www.Crossover-agm.de ICED EARTH: Plagues Of Babylon
von rls

ICED EARTH: Plagues Of Babylon   (Century Media)

Das Sons-Of-Liberty-Projekt scheint bei Jon Schaffer dahingehend Spuren hinterlassen zu haben, auch bei seiner Hauptband Iced Earth wieder einen Tick geradliniger zu Werke zu gehen und den Bombastfaktor etwas zurückzufahren. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck nach dem Durchhören des neuen Iced-Earth-Studioalbums "Plagues Of Babylon", wobei natürlich relativiert werden muß, daß wir auch jetzt selbstredend keinen simplen Haudrauf-Metal zu hören bekommen und im Gegenteil manche Passagen sogar deutlich detailverliebter ausgefallen sind - und das betrifft vor allem die Gitarrenarbeit. Hatte Schaffer die melodischen Girlanden, die er früher an seine Rhythmusgitarrenparts hängte, schrittweise immer weiter zugunsten simpleren Riffings reduziert, so wird man auf "Plagues Of Babylon" zumindest hier und da an die Feuerwerke erinnert, die Schaffer und sein damaliger Gitarrenpartner Randy Shawver auf dem selbstbetitelten Debütalbum und dem "Night Of The Stormrider"-Zweitling zündeten - man höre sich nur mal die Explosion nach dem Spannungsanstau im Intro von "Democide" an, und auch die melodischen Einschübe zwischen den Strophen, die später als Refrainunterbau wiederkehren, weisen eindeutig in die ein knappes Vierteljahrhundert zurückliegenden Zeiten. Offenbar sind Schaffer und sein Gitarrenkompagnon Troy Seele mittlerweile bestens aufeinander eingespielt - Seele ist nach Shawver mittlerweile der am zweitlängsten dienende Leadgitarrist der Band, und mittlerweile scheint so ein starkes Bandgefühl entstanden zu sein wie schon lange nicht mehr, so daß neben dem eröffnenden Titeltrack nur noch "If I Could See You" und "Spirit Of The Times" kompositorische Alleingänge Schaffers sind, wobei es sich bei letzterem auch noch um eine Übernahme vom Sons-Of-Liberty-Projekt handelt. Alle anderen acht Songs (hinzu treten noch ein kurzes Outro und eine "richtige" Coverversion) hat Schaffer in Verbindung mit mindestens einem weiteren Bandmitglied geschrieben, was für das erwähnte Bandgefühl in einem Maße spricht, wie es bei Iced Earth lange nicht mehr vorhanden gewesen sein dürfte. Im Vergleich zum Vorgängeralbum "Dystopia" ist mit Luke Appleton ein neuer Bassist dabei (sein Vorgänger ist mit Ex-Sänger Matt Barlow zum Ashes-Of-Ares-Projekt abgewandert), und die Drums wurden von Studiomusiker Raphael Saini eingespielt, wobei Appleton allerdings so weit integriert ist, daß auch er sich schon am Songwriting beteiligte. Und das Ergebnis überrascht rein von der stilistischen Ausrichtung her den Altfan wie erwähnt erstmal positiv, wenngleich "Plagues Of Babylon" deutlich mehr Erschließungszeit braucht als beispielsweise "Night Of The Stormrider", das jeder vernünftige und qualitätsbewußte Traditionsmetalfan schon nach dem ersten Durchlauf des gigantischen Openers "Angels Holocaust" ins Herz geschlossen hatte. Das 2014er Werk fällt keineswegs mit der Tür ins Haus, auch wenn die orientalisch gefärbten Gitarren im Intro des Titeltracks nicht nur auf das Konzept des Albums hinweisen, sondern auch schon per se Großes erahnen lassen, das dann letztlich indes nicht ganz so groß ausfällt, aber doch relativ groß. Um das zu erkennen, braucht man allerdings Zeit und etliche Durchläufe, denn "Plagues Of Babylon" springt den Hörer nicht an und ist zudem recht zurückhaltend produziert worden, so daß in den häufigen Midtempopassagen beim oberflächlichen Hören fast der Eindruck von Blutarmut entstehen könnte, der sich erst bei häufigerem Hören relativiert, wenn man sich auch in die Details des Albums eingearbeitet hat (und es könnte auch helfen, den Lautstärkeregler einen Deut nach oben zu schieben). Dann entdeckt man freilich in den ersten sieben Songs einen Kosmos von Ideen, für den man Schaffer mal so geliebt hat - man lausche nur mal genau dem Intro von "The End?", einem Song, der so nahe an den Kompositionsprinzipien von Iron Maiden liegt wie