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HELD UNDER/DISCOVERY: Anthology
von rls

HELD UNDER/DISCOVERY: Anthology   (Stormspell Records)

Zwei prallvolle CDs enthalten fast das komplette künstlerische Vermächtnis zweier Bands, die sich um die Brüder Stevens (Mike am Mikrofon, Patrick Gitarre spielend) gruppiert hatten und insgesamt reichlich anderthalb Jahrzehnte aktiv waren, ohne aber irgendwelche Anzeichen überregionaler Bekanntheit zu erlangen. Das kann in diesem Falle nicht am musikalischen Können gelegen haben, denn sowohl Discovery als auch Held Under spielten durchaus gutklassigen Metal traditioneller Prägung, hatten technisch definitiv etliches auf der Pfanne und konnten auch Songs schreiben, wenngleich ihnen so gut wie kein ganz großer Knaller gelungen ist. In der Summe agierten sie vielleicht ein wenig zu unauffällig, was in Tateinheit mit zwei strukturellen Faktoren dafür sorgte, daß sie nie so richtig in die Gänge kamen. Zum einen waren sie im Staate Washington beheimatet, hatten also regional nicht die strategisch günstigste Ausgangsbasis - in den Achtzigern schafften es aus dieser Ecke nur Metal Church und Queensryche zu größerer Popularität, alle anderen Bands der härteren Sorte blieben nach teilweise durchaus vielversprechenden Ansätzen kleben. Zum anderen waren Discovery, wie die frühere der beiden Bands hieß, zeitlich ein wenig zu spät dran, um musikalisch noch in die Trends der Achtziger zu fallen: 1986, als sie ihr erstes Demo einspielten, sah der klassische Metal melodischerer Prägung schon schweren Zeiten entgegen, war längst die Spaltung in Thrasher und Poser absehbar oder bereits vollzogen - und Discovery erlitten ein ähnliches Schicksal wie beispielsweise Armored Saint, die in einer ähnlichen Liga spielten, allerdings eben schon früher am Start waren und deshalb einen etwas längeren Atem durchhalten konnten.
Gehen wir bei der Betrachtung chronologisch vor, müssen wir die zweite CD zuerst in den Player legen, denn diese enthält 75 Minuten Discovery-Material, und auch dieses nicht ganz in chronologischer, sondern in struktureller Reihenfolge. Einziger offizieller Tonträger Discoverys war eine Fünf-Song-EP namens "New Horizons" aus dem Jahre 1988, und mit dieser eröffnet die CD. Und es ist beeindruckend, was da eine völlig unbekannte, aber schon jahrelang spielerfahrene Band aus der nordwestlichen Provinz auf die Beine stellte - ehrlicher melodischer traditioneller Metal, kein Speed, kein Glam, aber mit Herzblut und mit Können vorgetragen. Das fast sechsminütige, für den Gesamtsound der Band relativ vielschichtige "Calm Before The Storm" und das ergreifende, fast zehnminütige Epos "The Darkest Hour" ragen unter diesem Material heraus. Gerade letztgenanntes hätte mit entsprechender Promotion durchaus das Zeug gehabt, Discovery auf der Metalballadenlandkarte weit oben zu plazieren, aber dafür hätte man den schnellen Teil (mit Doublebassuntermalung) vermutlich kürzen oder eliminieren müssen, und ob die Band für solch eine Amputation zu haben gewesen wäre, darf wohl eher bezweifelt werden. Immerhin reichte es für Airplay bei einer lokalen College-Radiostation, während die breite Metalwelt von diesem Juwel (das wohl das kreative Highlight der Band markiert) keine Kenntnis erhielt. Derartige Erörterungen bleiben aber sowieso theoretisch - als Fakt darf hingegen festgestellt werden, daß Discovery hier anno 1988 einen Sound spielten, mit dem sich in etwas modifizierter Fassung Iced Earth kurze Zeit später zumindest ein gewisses Following erarbeiten konnten. Die folgenden vier Songs entstammen dem 1986er Demo, sind etwas dumpfer produziert, aber trotzdem ohne größeren Feinheitenverlust anhörbar. Die zum Material der EP führende Einflußlinie ist schon klar heraushörbar, wenngleich noch nicht jeder Anlauf hier zum Erfolg geführt hat - die Gesangslinien von "Power