www.Crossover-agm.de DE KRIPPELKIEFERN: Schlimmer giehts immer
von rls

DE KRIPPELKIEFERN: Schlimmer giehts immer   (Eigenproduktion)

Na also, geht doch. Offenbarten De Krippelkiefern auf ihrem Zweitling "Singel" noch ein paar kleine Schwächen, wenn es galt, verschiedene Stile innerhalb eines Songs zu vereinigen, während sie bei den stilstringent durchkomponierten Tracks ohne Wenn und Aber zu überzeugen wußten, so ist dieser Problemfall auf dem Drittling "Schlimmer giehts immer" über weiteste Strecken abwesend, wobei das Quartett das Problem nicht gelöst, sondern umgangen hat: Unter den 12 Songs gibt es schlicht und einfach fast keine der wilden Stilspringer mehr, und wenn dann doch mal ein plötzlicher Wechsel ansteht wie etwa in "Fidiralala", das in einen folkloristisch-liedermacherischen Bodengrund immer mal eine Rockband einschaltet, dann geschehen diese Einflechtungen mit deutlich sichererem Händchen. Als weitere Exempel für diese These kann man die schrittweisen Dynamiksteigerungen in "De Liedelschmied zu Johannstadt" nach Minute 3 anführen, bei denen der erwartere rockende Ausbruch aber dann doch ausbleibt. "Gemeinsam leiden " wiederum enthält geschickt arrangierte Wikingerchöre und keltische Melodieskalen, hätte also, wenn es sich um einen Metalsong handeln würde, auch auf Running Wilds "Pile Of Skulls" eine erstklassige Figur abgegeben. Generell lassen sich De Krippelkiefern, abgesehen von der konsequenten Antipositionierung zu De Randfichten (aka "De Liedelschmied zu Johannstadt", auch wenn dort textlich kein direkter Bezug aufscheint), stilistisch nach wie vor nicht einordnen, der Terminus "Ethno-Folkloristen" aus dem Booklet der letzten CD taucht auch nicht mehr auf, wenngleich er prinzipiell schon noch irgendwie passen würde. Eine Determination anhand der Texte ist vielleicht nach wie vor einfacher, wenngleich die 12 diesmal vertretenen außer der Fokussierung auf die erzgebirgische Mundart (mit wechselnden Spezialkonnotationen - wie der Linguistiker weiß, gibt es ja selbst zwischen dem West- und dem Mittelerzgebirgischen noch deutlich feststellbare Unterschiede, auch wenn sich diese durch die Migrationsbewegungen der heutigen Zeit, die auch die vier regulären Bandmitglieder erfaßt haben, mehr und mehr abschleifen) auch gar nicht so sehr viel gemeinsam haben und vom völligen Nonsens über fast fröhliche Weinseligkeit bis hin zur dominierenden schicksalhaften Memento-Mori-Dichtung alle Facetten ausleuchten, wobei die letztgenannte Ausrichtung dominiert und schon auf dem simplen, aber genialen Cover (nur echt mit Flasche) per Stempel als die "Lieder, die keiner mag" angekündigt werden. Ganz so apodiktisch kann man das natürlich nicht sehen, denn wenn's so wäre, bedürfte es ja keiner Aufnahmen der Krippelkiefern-Stücke, und deren Effekt liegt wahrscheinlich auch darin begründet, daß jeder Erzgebirgsbewohner irgendjemanden kennen wird, der irgendjemanden kennt, dem genau das widerfahren ist, was hier beschrieben wird. Paradoxon zur Realität: "Gimmer mol nieber zum Schmied", das einzige Traditional der Scheibe, bekommt aktuell einen eigenartigen Beigeschmack durch den Suizid des Auer Schmieds Steffen Krauß, den DDR-Fußball-Anhänger sicher noch als erstklassigen Spieler der BSG Wismut Aue kennen. Das Booklet beinhaltet übrigens alle Texte im Original sowie in einer hochdeutschen Übersetzung - mit Ausnahme von "Schlachtfast in Markersbach", dem keine Übersetzung beigefügt wurde; ob das einen expliziten Hintergrund hat, muß offen bleiben. Die musikstilistische Vielfalt wird in der Mitte des Albums am deutlichsten, wo dem vergleichsweise rockigen "Fidiralala" zunächst "32. Mai" folgt (als Metalversion hätte dieser Song auf eines der deutschen Alben von Timo Rautiainen & Trio Niskalaukaus gepaßt, in der zu hörenden Version beginnt ein finsterer Gothicsong, der aber bald fröhlich beschleunigt wird, wodurch wiederum Vicki Vomits "Heut ist Weltuntergang" im Hirn des Hörers hervorgekramt wird), dann das "Trinklied" mit tatsächlich feisten Doom Metal-Riffs unter klassischem Liedermacherfolk und letztlich "Win dr Betrieger" mit entspanntem Slowjazzfeeling, das völlig im Kontrast zur finsteren Moritat des Textes steht. Das ist eine der Stärken der Krippelkiefern: Paradoxe Konstellationen zu erzeugen, diese aber trotzdem irgendwie stimmig zu halten. Eine solche gibt es auch in "Heit ohmd besauf ich mich allaa", bei dem der Refrain von einem Männerchor gestützt wird - also nix mit dem alleinigen Besäufnis, zumal mit Fortschreiten des Liedes die Vielstimmigkeit des Chores immer weiter zunimmt. "Tango Argentino" klingt so, wie es heißt (das textliche Thema paßt allerdings nur auf die heutige Leistungsgesellschaft der ersten Welt - in Argentinien soll es da viel entspannter zugehen), "Klaanes Weihnachtslied", basierend auf Motiven aus "Stille Nacht", schließt den regulären Teil des Albums ab, und nach acht Minuten Pause bekommt man noch eine Collage Marke "Industrial light", in der die Vokalfraktion auf der Suche nach einem weiblichen Wesen namens Anja ist. Eingespielt in zwei Studios, darunter dem bewährten Studio B von Frank Bucher, dem man gleich noch einen Druckfehler in der Nennung spendiert hat, dürfen sich De Krippelkiefern und ihre zehnköpfige Gastmusikerschar, die u.a. auch Instrumente namens Sägeblätter, Nyckelharpa, Computer und Molochische Staatskapelle beigesteuert hat, über ein stimmiges Albumresultat freuen, das professionellen Ansprüchen genügt, allerdings aufgrund seiner Direktheit, partiellen Derbheit und des Potentials zum Betroffenmachen (teilweise gar Peinlich-Betroffenmachen) einem Spezialistenpublikum vorbehalten bleiben wird, das, sofern es nicht selbst im Erzgebirge wohnt, in der Lage ist, einen Blick in die düstere Seele des Erzgebirgsbewohners zu werfen, wie man sie sonst in der Kunst allenfalls noch bei den ganzen Annaberger Black Metallern umgesetzt bekommt. Das kultige Bandfoto, die Mitglieder auf einer Wiese liegend und auf bunt gemusterten Matratzen schlafend zeigend (rechts hinten steht noch ein Hydrant), sei abschließend und das zumindest leicht angeschrägte Bild der CD abrundend auch noch erwähnt.
Kontakt: www.verlag-krippelkiefer.com

Tracklist:
Schlimmer giehts immer
Gemeinsam leiden
De Liedelschmied zu Johannstadt
Fidiralala
32. Mai
Trinklied
Win dr Betrieger
Schlachtfast in Markersbach
Gimmer mol nieber zum Schmied
Heit ohmd besauf ich mich allaa
Tango Argentino
Klaanes Weihnachtslied
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver