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SARACEN: Red Sky / Heroes, Saints & Fools
von rls

SARACEN: Red Sky / Heroes, Saints & Fools   (Escape Music)

Es begab sich im Jahre 778, als der Frankenkönig Karl, den man später mit dem Beinamen "der Große" belegen sollte, über die Pyrenäen von Spanien ins heimatliche Frankreich zog, nachdem er in Spanien gegen die Araber, Mauren oder Sarazenen (man darf diese Termini durchaus synonym gebrauchen) gekämpft hatte. Die Nachhut führte der bretonische Held Roland, der allerdings das Pech hatte, in dichten Nebel zu geraten, so daß er sich mit seinen Leuten nur durch Hornsignale verständigen konnte, welche nun wieder die Sarazenen hörten, die ihn daraufhin überfielen und töteten. Aus diesem Geschehen entstand im 12. Jahrhundert ein Heldenepos, das sogenannte Rolandslied, das noch im gleichen Jahrhundert auch ins Mittelhochdeutsche übertragen wurde. Exakt 1198 Jahre nach der Untat in den Pyrenäen wurde in der Deutschen Demokratischen Repubik ein neuer Held (hüstel ...) namens Roland geboren, während sich gleichzeitig im seinerzeit weit westlich des antifaschistischen Schutzwalls gelegenen Großbritannien eine Band formierte, die sich den Namen Lammergier oder Lammergyer (die Überlieferung variiert je nach Quelle) gab, fünf Jahre später (der neue Held hatte mittlerweile Lesen und Schreiben gelernt) aber die Ungunst dieses Namens selbst einsah und sich deshalb vor den anstehenden Aufnahmen zum Debütalbum "Heroes, Saints & Fools" in Saracen umbenannte. Einige Jahre später erschien in veränderter Besetzung noch ein zweites Album namens "Change Of Heart", zwei Singles standen gleichfalls zu Buche, aber 1985 hörte die Band praktisch zu existieren auf, während der neue Held gerade die Unterstufe erfolgreich absolviert hatte und sich anschickte, die Mittelstufe der Polytechnischen Oberschule in Angriff zu nehmen. Von Saracen hatte er bis dahin noch nichts vernommen, und die Geschichte könnte fast zu Ende sein, denn er las den Namen der Band zwar später in dem einen oder anderen Bandlexikon, aber die Sarazenen begegneten ihm nie im Tonträgergeschäft. Diese kehrten indes anno 2003 heimlich, still und leise unter die Lebenden zurück, und zwar mit einem 70minütigen Album namens "Red Sky". Auch von diesem hörte der Held nie, bis, ja bis er Anfang 2006 plötzlich von einer anstehenden Doppelveröffentlichung der Alben "Red Sky" und "Heroes, Saints & Fools" Kunde erhielt und sich so die erstmalige direkte Konfrontation mit den Sarazenen seit eben dem Jahre 778 ergeben konnte, wenn auch nur auf audiophilem Wege.
Die beiden Scheiben liegen in einem schönen Doppel-Digipack vor, und zwar in chronologisch verdrehter Reihenfolge, also zunächst "Red Sky" von 2003, dann "Heroes, Saints & Fools" von 1981 und dann noch drei Bonustracks, auf denen Jason Gardener Baß spielt, die also irgendwann zwischen 1982 und 1985 entstanden sein müssen, der Zeit, in der er zur Band gehörte. "Red Sky" enthält zwölf Songs, davon einige neue und einige mit der 2003er Besetzung neu aufgenommene alte. Von "Heroes, Saints & Fools" sind dabei der Titeltrack und "Horseman Of The Apocalypse" (so steht's auf der Digirückseite bei der Neuaufnahme) bzw. "Horsemen Of The Apocalypse" (so steht's im Booklet, und so dürfte es auch richtig sein) noch einmal neu eingespielt worden, so daß man also beide Versionen hier direkt miteinander vergleichen kann. "We Have Arrived" gab's als Single anno 1983 (das könnte eventuell die o.g. Bonusversion sein, denn der fehlt beispielsweise das komplette mehrminütige Bombastintro) und später nochmal als Neuaufnahme auf "Change Of Heart", die Version, die "Red Sky" machtvoll eröffnet (beste Magnum-Zeiten kommen ins Gedächtnis!), ist also schon die dritte. Von "Change