Of The City" hätten beispielsweise durchaus eine stimmigere Verbindung mit dem instrumentalen Unterbau eingehen dürften. Aber das Hauptsolo des Songs ist wiederum bezeichnend für die Ideenvielfalt der Band: Nachdem einer der Gitarristen soliert hat, erklingt wieder das Zentralthema des Songs, und man macht sich schon darauf gefaßt, daß Mike Stevens gleich wieder zu singen beginnen wird - aber nichts da, plötzlich wird noch ein zweiter Solospot eingebastelt, der auch wie die Faust aufs Auge paßt. Insgesamt bieten auch diese vier Songs guten melodischen Metal (Highlight: "Shatter The Spell", eine originelle Mixtur aus geradlinigem Melodic Metal mit ein paar Maiden-Breaks und einem an klassische Judas Priest-Tage erinnernden ausgedehnten Solo), den es aber seinerzeit im Überfluß zu geben schien, so daß niemand auf eine weitere Band aus der nordwestlichen Provinz gewartet hatte, wenngleich sie lokal durchaus eine Größe darstellten und niemand die große Steigerung hin zum Material der EP erahnen konnte. Aber auch mit diesem gelang kein großer Sprung, und so mußte man nach diversen personellen Umbesetzungen weiter Demos aufnehmen. Von den drei Songs, die man 1989 erneut im T.D.S.-Studio, wo schon die 1986er Aufnahmen entstanden waren, landeten zwei auf der CD, und schon "Cynical Eyes" macht mit seiner zupackenden Attitüde und dem etwas aggressiveren Gitarrensound eine latente Hinwendung zum Power Metal deutlich, wozu auch der Fakt paßt, daß Mike von seiner klassischen kontrollierten Shoutstimme auch mal in plötzliche Sirenenschreie überwechselt. Dafür überrascht das Ende des Hauptsolos: Erst erklingt eine klassische zweistimmige Passage ohne Rhythmusgitarre, aber mit dominantem Baß, die man auch als Iron Maiden-Demoaufnahme hätte ausgeben können, und dann zitieren die Musiker gleich noch das Intro von Metallicas "Creeping Death". Eine weitere Session im gleichen Jahr im E.S.P.-Studio, wo wiederum im Vorjahr die EP entstanden war, erbrachte noch einige Songs, von denen drei den letzten Teil der CD bilden. Dabei gibt es "Wheels Are Turning", das bisher schnellste konservierte Stück der Band, gleich in zwei Versionen zu hören, die erste noch aus den T.D.S.-Sessions mit John Kirsch an der zweiten Gitarre, die zweite dann mit neuen Gitarrenspuren von Johns Nachfolger Robert Shook, im E.S.P.-Studio eingespielt. Jedenfalls ist diese "Spaltung" zu vermuten, denn so würde erklärlich, warum die Credits Tod Hobart als Drummer für beide Fassungen angeben, während die anderen beiden vertretenen Songs aus der E.S.P.-Session ohne Drummer eingespielt wurden (hier trommelt statt dessen ein von Engineer Charles Meserole programmierter Computer, was aber nicht weiter stört). Ist aber eigentlich egal, denn "Wheels Are Turning" kultiviert in beiden Fassungen epischen Metal, oft recht schnell, aber in den Strophen in Akustikpassagen herunterschaltend, nachdem man sich anhand der ausführlichen instrumentalen Einleitung schon fast auf ein komplettes Instrumentalstück eingestellt hatte, bevor Mike nach knapp zwei Minuten dann doch zu singen beginnt (insgesamt bringt es "Wheels Are Turning" auf sechseinhalb Minuten Spielzeit, die Shook-Fassung ist ein paar Sekunden kürzer). In "Days Of Glory" spielt Meserole dann auch noch einen Ebow, der geschickt in die Verharrungen dieses Power Metal-Stampfers und hier und da in den Hintergrund des Hauptsolos eingeflochten wurde, und mit Gangshouts als Backingvocals hatten Discovery so auch noch nicht gearbeitet. Zudem überrascht der marschartige Rhythmus im Outro des Songs, weil man auch das so noch nicht von der Band kannte (er paßt aber zur kriegskritischen Thematik des Songs). Das geradlinige schnelle "No Second Chance" (mit überschaubaren Breaks) sollte einen ambivalenten Blick in die Zukunft der Band werfen. Eine solche hatten Discovery scheinbar nicht, man brauchte eine Pause.
