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GANES: Caprize
von rls

GANES: Caprize   (Capriola)

Schon das Vorgängeralbum "Parores & Neores" fiel durch gehäuften Einsatz zweier Komponenten auf, die man im Ganes-Schaffen der ersten beiden Alben nur selten oder noch gar nicht finden konnte: einerseits einen Hang zur Entschleunigung, andererseits Elemente der Sechziger-Psychedelik. "Caprize", der Viertling der Ganes-Familienbande und ihrer Assoziierten, lotet nun beide Richtungen nochmals deutlich intensiver aus: Die 12 Songs entwickeln sich zum größten Teil fast träge, bekommen aber dadurch neben der Chance der Entschleunigungswirkung auch die Gelegenheit, noch größeren Wert auf Details zu legen. Der Hang zur Psychedelik drückt sich einerseits im Klanggewand aus, über dem eine Art Schleier liegt, der alle Ausreißer ins Boot zurückholt, alle Extreme mildert und selbst die wenigen flotten Tracks als Tanzflächenreißer zumindest in der Studiofassung eher ungeeignet macht. Aber natürlich passen auch die musikalischen Mittel zu diesem gewünschten Ausdruck: Da blubbert und plätschert das Wasser, da rauscht der Wind, da wabert eine Wolke über die Südtiroler Berge, für die andere Musiker ganze Bergwiesen abfackeln müßten - Ganes schaffen das problemlos zu dritt bzw. zu viert oder zu fünft: Die wichtige Rolle von Produzent Alex Sprave und des am umfangreichsten eingebundenen Gastinstrumentalisten Alex Trebo soll nicht verschwiegen werden. Aber auch letzterer ist ein Ladiner, nur wenige Kilometer von den Schuen-Schwestern und ihrer Cousine Maria Moling entfernt aufgewachsen, aber ihnen doch unbekannt geblieben, bis sie ihn in Berlin wiedertrafen. Zusammen erschuf man elf neue Songs (der zwölfte ist ein von Daniel Nitt angefertigter Remix von "Bang Bang" namens "Bang Bang Bun", der sich allerdings nicht grundlegend vom Original unterscheidet) und kleidete sie in eine Digipackoptik, die die eingangs erwähnten zwei Komponenten eindrucksvoll widerspiegelt: entschleunigte Psychedelik. Nun mag mancher diese Kombination als Pleonasmus, mancher andere aber als Oxymoron ansehen, aber letztlich haben beide nicht ganz recht, wie die Dreiviertelstunde Musik beweist. Schon mit einem so zurückhaltenden Track wie "Nëi" zu eröffnen, der keineswegs daran denkt, irgendwie mit der Tür ins Haus zu fallen und das Herz des potentiellen Neu-Hörers im Sturm zu erobern, muß man sich erstmal trauen - aber Eroberungen im Sturm gibt es auf "Caprize" sowieso nicht, denn selbst wenn das Trio dann doch mal die Geschwindigkeit leicht nach oben schraubt, etwa im Titeltrack oder in "Bang Bang", dann ist da eben immer noch diese dämpfende Klangdecke über dem ganzen Material. Was diese für eine Wirkung entfalten kann, höre man sich am besten in "Violes" an, das ohne ihr Zutun der einzige Tanzflächenreißer des Albums geworden wäre. Aber solche wollten Ganes diesmal eben nicht, und selbst live, wo das Klangbild ja dann doch immer noch ein etwas direkteres ist, blieb hier eine gewisse Zurückhaltung erhalten, wie man sich auf der Tour zum Album im Herbst 2014 überzeugen konnte, bei der Alex Trebo übrigens auch mit von der Partie war. Den liebgewordenen Italopop der ersten zwei Alben bekommt man im wesentlichen nur noch in "I Te Diji No" (hier interessanterweise auch etwas weniger gedämpft abgemischt) geboten, was manchem Altfan sicherlich etwas zu wenig sein wird. Immerhin bekommt er sprachlich