Of Heart" wurde ferner noch das schnelle "Jekyll & Hyde" neu eingespielt, und dann findet sich mit dem Closer "Follow The Piper" noch ein Uralttrack aus Lammergier-Tagen auf der Scheibe, der es zuvor nie auf Konserve geschafft hatte - das Ding hätten Asia mit Kußhand auf ihr Debütalbum genommen, so typisch ist die eröffnende Keyboardfanfare. Die restlichen sieben Songs scheinen, wenn man die kurzen Linernotes zu jedem von ihnen liest, neuen Datums zu sein, und sie sind es auch, die die Qualität des Albums bisweilen ein wenig schwanken lassen, denn unter ihnen findet sich beispielsweise sowohl das brillante Instrumental "Menage A Trois", bei dem John Davison und Sophie Freeman mit einem Alt- bzw. Tenorsaxophon hinzutreten und wundervolle Arbeit leisten, die auch dem in der regulären Bandbesetzung eingespielten Mittelteil attestiert werden darf, als auch ein eher langweiliger, höhepunktlos vor sich hin plätschernder Song wie "Castles In The Sand", den auch die dort erneut vertretene Sophie Freeman nicht aus der Mittelmäßigkeit herausreißen kann. Dafür fällt auf, daß speziell bei den Keyboards Richard Lowe großen Wert auf einen originalgetreuen altertümlichen Sound gelegt hat, denn das alte "We Have Arrived" verwendet ähnliche Keysounds wie das folgende neue "Red Sky" - ein positives Exempel für Stagnation. Lediglich die Drums klingen auf der ganzen "Red Sky"-CD ein wenig zu künstlich - um einen Computer handelt es sich laut den Bookletangaben aber nicht, so wird's ein produktionstechnisches Problem sein. Die Besetzung stimmt in drei Positionen mit der alten überein: Neben Richard Lowe ist auch Sänger Steve Bettney (interessante mäßig hohe, klare und flächige Stimme - man stelle sich vor, wie es klänge, wenn Def Leppards Joe Elliott richtig singen könnte) wieder mit dabei, und Alleinkomponist Rob Bendelow (Gitarre), der damals vor "Change Of Heart" ausgestiegen war, aber offenbar noch einiges Material, z.B. "Jekyll & Hyde", zurückgelassen hatte, ist auch wieder mit an Bord. Dazu kommen noch etliche Gastmusiker, neben den Saxophonisten auch noch auf dem vokalen Sektor, wobei die markanteste Arbeit von Dagi Kaletsch beigesteuert wird, die mit Steve in der starken Halbballade "Angel Eyes" (gerade hier hätte es aber eines natürlicher klingenden Drumsounds bedurft!) ein interessantes Duett singt - Aufteilungen der Gesangsparts auf mehrere Rollen sind überhaupt eine Spezialität von Saracen, denn dieses Stilmittel haben sie schon in "Jekyll & Hyde" (die Thematik dort schreit förmlich danach) und im Titeltrack von "Heroes Saints & Fools" eingesetzt.
Damit haben wir den Bogen zum 1981er Album geschlagen. Saracen ließen sich von der damals um sie herum explodierenden NWoBHM kaum beeindrucken, sondern konzentrierten sich auf progressiv angehauchten Melodic Rock mit nur gelegentlicher Metalschlagseite, der, wie oben bereits erwähnt, nicht selten eine Richtung vorwegnahm, mit der Asia kurz Zeit später etliche Millionen Platten an den Fan bringen konnten. Die progressive Anhauchung schlug sich allerdings in für den damaligen Zeitgeist teilweise sehr hohen Songlängen nieder (man erinnere sich, daß auch Iron Maiden nicht mit ihren Epics wie "Phantom Of The Opera" so erfolgreich wurden, sondern mit ihren kompakteren Songs wie "Running Free" - Saracen verzichteten indes darauf, beispielsweise von "Follow The Piper" einen Radio Edit zu erstellen, was durch einen Cut bei dreieinhalb Minuten unter Opferung der nächsten drei Minuten Instrumentalsolo durchaus möglich gewesen wäre). Trotzdem schaffte es das Album sogar in die Top 50 - und nicht etwa die Single "No More Lonely Nights"/"Rock Of Ages", die das scheinbar kommerziell zugänglichste Material des Albums enthielt. Diese beiden Songs standen auf Position 3 