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von rls

HUBI MEISEL: EmOcean   (Lion Music)

Internationales Konzept, internationale Band: Der seit einigen Jahren in München ansässige Sänger Hubi Meisel hat sich für sein zweites Soloalbum mit dem französischen Keyboarder Vivien Lalu zusammengetan und ein etwa einstündiges Konzeptalbum geschrieben, dessen instrumentelle Umsetzung außer Lalu noch einen weiteren Franzosen (Bassist Jean B. Affonco), einen Holländer (Gitarrist Marcel Coenen) und schließlich einen Schweden (Drummer Daniel Flores) beschäftigte. Mit Europa hat das Konzept des drei- (unter Einrechnung der Boni vier-) geteilten Albums allerdings nicht so sehr viel zu tun, denn es spielt im Atlantik und vermischt (grob gesprochen) gleich einen ganzen Stapel verschiedenster Mythen zu einer Botschaft, die man eigentlich nicht oft genug aussprechen kann und die der Leipziger Komponist Georg Trexler nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner programmatisch betitelten Kantate "Metanoeite" ähnlich, wenn auch mit unterschiedlichem Background äußerte: "Kehrt um!" (Fiel mir nur gerade so ein, weil ich ein biographisches Werk über Trexler unlängst Korrektur gelesen habe - ich glaube nicht, daß Meisel und Lalu Trexler kennen.) Um die auf Hubis Homepage sehr ausführlich dargestellte Geschichte in wenige Sätze zu bringen: Ein Mensch geht mit seinem Boot in der Sargasso-See (zum Bermuda-Dreieck zählend) unter und landet im untergegangenen Atlantis, das seine Katastrophe seiner ungehemmt wachstumsorientierten Ökonomie, der damit einhergehenden Plutokratie und der Verkümmerung des Emotionenfaktors maßgeblich mit zu verdanken hatte. Die norddeutsche Leserschaft kennt mit Vineta noch einen ähnlichen Mythos, der allerdings weniger im Lichte der Öffentlichkeit steht als Atlantis, dessen Geschichte immerhin im nicht gerade unbedeutenden Platon einen Schreiber fand und damit automatisch eine größere Popularität erlangt hat. Offen bleibt bis heute, ob der griechische Philosoph die Atlantis-Saga als eine Art "moralisches Lehrwerk" konzipierte (also eine Art "Struwwelpeter", nur eben bezogen auf die ganze Welt) oder ob er tatsächlich historische Realitäten beschrieb, denn gefunden hat Atlantis bisher noch niemand. Inwieweit man den von Hubi Meisel ebenfalls herangezogenen holistischen Mediziner Edgar Cayce ernstnehmen kann (er hatte 1940 Atlantis-Visionen), mag ich mangels tieferer Beschäftigung mit diesen Visionen nicht entscheiden. Aber zurück zur Story: Der Mensch lernt also in Atlantis, was dessen Bewohner seinerzeit so alles verkehrt gemacht haben, und wird zurück in die jetztzeitige Erdwelt geschickt, um das durch seine Erfahrungen unterlegte Wort "Metanoeite" zu predigen. Ob es nötig war, für die Rückreise aus Atlantis auch noch weitere altertümliche Mythen wie den Phönix oder die Argonauten heranzuziehen, wage ich zu bezweifeln - erstens hätten diese selbst locker eigenen Stoff für Konzeptalben abgegeben, zweitens sind sie für das Vorantreiben der Geschichte eigentlich nicht nötig, und drittens wirkt das ganze Konzept dadurch etwas zerfaserter und nicht so stringent (der Phönix beispielsweise stammt ja aus der ägyptischen Mythologie,die Argonauten waren aber Griechen). Aber sei's drum, an der grundsätzlichen Botschaft ändern diese Kleinigkeiten nichts. Bleibt nun noch die Frage, wie denn