Die fiel freilich kürzer aus als erwartet, denn die Stevens-Brüder und Shook fanden bald eine geeignete neue Rhythmusgruppe, benannten sich in Dorian Gray um, gewannen einen lokalen Bandwettbewerb und damit Studiozeit am Art Institute in Seattle, die sie für den Song "Cross To Bear" nutzten. Die Studioerfahrung war offenbar so positiv, daß man noch im gleichen Jahr weitere zehn Songs einspielte und diese, weil wieder mal kein Label interessiert war, als Eigenproduktion namens "Dying Breed" (von der auch das Frontcover der vorliegenden Doppel-CD stammt) herausbrachte, allerdings nicht unter dem Bandnamen Dorian Gray, da man bemerkt hatte, daß noch andere Bands auf diese Idee gekommen waren. Ergo benannte man sich abermals um, diesmal in Held Under. Die zehn Songs des Albums, acht Neulinge, eine Neueinspielung von "Cross To Bear" und eine Coverversion von Priests "Tyrant", eröffnen nun die erste CD des Doppelpackages. Die Liner Notes weisen aus, das neue Material sei heavier und technischer ausgefallen, und sie haben in beiden Dingen auch recht, wenngleich beide Veränderungen maßvoll bleiben und sich zudem auch schon in der Entwicklung Discoverys angedeutet haben. Das Held Under-Material landet jedenfalls irgendwo im etwas angeproggten Power Metal, dessen Durchschnittstempo noch ein wenig weiter oben liegt als das des finalen Discovery-Materials - schnellere Stakkati wie in der Neueinspielung von "Cross To Bear" gab es im gesamten früheren Material, soweit es hier konserviert vorliegt, nicht. Aber diese Passagen werden akzentuiert eingesetzt und wechseln sich munter, aber zielgerichtet mit mehreren langsameren Tempi ab, so daß ein interessantes Songgebilde entsteht, das durch den leicht orientalisch wirkenden melodischen Touch mancher Passagen noch eine besondere Note erhält (man erinnere sich - wir befinden uns im Jahre 1991, und obwohl Ritchie Blackmore diese Stilistik schon anderthalb Jahrzehnte zuvor in den harten Rock eingeführt hatte, erfreute sie sich doch keineswegs der Omnipräsenz, wie das heute der Fall ist). Der scheint Held Under so gut gefallen zu haben, daß sie ihn im folgenden "Silver Chains" gleich nochmal verwendet haben, wo sie außerdem beweisen, daß sie auch den geschickten Einsatz von Akustikpassagen nicht verlernt haben. Aber die Breakdichte ist im Vergleich zum früheren Material tatsächlich signifikant gestiegen; wenn man am Ende von "Cross To Bear" auf die Spielzeitanzeige schaut, ist man baß erstaunt, dort nur knapp über vier Minuten zu entdecken - allein vom Wendungsreichtum her hätte man gefühlsmäßig deutlich mehr erwartet. Aber Held Under erweisen sich als Meister in der Frage, wie man die zahlreichen Wechsel songdienlich einbaut, wenngleich die eine oder andere Wendung schon etliche Hördurchläufe braucht, um sich zu erschließen (dafür hält "Silver Chains" ein schönes Beispiel bereit, über das viele Hörer lange stolpern werden). "Dorian Gray" hätte die neue Bandhymne werden sollen und ist wohl deshalb ein klein wenig geradliniger als die anderen Kompositionen; auf einen Song namens "Held Under" hat die Band aber verzichtet (das hätte ein Cover sein können, denn laut den Liner Notes gab es einen Punksong gleichen Namens, der als Taufpate herhalten mußte) und auf einen namens "Dying Breed" (so hieß das Album) auch. Kaum jemals hat man das Gefühl, Held Under wären in ihrer neuen, progressiveren Ausrichtung einen Schritt zu weit gegangen - vielleicht erzeugt "Aggressor Nation" eine kleine Portion dieses Gefühls, weil es mit seinen Generalpausen doch einen Tick zu zerrissen wirkt. Aber das macht ein kleines Highlight wie "Madness In Your Eyes" problemlos wieder wett. "Tomorrow And Forever" enthält dann die ausgedehntesten Speedstakkati, aber auch hier werden immer gediegene melodische Parts eingeflochten, so daß die Thrashgrenze nie in Sichtweite kommt. Daß mit "Masters Of Illusion" nun gerade einer der eher geradlinigen Songs vor der "Tyrant"-Coverversion steht, also quasi zu dieser hinführt, dürfte selbstredend auch kein Zufall sein. Die Coverversion selbst ist sehr gut gelungen, auch wenn Mike kein Rob