bzw. 2 des Albums, es eröffnet aber der episch-schwere Track "Crusader", der erst nach viereinhalb Minuten Fahrt aufzunehmen beginnt - bis dahin könnten die Metalfans der damals beginnenden Härter-und-schneller-Ära trotz des recht druckvollen Riffs schon fast eingeschlafen gewesen sein. Daß Saracens Siebziger-Verwurzelung nicht zu überhören war, dafür sorgte neben den Songlängen beispielsweise auch der eine oder andere Keyboardeinfall Richard Lowes, so etwa der flugartige Effekt in "Crusader" bei ca. Minute fünfeinhalb, der auch bei den Tonmalern Pink Floyd Gnade gefunden hätte. Steves Stimme präsentierte sich damals als durchgängig noch etwas höher gelagert und durchaus auch mal in schwindelerregende Gefilde abgleitend, wie gleich der Eröffnungsschrei in "Crusader" beweist. "Rock Of Ages" ist natürlich kein Def Leppard-Cover, sondern ein flotter geradliniger, fast als Metal zu bezeichnender Track, während "No More Lonely Nights" wie erwähnt nicht zufällig zur Single erkoren wurde, aber es mit seiner sehr stark rückwärtsgewandten Bauart (alte Heart oder so) schwer gehabt haben dürfte - zudem animieren die Mitklatscheffekte bei Minute 2 und später zumindest heutzutage eher zum Schmunzeln. Dagegen weisen die beiden für "Red Sky" noch einmal aufgenommenen Tracks, nämlich "Horsemen Of The Apocalypse" und der Titeltrack, gleichermaßen nach hinten wie nach vorn, also sowohl Richtung mittelalte Genesis als auch Richtung frühe Marillion, haben aber generell etwas mehr Power als beide Bands, was sie zu einer Art Mixtur aus Prog und Diamond Head (die Epiker unter den NWoBHM-Bands) macht. Auch die bereits erwähnten Magnum taugen an nicht wenigen Stellen zum Vergleich, das Instrumental "Dolphin Ride" hätte in einer etwas modernisierten Version gar auf Hubi Meisels "EmOcean"-Album Platz gehabt, und das das reguläre Album abschließende achtminütige "Ready To Fly" entwickelt nicht etwa Floydsche Schwebequalitäten, sondern läßt nochmal fast metallische Energie und Power anklingen (und das durchgehend, nicht nur in Robs begeisterndem, förmlich endlosem Solospot, ohne den der Song nur halb so lang gewesen wäre), und wer im kurzen instrumentalen Zwischenspiel nach Minute zwei genau hinhört, entdeckt gar ein kleines Riff, das dem klassischen aus Diamond Heads "Am I Evil?" ein wenig ähnelt. Danach folgen dann noch die erwähnten drei Bonustracks aus der späteren Zeit, neben "We Have Arrived" noch das Instrumental "Blue Stanza" (entspannt und zum Träumen schön) und der Vokaltrack "Come To The Light", der nicht nur aufgrund des Titels und der Thematik (überhaupt gibt's in etlichen der Tracks religiöse Anwandlungen) durchaus auch ins Schaffen von Petra gepaßt hätte (man lausche mal genau den Chorgesängen!). Wer eine der beiden CDs schon im Schrank stehen hat (von "Heroes, Saints & Fools" soll es 1992 schon mal einen CD-Release mit sieben Bonustracks gegeben haben), muß mit seinem Gewissen respektive Geldbeutel ausmachen, ob sich die weitere Ausgabe lohnt, für Saracen-Neulinge, die konsequent rückwärtsgewandtes Musizieren (von heutiger Warte aus betrachtet) nicht stört, sei ein Erwerb aber dringend empfohlen, und Appetit gemacht auf das für Sommer 2006 angekündigte neue Studioalbum hat dieser Release zumindest beim rezensierenden Helden allemal.
Kontakt: www.escape-music.com

Tracklist:
CD 1:
We Have Arrived
Red Sky
Faith
Horseman Of The Apocalypse
Castles In The Sand
Heroes, Saints & Fools
Flame Of Youth
Jekyll & Hyde
Menage A Trois
Ride Shotgun With The Wind
Angel Eyes
Follow The Piper

CD 2:
Crusader
Rock Of Ages
No More Lonely Nights
Horsemen Of The Apocalypse
Heroes, Saints & Fools
Dolphin Ride
Ready To Fly
We Have Arrived
Blue Stanza
Come To The Light
 



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