der Stoff musikalisch umgesetzt wurde. Wer Hubis Ex-Band Dreamscape kennt und eine Vermutung in dieser Richtung ausspricht, liegt definitiv näher an der Wahrheit als derjenige, der Hubis erstes Soloalbum "Cut" heranzieht - dieses war nämlich eine reine Coverscheibe von 80er-Popsongs, dementsprechend recht stromlinienförmig, während Dreamscape zwar auch noch ziemlich songorientiert arbeiteten (und "Dancing With Tears In My Eyes" coverten), aber eindeutig im Progmetalbereich anzusiedeln waren (und sind - das dritte Album ist gerade erschienen und markiert laut Kollege Georg keine wesentliche Abkehr vom progressiven Pfad). Auch "EmOcean" ist deutlich im Progbereich zu verorten, setzt aber die Gitarre in der Wertigkeit ein paar Grade weiter nach hinten als Dreamscape seinerzeit auf ihrem einzigen Hubi-Album "Very". Könnte allerdings sein, daß dieser Eindruck auch allein aufgrund der Soundverhältnisse zustandekommt, denn Producer Hubi hat in Analogie zum maritimen Konzept eine Art akustische Schaumglocke auf das komplette Material gelegt, die selbst aggressiven Passagen wie in "Sapientia Vitae" oder "Dolphin's Wake" ihre Bissigkeit nimmt (als Gegenbeispiel höre man sich mal den Song "Just A Nautic Tale" von der damals noch Stigmata und heute Stygma4 geheißenen Band an). Gleiche Problematiken zeigen sich im Gesang: Im cleanen Bereich überzeugt Hubi mit seiner hohen, durchsichtigen Stimme voll und ganz - die Versuche, an manchen Stellen rauher und aggressiver zu singen oder bösartig zu flüstern, bleiben allerdings solche; sie geraten in der Gesamtbetrachtung viel zu harmonisch und entfalten daher nicht die eigentlich geplante Wirkung. Gerade angesichts der teilweise sehr dramatischen Handlung hätte man sich eine Unterstützung der entsprechenden Musikpassagen durch einen mehr diversifizierten Sound gewünscht - so bleibt leider manche Passage irgendwo am Strand hängen, anstatt sich hinaus ins tiefe Wasser zu wagen. In kompositorischer Hinsicht hat das Team Meisel/Lalu großen Wert auf durchkomponierte Werke gelegt - Refrains findet man relativ selten, obwohl viele der Songs keine progtypischen Überlängen aufweisen. Herzstück von "EmOcean" bleibt trotzdem das zwölfminütige "The Souls Of Atlantis", das auch für die Story den unabdingbarsten Part featurt, nämlich den Beginn des Erkenntnisprozesses des Protagonisten in Atlantis (ohne den alles weitere ja sinnlos wäre). Dessen speedige Schlußpassage gehört jedenfalls zum Stärksten, was die etwa eine Stunde "EmOcean" zu bieten hat. Die Digipak-Version beinhaltet darüber hinaus als Bonus noch zwei nicht themenfremde, aber nicht direkt zur Story gehörige und auch größtenteils nicht weiter weltbewegende Tracks namens "Crystal Moon" und "Tears Of An Enchanted Sea" - wer sich beeilt, kriegt vielleicht noch eine davon ab. In der Gesamtbetrachtung bleibt also ein sehr ambitioniertes Werk mit ein paar Steigerungsmöglichkeiten fürs nächste Mal, das nichtsdestotrotz zum Besten gehört, was derzeit im Progbereich aus Deutschland kommt.
Kontakt: www.HubiMeisel.com, www.lionmusic.com

Tracklist:
Lost In The Waters Of Sargasso
Poseidon's Trident
Nocturnal Breeze
Dolphin's Wake
Underwater Fears
FantaSea
The Souls Of Atlantis
Sapientia Vitae
Azure Dreams
Aqua Phoenix
Aeronautical
EmOcean
Crystal Moon
Tears Of An Enchanted Sea



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