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Ganes   07.10.2014   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Kontinuierliche und beharrliche Aufbauarbeit zahlt sich bisweilen eben doch aus: Ganes haben seit 2010 nicht nur vier Alben veröffentlicht, sondern sich auch kreuz und quer durch die Alpenländer gespielt und dabei ihre Fanbasis in Deutschland auch nach Norden hin schrittweise immer weiter ausgebaut. Bester Beweis dafür ist ein Direktvergleich der beiden Leipziger Moritzbastei-Gigs im Herbst 2012 und nun 23 Monate später im Herbst 2014: Verloren sich die wenigen Dutzend Besucher anno 2012 noch in der nicht mal sonderlich großen Veranstaltungstonne, so ist diese am Abend des (theoretischen) 65. Geburtstages der DDR deutlich besser gefüllt, und hernach bildet sich am Merchandisingstand eine lange Schlange aus begeisterten Besuchern, die das Programm des Abends gern als Tonkonserve mit nach Hause nehmen wollen. Ihnen kann auf einfache Weise geholfen werden: Wie stets legen Ganes den Fokus auf das jeweils aktuelle Album, das den Löwenanteil des Sets stellt, und so gehen die "Caprize"-CDs hernach weg wie die berühmten warmen Semmeln. Der Rezensent ist ein wenig zu spät dran und verpaßt so "Nëi", welches das Album wie auch das Konzert eröffnet, aber zum zweiten Song, nämlich dem flotten Titeltrack "Caprize", ist er zur Stelle und darf erstmal gespannt begutachten, in welcher Besetzung Ganes denn diesmal agieren. Überraschung - es ist eine rein ladinische, die aber trotzdem über das Kerntrio hinausgeht, nämlich ein Quartett. Der vierte Musiker heißt Alex, stammt aus St. Martin in Thurn, das nur ein paar Kilometer von Wengen, dem Heimatort der Schuen-Schwestern und ihrer Cousine Maria Moling, entfernt liegt - aber trotzdem hat ihn das Trio nicht in der Heimat "aufgelesen", sondern in Berlin (in Berlin!). Alex spielt Keyboards und wird in dieser Funktion gelegentlich auch zum Aushilfsbassisten, was besonders dann nützlich ist, wenn sich das Songmaterial in Richtung Achtziger-Pop bewegt, der eine komplette Rhythmusgruppe verlangt (die andere Hälfte stellt selbstredend Maria dar), wobei gelegentlich allerdings auch Marlene zur Baßgitarre greift, anstatt Violine zu spielen. Überhaupt wird man das Gefühl nicht los, die Mädels hätten diesmal ein paar alte NDW-Platten ausgegraben: Der Rezensent hat sich "Caprize" bewußt vorher nicht angehört, um zunächst den Liveeindruck zu gewinnen, und dort fühlt er sich hier und da beispielsweise an Foyer des Arts erinnert. Freilich haben auch die liebgewonnenen psychedelischen Elemente nach wie vor ihren Platz: Wenn's in dem betreffenden Lied um eine Meerjungfrau geht (also eine Verwandte der Ganes-Nixen, die gemäß der ladinischen Mythologie allerdings im Süßwasser und nicht im Meer zu Hause sind, da schon einige Millionen Jahre vergangen sind, seit das Areal der Dolomiten letztmalig vom Meer bedeckt war), dann klingt das Ganze wie 20.000 Meilen unter dem Meer, ergänzt durch dunkelgrünes Licht, als habe man ganze Wagenladungen von Fichtennadelschaumbad verklappt. Wie gewohnt sind die Mädels auch zu Scherzen aufgelegt: Wenn Elisabeth versucht, Alex zu umgarnen und zu bezirzen, singt Marlene eine Textabwandlung, in der sie den Musiker warnt, Elisabeth sei gerade Mutter geworden. Selbige Mutterfunktion hat auch für ein neues Schlaflied im Repertoire gesorgt, das erstaunlich früh in der Setlist steht (man will damit freilich nicht das Publikum in Schlaf versetzen, sondern das wo auch immer befindliche Baby) und es zwar wieder mal nicht an "Dorm Sauri" vorbei auf den imaginären Spitzenplatz dieser Kategorie von Ganes-Songs schafft, aber in der Gesamtwertung keinesfalls schlecht abschneidet - tja, und selbst an "Vire" kann man sich gewöhnen, wenn man es schafft, den übermächtigen Schatten von "Dorm Sauri" auszublenden, was einem guten Teil des Publikums problemlos gelingt und was auch der Rezensent schrittweise hinbekommt. Besagtes "Vire" vom "Mai Guai"-Zweitling stellt einen der wenigen älteren Beiträge in der Setlist dar, aber auf "Bun Chaka Le" vom Debütalbum "Rai De Sorëdl" zu verzichten trauen sich Ganes dann doch nicht, wobei dieser Song in der instrumentenseitig reduzierten Fassung ein wenig gewöhnungsbedürftig wirkt. Dafür gibt das mitreißende (wenngleich in ganz voller Rockbandbesetzung vermutlich noch mitreißendere) "Bang Bang Bun" am Setende dem Affen nochmal etwas mehr Zucker, und der Zugabenblock demonstriert noch eine ganz besondere "Back to the roots"-Entwicklung: Hatten sich Ganes bisher dadurch ausgezeichnet, daß sie ladinische Geschichten mit ladinischen Texten in ein nicht typisch ladinisches Klanggewand (ob das nun in den Pop-, den Psychedelic-, den Jazz- oder noch einen anderen Bereich gehört, sei erstmal dahingestellt) kleiden, so machen sie nunmehr auch vor waschechter Folklore aus ihrer Heimatregion nicht mehr halt und schließen damit einen Kreis. Ein bißchen voluminöser hätte der an diesem Abend freilich noch ausfallen können - 75 Minuten Spielzeit ist als Headliner ohne Vorband nicht gerade viel, zumal wenn man ausreichend Songmaterial in der Hinterhand hat. Aber zumindest stimmt an diesem Abend einmal mehr die Qualität des Gebotenen und unterstreicht die Ausnahmestellung von Ganes in ihrem eigentlich kaum abgrenzbaren Sektor.



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