckung, nach der zweiten Strophe die gleiche Konstruktion erwartet, dort aber mit einer um ein, zwei Schläge verkürzten Bridge überrascht und vom plötzlich früher losbrechenden Refrain förmlich niedergemäht wird. Solche Feinheiten helfen das Hörinteresse wachzuhalten und zeugen von der hohen künstlerischen Einfühlsamkeit von Chefdenker Libor Krivak (der auf dem Foto im Booklet übrigens aussieht wie Saphena-Gitarrist Rob). Auf das bevorstehende Große hat den Hörer ja schon das Intro, eine leicht metallisierte Ennio-Morricone-Adaption, vorbereitet, ein weiteres Intro leitet das dreiteilige "The Silence" ein, trotz der auffälligen Struktur und des Bezuges zum Albumtitel nur bedingt als Herzstück des Albums anzusprechen, da es sich gerade hier um den einzigen schleppenderen Song handelt, der natürlich trotz allem viel bombastische Größe aufweist und den wichtigen tempotechnischen Kontrapunkt setzt. Der zweite ungewöhnlichere Song folgt gleich auf dem Fuße: Olaf Hayer durfte an "Searching You" nicht nur textlich, sondern auch musikalisch mitschreiben (die Frage, woher er gewußt haben könnte, daß dem Rezensenten am 25.7.2008, also fast exakt zum Erscheinungszeitpunkt des Albums, etwas passieren würde, was mit nur geringen örtlichen Abweichungen dem textlichen Szenario dieses Songs entspricht, muß unbeantwortet bleiben), und herausgekommen ist ein fröhlicher Gute-Laune-Metaller, der auch auf eines der Dionysus-Alben gepaßt hätte, wohingegen der Rest des Albums näher an Luca Turilli liegt. Danach gibt es mit "Evening Star" nochmal melodischen Speed vom Faß, an den richtigen Stellen abgestoppt und in der zweiten Hälfte dann komplett bombastisch-episch (ein großes kammermusikalisches Break gliedert den Song in der Mitte - nicht kompliziert, aber schön, zudem nicht simuliert, sondern mit echten Musikern eingespielt und mal kurz eine der 40 Mozart-Sinfonien zitierend) und generell einer der besten Songs, den Stratovarius nie geschrieben haben, zumal Libor Krivak hier auch die Melodieführung etwas an die Kompositionsprinzipien Timo Tolkkis angelehnt hat. Wer ein Metronom besitzt, darf sich zudem den Scherz erlauben, die Drums im Intro mal damit zu prüfen - es dürften interessante winzige Abweichungen zutagetreten, die für die Lebendigkeit dieses Songs eine erstaunlich determinierende Wirkung entfalten. Das kurze Instrumental "Afterlife" beendet den regulären Teil dieses metallischen Freudenfeuers, und nach einminütiger Pause erklingt noch ein Hidden Track, den man der Einfachheit halber im Booklet schon mal angekündigt hat, zwar nicht mit dem Titel, aber in den Credits der Komponisten, Texter und Gastmusiker. Die Namen Uwe Fahrenkrog-Petersen und Carlo Karges verraten schon vorab, daß es sich offenbar um ein Nena-Werk handeln muß, die Nennung von Lisa C Dalbello bei den Textern assoziiert zudem die Verwendung des englischen Textes. Das Hören offenbart dann eine metallisierte Kombiversion aus "Irgendwie irgendwo irgendwann" und "Anyplace Anywhere Anytime", die auch gesanglich geteilt wurde - Olaf singt die deutschen Textteile und Seventh Avenues Herbie Langhans als Gast die englischen, wobei es schön zu hören ist, daß Herbie im Studio nach wie vor die Tontreffsicherheit besitzt, die man aus den besten Seventh Avenue-Zeiten ("Southgate" bis "Between The Worlds") von ihm schätzen gelernt hatte, die aber auf "Eternals" und bei den drei Seventh Avenue-Gigs, die der Rezensent 2004, 2006 und 2008 gesehen hat, schmerzlich vermißt wurde - im Direktvergleich wird aber auch deutlich, daß Olaf Hayer derzeit doch noch in einer anderen Liga singt und damit "Voice From The Silence" das Tüpfelchen aufs i setzt. Wie gesagt: Vom derzeitigen Betrachtungszeitpunkt Ende 2008 aus liegt hiermit das Album des Jahres 2008 vor (eine Art professionalisierte Version von ReinXeeds "The Light", dem anderen Enthusiasmusgewinner des Jahres), und es ist ein positiver Treppenwitz der Musikgeschichte, daß dieses eben nicht von einer der großen etablierten Bands kommt, sondern von einer weithin unbekannten tschechischen Truppe. Support the underground!
Kontakt: www.symphonity.com, www.limb-music.de

Tracklist:
La Morale Dell'Immorale
Give Me Your Helping Hand
Gates Of Fantasy
Bring Us The Light
Salvation Dance
The Silence - Memories (Part I)
The Silence - In Silence Forsaken (Part II)
The Silence - Relief Reverie (Part III)
Searching You
Evening Star
Afterlife



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