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von rls

GANES: An Cunta Che   (Capriola)

Das fünfte Album von Ganes offenbart abermals ein Phänomen, das man auch schon im bisherigen Schaffen des Trios feststellen konnte: Immer wenn man glaubt, daß sich die Schuen-Schwestern und ihre Cousine Maria Moling jetzt aber definitiv in eine bestimmte Richtung bewegen würden, machen sie einen Bocksprung und lenken das nächste Album in eine zwar nicht völlig konträre, aber doch veränderte Richtung. Die zeigt allerdings - das ist diesmal neu - auch nach hinten: Solch reinrassigen Italopop wie in "Ey De Net" hat man von Ganes seit dem Debütalbum "Rai De Sorėdl" nur selten gehört, wenngleich die Streicherelemente und natürlich die Stimmen der drei Grazien nach wie vor eine eindeutige Identifizierung ermöglichen, wer hier am Musizieren ist. Weitere Rückblenden gehen zum "Mai Guai"-Zweitling - und gleich der Opener "Moltina" beweist, daß Ganes mittlerweile viel geschickter vorgehen, wenn es darauf ankommt, "urbane Klangelemente" (wie das weiland genannt wurde) in ihren Soundkosmos einzubasteln: Man höre mal genau auf den unauffälligen, aber treibenden Discobeat! Und dann wäre da noch eine weitere markante Rückblende: Ganes rüttelten die Musikwelt anno 2010 auf, indem sie ihre Nischen-Heimatsprache Ladinisch in einen modernen Popkontext stellten, und der Bandname stammt auch aus dem heimatlichen dolomitischen Sagenkreis, der auch die eine oder andere textliche Inspirationsquelle lieferte, was aber im Zuge der "Urbanisierung" des Bandschaffens mehr und mehr in den Hintergrund trat. "An Cunta Che" aber ist nun ein Konzeptalbum geworden, von deren zehn mit Text versehenen Nummern (dazu kommen noch zwei Instrumentalstücke) etliche eine zusammengehörige Geschichte aus ebenjenem Sagenkreis erzählen, nämlich die des Fanes-Volkes, das das Areal um das Gadertal bewohnt haben soll. Hinzu treten etliche Einzelsagen, etwa "Lech Dl Ergobando", worin erklärt wird, wie der Karersee zu seiner phantastischen Wasserfärbung gekommen ist (der Rezensent hat anno 1996 schon selbst an seinem Ufer gestanden und war beeindruckt, obwohl tiefhängende Wolken das klassische Postkartenbild verhinderten). Für alle Nicht-Ladinischkundigen haben Ganes die Handlung jeweils in kurzen Zusammenfassungen mit ins Booklet übernommen, und was etwa der Titel des von Gastmusiker Alex Trebo beigesteuerten Piano-Instrumentals "Armentara" bedeutet, kann in diesem Kontext auch erschlossen werden (selbst wenn der Gebietskenner das auch so weiß - aber nicht jeder Ganes-Hörer ist automatisch auch ein Gebietskenner der Dolomiten). Die Liste der Gastmusiker ist diesmal übrigens ziemlich lang, und interessanterweise stammen die beiden Instrumentalstücke sogar komplett von solchen - von "Armentara" war schon die Rede, und das Flügelhornstück "Amesa I Monns" stammt von Bernhard Bär, dessen Blasinstrumentklänge von Produzent Alex Sprave noch etwas verfremdet wurden. Dafür fehlt eine andere in der Kreativfraktion: Maria Moling hat ihre aktuellen Songs komplett in ihr Soloprojekt Me + Marie eingebracht und ist, da jede der Musikerinnen die von ihr komponierten Stücke auch selbst leadvokalisiert, nur im Triostück "Lech Dl Ergobando" mit Leads zu hören und interessanterweise auch instrumentell komplett abwesend. Ist das der Grund, weshalb "An Cunta Che" außer einigen elektronischen keinerlei Rhythmus-Schlaginstrumente beinhaltet? Vielleicht - und es fällt auch auf, daß Me + Marie ja in eine (wenn auch stark entschleunigte) bluesrockige Richtung gehen, die es auf "An Cunta Che" nun ganz und gar nicht gibt, von winzigen Spritzern in "Tėmp Impormetü" abgesehen. Die Entschleunigung ist allerdings auch bei Ganes stark ausgeprägt - nach den beiden erwähnten Openern nehmen die komponierenden Schuen-Schwestern das Tempo konsequent raus, schrauben es nicht mal in Songs mit eher dramatischem Inhalt (etwa wenn die Prinzessin Dolasila letztlich durch ihre eigenen Pfeile umkommt) hoch und landen erst wieder mit dem erwähnten "Tėmp Impormetü" im etwas flotteren und auch wieder italopoplastigen (und damit nach rückwärts gerichteten) Areal. Hier fällt dann auch auf, daß der "Schleier" über dem Klang mal kurz gelüftet wird, während sich ansonsten zumeist eine Art Decke über alles legt, wie man das auch schon auf dem Vorgängeralbum feststellen konnte. Etwas reduziert haben Ganes dafür den psychedelischen Erkundungsgang, wenn man nicht die gewohnt ätherischen Gesänge der drei ladinischen Nixen generell jener Richtung zuordnen will. Auffälligerweise betonen Ganes diesmal aber die Leadlinien wieder etwas stärker als auf dem Vorgänger, was die Melodien generell etwas einprägsamer macht, selbst wenn sich Hits im klassischen Sinne diesmal ganz und gar nicht finden lassen, also so etwas wie "Bang Bang" vom Albumvorgänger komplett abwesend bleibt. Wie Ganes dieses "Problem" live lösen, davon konnten sich erste Publikumskreise bereits im Herbst ein Bild machen, der Rezensent hat im Gegensatz zu den Vorjahren diesmal aber zuerst das Studioalbum gehört und die Liveumsetzung des neuen Materials noch nicht erlebt. Die CD jedenfalls ergibt am winterlichen Kamin vermutlich am meisten Sinn, was ja auch der originalen Erzähltradition der Sagen entspricht. Man kann diese sich, um beim gewohnten Abschlußbild zu bleiben, aber natürlich auch von Elisabeth Schuen auf einer Blumenwiese auf der Fanesalm unweit der Limojochstraße erzählen lassen, wobei diesmal vorher jemand einige Narcissus poeticus schon abgepflückt und den Kübel Datura suavolens weggeräumt hat, während ringsum der Albumgestaltung entsprechend hauptsächlich Gras wächst. (Ist der Rezensent der einzige, der das Gefühl hat, das Bild im Inneren des Digipacks unter dem eingesteckten Booklet hätte ein noch besseres Cover abgegeben?)
Kontakt: www.ganes-music.com, www.blankomusik.de

Tracklist:
Moltina
Ey De Net
Tana
Dolasila
Amesa I Monns
La Pesc Gnarà
Armentara
Lech Dl Ergobando
La Munt Dal Scioz
Crėps Slauris
Tėmp Impormetü
Lomiscel Dl Salvan



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