lange kein Iced-Earth-Song, der aber Maiden natürlich nicht kopiert, sondern ihre Stilmittel selbstbewußt in den eigenen Stilkontext einbettet, so wie Iced Earth das in ihren Frühzeiten bereits taten. Überhaupt sind die Eisernen Jungfrauen ein gutes Stichwort: Schaffer baut bereits in den Titeltrack Anklänge an sie ein, und der Hörer freut sich, wenn er diese kleine Verbeugung vor einem Jugendidol entdeckt. Wenn wir bei "The End?" bleiben wollen: Da kommt im Outro doch tatsächlich eine längere Akustikgitarrenpassage mit daruntergelegten Gongs zu Gehör - der Altfan setzt sofort dieses bekannte breite Grinsen auf, erinnert sich an diverse Zwischenspiele auf den ersten Alben und findet es fast schade, daß dieses Element hier "nur" als Outro verbraten und nicht weiter ausgebaut worden ist.
So weit, so gut - aber da gibt es noch einen Knackpunkt, der einem den Zugang zu "Plagues Of Babylon" schwermacht, und das ist die Stimme von Stu Block, der seit dem Vorgänger "Dystopia" zur Band gehört. Der Mann kann im gemäßigten Bereich durchaus gut singen, was er beispielsweise in "If I Could See Me Now" unter Beweis stellt, auch wenn er dort die Ausdruckskraft von Matt Barlow, dem er von der Stimmfärbung her am stärksten ähnelt, nicht erreicht und auch an John Greely und Gene Adam (selbst wenn besonders letztgenannter technisch kein Sangesgott war) nicht herankommt. Aber dazu tritt bei ihm noch ein oftmals eher angestrengt, bisweilen gar unkoordiniert wirkendes Shouting - zwar längst nicht so problematisch wie etwa Minoru Niihara auf jüngeren Loudness-Werken, aber trotzdem der filigranen instrumentalen Klänge nach Meinung des Rezensenten nicht ebenbürtig. Schaffer hat nach dem Einstieg von Matt Barlow in den Mittneunzigern mal geäußert, daß er mit dessen Stimme zunächst auch nicht so richtig glücklich war, weil Barlow vom Thrash her kam und deshalb anfangs auch eher ein Shouter als ein Sänger war, was man auf seinem Einstiegsalbum "Burnt Offerings" durchaus noch nachvollziehen kann, wobei Barlow sich allerdings enorm schnell zu einem ausdrucksstarken und auch technisch guten Sänger entwickelte, wie man allerspätestens in "A Question Of Heaven", dem grandiosen Finale des Folgealbums "The Dark Saga", aber auch schon auf anderen Songs dieses Albums feststellte. Block ist nun allerdings schon drei, vier Jahre Bandmitglied, "Plagues Of Babylon" ist sein zweites Studioalbum mit der Band - und er klingt immer noch unbeholfener als Barlow auf seinem Einstiegsalbum. Das verdirbt einem dann doch irgendwie ein bißchen die Freude an den 62 neuen Minuten, zumal sich noch das dramaturgische Problem hinzugesellt, daß nach der Halbballade "If I Could See You" an Position 7 nur noch ein Block unauffälligerer Midtemponummern folgt und man das Gefühl nicht loswird, Iced Earth wären besser gefahren, wenn sie das Album auf seine vorderen zwei Drittel gestrafft hätten. "Spirit Of The Times" reiht sich da ein, und auch die abschließende Jimmy-Webb-Coverversion "Highwayman" (mit Volbeat-Michael und Symphony-X-Russell als Gastsängern) macht irgendwie den Eindruck eines Fremdkörpers, die zudem das Problem der zunehmenden Langatmigkeit nicht lösen kann, da sie im genau gleichen trägen Beat dahinschleicht. So wandelt sich die anfängliche Begeisterung in eine gewisse Ernüchterung: "Plagues Of Babylon" wäre mit den ersten sieben Songs plus meinetwegen noch dem hymnisch angehauchten "Spirit Of The Times" ein richtig starkes, teilweise sogar begeisterndes Album geworden, das zugleich Hoffnungen auf ein noch stärkeres Folgealbum geweckt hätte - so bleibt's "nur" ein gutes Werk, das die großen Erwartungen bei weitem nicht erfüllen kann und statt dessen einmal mehr beweist, daß weniger manchmal eben doch mehr ist.
Kontakt: www.centurymedia.com

Tracklist:
Plagues Of Babylon
Democide
The Culling
Among The Living Dead
Resistance
The End?
If I Could See You
Cthulhu
Peacemaker
Parasite
Spirit Of The Times
Highwayman
Outro



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