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von rls

RELICTS: 12 On The Richter Scale   (Musica Production)

Metal aus Turkmenistan wird einem auch nicht jeden Tag aufgetischt, und so sind Relicts mit ihrem Full-Length-Debüt "12 On The Richter Scale" die erste Band aus dieser postsowjetischen Republik, die beim CrossOver rezensiert wird. Den persischen Einfluß auf das nördlich benachbarte Turkmenistan hört man Alleinkomponist/Gitarrist Serdar Salihov und seinen Mitstreitern deutlich an: Sie spielen eine äußerst eigenständige Mixtur aus Death Metal, Thrash Metal und persisch geprägter Folklore, wobei man sich an die eher weniger verschmelzungsgeprägte und bisweilen recht ruppige Wechsel aufweisende Herangehensweise der Band erst gewöhnen muß - im Direktvergleich spielen Seventh Angel und selbst Orphaned Land, die man aus anderen Kulturkreisen mit ähnlich eklektizistisch geprägten Herangehensweisen kennt, noch relativ geradlinige Musik, wobei "Haoma" an Albumposition 4 die homogensten Verschmelzungen enthält. Aber schon die Death- und Thrash-Parts geraten rhythmisch oftmals zu wilden Achterbahnfahrten in fürs mitteleuropäische Ohr eher ungewohnten Taktarten (trotz der Aufbauarbeit, die Nile und Morbid Angel diesbezüglich schon geleistet haben), und auch die melodischen Parts sind oft weit davon entfernt, dem Mitteleuropäer spontan gefallen zu wollen. Die Folkparts erfahren ihre Ausgestaltung im wesentlichen durch die Flötenparts, dazu kommt persische Percussion, während die lautenartigen Parts vermutlich zum größten Teil auf der Gitarre simuliert sind, wobei aber auch "echte" Einsätze der Oud oder anderer Lauteninstrumente nicht auszuschließen sind. Der Gesang paßt sich dieser musikalischen Vielfalt problemlos an - allein in den metallischen Passagen sind drei verschiedene Gesangsstile zu vernehmen, nämlich heiseres, shoutendes Gekreisch, tiefes deathmetallisches Grunzen und gelegentlich noch eine Art deklamierender Klargesang, dem in den folkigen Passagen oftmals noch eine Art Heldenbariton beigestellt wird. Das Booklet enthält alle Texte, so daß man auch das Unverständliche nachlesen kann und gleich noch in die Lage versetzt wird, die persische Sprache zu üben, denn in ebenjener ist der Text des Openers "Vendidad" gehalten - er stammt als einziger von Relicts vertonter Text nicht von Serdar, sondern ist aus dem Avesta entnommen, das Zarathustra zugeschrieben wird, und bildet dort eine gegen Dämonen gerichtete Gebetsformel. Solche Elemente machen Relicts im Einerlei der heutigen Metalszene interessant und unverwechselbar, und sie haben zudem noch andere Anspielungen auf ihre Heimat untergebracht: Ashgabat, wo sich der Bandproberaum befindet und das man zu DDR-Zeiten Aschchabat zu schreiben pflegte, ist die Hauptstadt Turkmenistans bzw. früher der Turkmenischen Sozialistischen Sowjetrepublik, gelegen am Nordrand des großen Faltengebirgszuges, der sich von den Pyrenäen bis in den Pamir erstreckt und hier Kopet-Dag heißt, in einem heute noch seismisch aktiven Gebiet. 1948 wurde die Stadt bei einem großen Erdbeben weitgehend zerstört, und eine entsprechende Trümmerlandschaft findet sich dann auch auf dem Cover wieder, während der zerteilte Kopf in die Gegenrichtung blickt, wo sich hinter einer grünen Wiese und einem Fluß eine moderne Großstadt erstreckt. Neben einem Symbol für die Zerstörung 1948 und den anschließenden Wiederaufbau könnte man diese Optik freilich auch als Systemkritik deuten, also daß der Trümmerhaufen Turkmenistan und die blühende Landschaft den Iran darstellt - eine Deutung, die in subversiver Hinsicht zu Sowjetzeiten durchaus schlagkräftig gewesen wäre, aber auch heute noch eine gewisse Berechtigung hätte: Turkmenistan ist durch seinen Ölreichtum keineswegs ein armes Land, aber die Verteilung der Petrodollars zum Wohle der Bevölkerung funktioniert keineswegs so gut, wie das wünschenswert wäre, und der autokratische Politikstil läßt im Vergleich selbst den Iran wie eine funktionierende Demokratie wirken. Da kann man sich beim Hören also lange Zeit Gedanken machen - oder man bereist dieses Land einmal selbst, wobei man auf kleinem Raum eine große Vielfalt von Landschaften von der Wüste bis hin zum Hochgebirge zur Auswahl hat und zudem im Kaspischen Meer baden kann, sofern man eine Stelle erwischt, wo kein Öl gefördert wird. Das Instrumental "Sacred Fire" könnte, wenn man den Titel auf den Ölreichtum bezieht, durchaus als weitere Standortanspielung gewertet werden, und "Asphyxy" könnte man durchaus als Kritik an der Umweltbelastung durch die Ölförderung betrachten, zumal die geshouteten Vocals hier auch noch so klingen, als habe man dem Sänger die Kehle teilweise zugehalten. "End Of Times" transportiert dann eine Art apokalyptischen Erlösungscharakters, nachdem bereits vor "Asphyxy" "Stratosphere" ein ambient-lastiges, schwebendes Instrumental und natürlich keine Stratovarius-Coverversion dargestellt hatte. Das folklastige und nochmal recht verschmelzungsgeprägte Instrumental, das dem Album den Titel gab, schließt interessante 40 Minuten ab, die sich alle diejenigen besorgen sollten, die noch auf der Suche nach wirklicher Originalität im Metal sind.
Kontakt: www.relicts.org, http://musica.mustdie.ru

Tracklist:
Vendidad
Anthill
Desert
Haoma Sacred Fire
Underside Of Truth
Stratosphere
Asphyxy
End Of Times
12 On The Richter Scale
 




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