nach wie vor Ladinischunterricht vom Feinsten (lediglich in "Bang Bang" kommt auch Englisch vor), auch wenn er sich ähnlich wie schon auf "Parores & Neores" daran gewöhnen muß, daß die drei Sängerinnen größeren Wert auf sich als Einheit als auf sich als Gesangssolistinnen legen. Natürlich gibt es aber auch immer noch Songs, die von der Leadstimme dominiert werden, und da muß an vorderster Position "Naina" genannt werden, das man auch ohne die Strukturangaben im Booket eindeutig der Kompositionsschmiede von Elisabeth Schuen hätte zuweisen können - es handelt sich um ein Schlaflied für ihre Tochter und damit um die Kategorie "Dorm Sauri", auch wenn das "Vorbild" in puncto Intensität abermals unerreicht bleibt. Aber wenn man "Naina" diesen Direktvergleich erspart, bleibt trotzdem ein erstklassiges Stück Musik übrig, was auch auf die andere Elisabeth-Komposition "Guant D'Or" zutrifft, die paradoxerweise ein erstklassiges Instrumentalstück für das Nightwish-Monumentalwerk "Imaginaerum" abgegeben hätte. Wie diese beiden sind auch die meisten anderen Stücke eher sparsam arrangiert, etwas bombastischer kommt erst "Cuncè Le Cör" zum Ziel, und das steht schon an Position 10 der CD. Der Liveeindruck, die Mädels hätten diesmal vor der Kompositionsarbeit einige alte NDW-Platten gehört, relativiert sich anhand der Tonkonserve etwas, denn wenngleich gerade die Sparsamkeit hier und da zum Vergleich mit Foyer Des Arts beiträgt, so bezieht sich das doch eher auf die wenigen etwas griffigeren Kompositionen. Apropos Griffigkeit: Deren überwiegendes Fehlen könnte sich zum Problem von "Caprize" entwickeln, denn der potentielle Neu-Hörer findet kaum einen Ankerpunkt, anhand dessen er sich ins Album vorarbeiten kann. Am zugänglichsten ist noch "Bang Bang" ausgefallen, aber das steht erstens schon an Position 11, und zweitens ist es für das Album eher untypisch ausgefallen. Überhaupt fällt auf, daß "Caprize" mit "Cuncè Le Cör" und den beiden "Bang Bang"-Fassungen viel zupackender endet, als die vorderen drei Viertel des Albums dies erahnen lassen. Und mit der Entschleunigung ist es dann auch irgendwie vorbei. So bleibt ein merkwürdiger Eindruck zurück: "Caprize" ist ein zweifellos interessantes Album, aber es bleibt zu befürchten, daß sich Ganes mit ihm zwischen alle Stühle setzen, und erst das Folgealbum wird zeigen, ob "Caprize" eher den Status eines Übergangs- oder Experimentalalbums haben wird. Wer "Parores & Neores" höher schätzte als die beiden Erstlinge, könnte jedenfalls mit "Caprize" eher warm werden als mit dem früheren Material, sofern er die sehr blumige Optik des Albums aushält, und wer generell originelle Acts hoch schätzt, wird zu würdigen wissen, daß Ganes außer dem Alleinstellungsmerkmal, daß sie in ihrem heimatlichen Idiom Ladinisch singen, jetzt auch noch einen Sound fahren, den es selbst im gegenwärtigen Retro-Trend in dieser Form kaum nochmal geben dürfte. Das Abschlußbild muß freilich nochmals erweitert werden: Auf der Blumenwiese auf der Fanesalm unweit der Limojochstraße, auf der man mit Elisabeth Schuen rastet und entspannt, müßte außer Narcissus poeticus diesmal auch noch ein Kübel mit Datura suavolens stehen ...
Kontakt: www.ganes-music.com, www.blankomusik.de

Tracklist:
Nëi
Caprize
Sirena
Va Inant
Naina
Violes
I Te Diji No
Sinfonia
Guant D'Or
Cuncè Le Cör
Bang Bang
Bang Bang Bun


 



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