KRUK: Before von rls (Metal Mind Productions)
Einem größeren Interessentenkreis waren Kruk anno 2006 bekannt geworden, als Grzegorz Kupczyk sie als Backingband für sein "Memories"-Coveralbum verpflichtete, und auch wenn dieses kein ganz großes Glanzlicht wurde, so erschien es doch ratsam, sich den Namen dieser Band, die fünf Jahre zuvor gegründet worden war, aber bis dato noch keinen offiziellen Tonträger vorgelegt hatte, zu merken. Freilich entgingen dem Rezensenten trotzdem die nächsten Kruk-Alben, die wieder ohne Kupczyk eingespielt wurden, dafür aber beispielsweise mit dem 2011er Zweitling "It Will Not Come Back" Doogie White ans Frontmikrofon führten. "Before", das auf dem Cover "Be4ore" geschrieben ist (und die 4 ist auch noch gespiegelt), sieht nun abermals einen neuen Sänger, diesmal wieder einen aus der polnischen Heimat der Band: Roman Kantoch ist sein Name, und er erledigt einen sehr achtbaren Job und erinnert stimmlich durchaus nicht selten an White oder auch an Joe Lynn Turner, auch wenn für weitere Alben durchaus noch etwas Steigerungspotential offenbleibt, denn hier und da könnte er durchaus etwas stärker in den Vordergrund treten und auch expressiver singen (hier und da tut er das durchaus schon, etwa im Finale von "Wings Of Dreams"), was allerdings nicht heißt, daß er etwa die Klarheit seiner Stimme hintanstellen soll, denn dadurch unterscheidet er sich von etlichen etwas rauher agierenden Kollegen. Die Instrumentalisten wiederum tun das, was sie schon auf "Memories" taten, nur handelt es sich in diesem Falle eben nicht um Coverversionen alter Siebziger-Rock-Helden, sondern um stilistisch gleichgeartete Eigenkompositionen aus der Feder von Gitarrist/Bandkopf Piotr Brzychcy und seiner Gattin Ewa Toczkowska-Brzychcy, die im Opener "My Sinners" und in "Once" auch als Gastsängerin zu hören ist und in die Gattung der Heavenly Voices gehört, allerdings durchaus auch etwas kräftiger singen kann. Sie setzt einen interessanten stilistischen Farbtupfer, der in diesem Genre eher ungewöhnlich ist - und das Duett mit Kantoch im Mittelteil von "Once" erfüllt alle Expressivitätswünsche in exzellenter Manier. Ansonsten agieren Kruk allerdings deutlich weniger experimentierfreudig (die ganz leicht verzerrten Vocals in "Grey Leaf" gehen schon als weiteres Gipfelexperiment durch), aber solange dabei so guter Siebziger-Hardrock herauskommt, dürfen sie natürlich gerne bei ihrem Leisten bleiben. Dabei machen sie es dem Hörer durchaus nicht einfach: Einen schleppenden Zehnminüter wie "My Sinners", der irgendwo zwischen Black Sabbath und Deep Purple liegt, als Opener zu wählen muß man sich erstmal trauen, und fürs flüchtige Hineinhören ist dieser Song denkbar ungeeignet - er braucht etliche Durchläufe, bis er sich zu erschließen beginnt. Andererseits ehren Kruk der Mut und die Ehrlichkeit, "My Sinners" am Anfang zu plazieren und nicht etwa das jetzt an Position 2 befindliche schnellere und zupackendere "Last Second", denn letzteres wäre fürs Gesamtwerk deutlich weniger repräsentativ gewesen. Tempobolzer sind Kruk zumindest auf "Before" jedenfalls nicht, und selbst im Siebziger-Hardrock-Kontext gehören sie zur eher gemäßigten Sorte, sowohl temposeitig als auch vom transportierten Energielevel her. Das ist natürlich als eine Einschätzung des Durchschnitts zu sehen und ermöglicht das Vorhandensein sowohl von härteren Tracks wie des erwähnten "Last Second" als auch von zurückhaltenderen Kompositionen wie dem erwähnten "Wings Of Dreams". "Grey Leaf" wiederum kombiniert beide Extreme, nämlich einen flotten Grundbeat und eine eher zurückhaltend agierende, oft halbakustische Gitarre, und könnte beispielsweise auch von einer Band wie Bad Company stammen, wären die Keyboards nicht: Zwar ist Brzychcy deutlich der Chef im Ring, aber er weiß, was er an seinem Keyboarder Michal Kurys hat und wie stilprägend so ein Mann für den Siebziger-Hardrock üblicherweise ist. Kurys hat als erste Nennung in seiner Instrumentenliste die Hammondorgel stehen, und das entspricht auch den Verhältnissen auf dem Album - sie ist ganz klar sein Hauptinstrument und übt einen prägenden Einfluß auf das Schaffen Kruks aus. Trotzdem limitiert sich die Band natürlich nicht darauf - wenn andere Tastenklangfarben gebraucht werden, sind diese selbstverständlich auch zu hören und bereichern den Bandsound in reizvoller Weise. Und auch ansonsten kleben Kruk nicht ganz sklavisch an den Siebzigern, wie "Morning Star" beweist, das durchaus nach Deep Purple klingt - allerdings nicht nach den Siebziger-Purple, sondern denen nach der 1984er Reunion der Mark-II-Besetzung, die ja eher an dem anknüpften, was Rainbow in den Frühachtzigern entwickelt hatten. Brzychcys Gitarre dominiert auch hier deutlich, allerdings nicht mit feistem Riffing, sondern mit einer markanten Leadmelodie, die durchaus Ohrwurmpotential zu entwickeln in der Lage ist, was den meisten anderen Songs nicht so richtig gelingt, da ihnen die ganz großen Refrains oder Widerhakenmelodien noch fehlen. Das führt dazu, daß man sich beim Hören und Erschließen durchaus konzentrieren und einiges an Hörarbeit aufwenden muß (zumal die durchschnittliche Songlänge jenseits der Sechs-Minuten-Grenze liegt), aber so entdeckt man "Before" deutlich intensiver, und das lohnt sich durchaus. Da entdeckt man beispielsweise die dramatische Halbballade "Farewell", deren lange Zeit ruhig bleibender Gestus noch nicht ahnen läßt, welche Dramatik dann später noch zum Tragen kommen wird, und da drückt man eine Träne im Knopfloch weg, wenn "Open Road" das Versprechen, das sein massiv drückendes Intro gegeben hat, nicht ganz einlösen kann - dafür kann man sich bei Laune halten, indem man Dariusz Nawaras hier völlig jenseits von Gut und Böse liegende, eher zu einer wilden Progrockband passende Schlagzeugarbeit analysiert. Nur das die reguläre Albumversion abschließende Instrumental "Timeline" fällt dann in der Tat etwas ab - es tendiert ein klein wenig in die Satriani-Ecke, kann es mit dessen Meisterwerken trotz nicht uninteressanter Gitarrenarbeit aber nicht aufnehmen.
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