Halford ist - aber er versucht ihn auch gar nicht erst zu imitieren, sondern zieht seinen eigenen Stil auch hier durch, ergänzt noch durch eine interessante flächige mittelhohe Zweitstimme, die gemäß den Line-up-Angaben Gitarrist Robert gehören müßte, falls hier kein ungenannter Gast am Werke ist (zum Schluß kommen dann auch noch ein paar Micky Maus-Vocals dazu). Die CD ist wie schon die zweite ebenfalls nicht chronologisch aufgebaut - der offizielle Release steht auch hier vorn dran, die oben erwähnte Demoversion von "Cross To Bear" kommt danach, wobei 20 Studenten des Art Institute als Engineer fungierten. An der Grundstruktur des Songs ist in der späteren Neueinspielung nicht entscheidend gerüttelt worden (wofür es ja auch keinen Grund gab). Held Under schlugen sich statt dessen mit ganz anderen Problemen herum: Das "Dying Breed"-Album vermochte erneut nichts zu reißen, da die Band zwar aus Seattle kam, aber für den durch die Lande rasenden Grungetrend nun die denkbar falscheste Musik spielte - ergo stellte man nach einem Abschiedsgig (paradoxerweise auf einem Grungefestival) ein weiteres Mal die Aktivitäten ein. Zwar verschanzten sich verschiedene Besetzungen auch in den Folgejahren immer mal noch in Studios, aber gesundheitliche Rückschläge taten ein übriges dazu, keine stabile Bandarbeit mehr zuzulassen - erst klappte Drummer Steve Oliver mit Herzproblemen bei einer Probe zusammen, für deren Behebung mehrere Jahre ins Land gingen, und dann erlitt Mike 1997 einen Autounfall mit Hirnschädigungen, der seine Sangeskarriere beendete - er erholte sich zwar sehr langsam, aber konnte der Band nur als Songwriter erhalten bleiben, was quasi auch der Status quo über ein Jahrzehnt später ist. Man schreibt gelegentlich noch Songs miteinander, aber aufgenommen wurde zumindest bis zum Release des vorliegenden Doppelalbums nichts mehr. Die Liner Notes lassen diese Möglichkeit für die Zukunft allerdings offen, wobei zu hoffen bleibt, daß der leicht alternative Anstrich, den die letzten vier Songs des Re-Releases, zwischen 1995 und 1997 aufgenommen, in neueren Werken keinen noch dominanteren Platz einnimmt. In der vorliegenden Dosierung schadet er, wenn man nicht der absolut reinen metallischen Lehre anhängt, nicht - besonders das mit Akustikpassagen durchwobene "Suddenly Nowhere" kann aus einem veränderten Blickwinkel heraus durchaus neben den früheren Epen der Band bestehen. Aber als pseudoalternative Band will man sich Held Under eigentlich genauso wenig vorstellen wie etliche Trendumfaller der damaligen Zeit. Die letzten 1997er Songs sollen in eine basischere Richtung gegangen sein, mit AC/DC, The Cult und Black Sabbath als Orientierungspunkten. Davon hört man auf den vier letzten Aufnahmen nun wenig, wenngleich der Stilwechsel vom "Dying Breed"-Material hin zu wieder etwas geradlinigeren Klängen beim Nacheinanderhören schon auffällt. Die u.g. Myspace-Seite hält den Interessenten sicherlich auf dem laufenden, was neue Aktivitäten der Stevens-Brüder und ihrer Spießgesellen angeht; mit John Kirsch und Robert Shook haben übrigens die jeweiligen Zweitgitarristen das Remastering für die vorliegende Doppel-CD übernommen. Wer Glück hat, erwischt über gutsortierte Händler wie www.karthagorecords.de vielleicht noch ein Exemplar davon - die Auflage soll auf 1000 limitiert gewesen sein, und ich habe schon Nr. 799 (und die ist schon geraume Zeit hier bei mir ...).
Kontakt: www.myspace.com/heldunderseattle, www.stormspell.com/label

Tracklist:
CD 1:
Screaming Down The Wires
Cross To Bear
Silver Chains
Dorian Gray
Aggressor Nation
Last Days
Madness In Your Eyes
Tomorrow And Forever
Masters Of Illusion
Tyrant
Cross To Bear (Demo)
In Our Times (Kill What Will Not Die)
Suddenly Nowhere
Welcome To Generica
From My Window

CD 2:
New Horizons
Birds Of Prey
Calm Before The Storm
Fool In The Promised Land
The Darkest Hour
Power Of The City
Kill The Night
Isolation
Shatter The Spell
Cynical Eyes
Wheels Are Turning (w/John Kirsch)
Wheels Are Turning (w/Robert Shook)
Days Of Glory
No Second Chance
 





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