www.Crossover-agm.de GAMMA RAY: Empire Of The Undead
von rls

GAMMA RAY: Empire Of The Undead   (earMUSIC)

Das ist es also nun, das nächste Gamma-Ray-Studioalbum, von dem zwei Tracks bereits auf einem Vorab-Release verbraten wurden und erahnen ließen, daß uns ein abermaliger hochklassiger Beitrag aus der Hansen-Schmiede erwarten würde. Die Ahnung hat nicht getäuscht, stellt sich nach Durchhören zumindest des regulären Teils von "Empire Of The Undead" heraus, denn schon nach den ersten vierzehn Minuten macht sich ein breites Grinsen im Gesicht breit, das allenfalls operativ wieder zu entfernen ist. Zwei Songs sind dafür verantwortlich, und das sind noch nicht mal die beiden bereits vorab bekannten. Zunächst wäre da das neunminütige Epos "Avalon", das Kai Hansens Neigung, Alben mit eher ungewöhnlichen Songs zu eröffnen, nach "Empathy" (auf "To The Metal!") ein weiteres Mal unterstreicht. Orchesterangehaucht, leicht nebulös gestimmt, aber im richtigen Moment zupackend herrscht hier eine enorme Spannung, was einen nach dem Durchqueren der nächsten Nebelbank so alles erwarten würde, und da findet sich dann auch gleich das erste der geliebten Gamma-Ray-Selbstzitate, indem die Gitarrenarbeit nach Minute 6 etwas an den Vorschlußteil des Hauptsolos in "Lust For Life" erinnert. Es soll nicht das einzige Easter Egg bleiben, das Hansen und seine Spießgesellen in der knappen Stunde Spielzeit versteckt haben - das nächste lauert gleich in "Hellbent", einem Song, der in geschickter Weise melodischen Hyperspeed und drückende Midtempopassagen verquickt, aussagetechnisch das gleiche Genre bedient wie der Titeltrack des Albumvorgängers (der Refrain lautet "Hellbent for Metal") und in der Baßarbeit das erwähnte Easter Egg versteckt: Die hohen, fast eine Leadbaß-Struktur vermuten lassenden Passagen gab es in ähnlicher Form vor knapp 30 Jahren schon mal zu hören, nämlich bei Helloween in "How Many Tears". Dann sind die erwähnten vierzehn Minuten um, der Hörer beginnt von "Empire Of The Undead" ein absolutes Albumhighlight zu erwarten und wird mit "Pale Rider" geerdet. Daß auch die Gamma-Ray-Drumfraktion Songs schreiben darf, ist seit Thomas Nack gute Sitte und hat im Falle von Daniel Zimmermann auch etliche feine Ergebnisse erbracht. Neuzugang Michael Ehré allerdings läßt sich mit besagtem "Pale Rider" noch deutliche Steigerungsmöglichkeiten offen, denn obwohl es durchaus einige interessante Elemente gibt, so wirkt der Song als Ganzes doch eher konfus und mit seinem "Burn, motherfucker"-Refrain auch noch in seltsamer Weise anbiedernd. Fast scheint es so, als ob das Zwischentief auch Gitarrist Henjo Richter erfaßt hätte, denn das Intro von "Born To Fly" läßt den Hörer gleichfalls völlig verwirrt zurück, bevor sich im Hauptteil dann aber doch noch geradliniger und titelgemäß federleichter, dabei aber durchaus flotter Melodic Metal höherer Güteklasse entspinnt, der im Sinne einer Rahmenstruktur wieder mit einem Zitat des Intros endet. "Master Of Confusion" und "Empire Of The Undead" scheinen in gegenüber der Vorab-Veröffentlichung unveränderten Fassungen auf der neuen Scheibe gelandet zu sein (der Rezensent hat nicht kontrollgehört, aber die Spielzeiten stimmen schon mal überein), so daß der Wunsch nach einem geringfügig anders gestalteten Refrain bei letzterem nicht erhört wurde. Aber auch in der vorliegenden Form macht dieser vor Spielfreude förmlich berstende Speedie noch jede Menge Hörspaß. "Time For Deliverance" ist als Ruhepol danach geschickt plaziert - eine Halbballade aus der Feder von Bassist Dirk Schlächter, kein absolutes Highlight der Band in diesem Genre, aber zweifellos gut anhörbar und recht stimmungsvoll, wenngleich das letzte Quentchen Emotion entbehren lassend. "Demonseed" stammt auch aus Schlächters Feder, ist aber völlig anders gepolt - teutonischen Stampf-Hardrock kannte man aus dem Gamma-Ray-Kosmos bisher noch gar nicht, und dieser Song paßt zumindest in seinem Hauptteil eher auf Alben wie "Magic Sacrifice" von Outside, dessen Review zufälligerweise gerade zuvor entstanden ist. Ein längeres Akustikbreak und das ausladende Hauptsolo sowie der ganz leichte Tango-Touch des Hauptthemas verleihen dem Song zumindest in der Theorie noch etwas Charme, aber er könnte genauso viel Verwirrung beim Hörer stiften wie "Pale Rider". Dessen Übergangsstruktur zum nächsten Song wiederholt sich dann gleich nochmal: Auch Hansens "Seven" läßt den Hörer mit seinem verschleppten Intro noch im unklaren, in welche Richtung sich der Song weiterentwickeln wird, aber im Hauptteil ist dann der Nebel verschwunden, und wir entdecken abermals feinen melodischen Speed Metal, diesmal von den Breaks rings ums Hauptsolo abgesehen ohne große Tempovariationen geradeaus nach vorne ziehend und im Refrain von einem sanften Orchesterteppich untermalt. Das "hintere" Break ist etwas ausgedehnter ausgefallen und weiß mit seinem spannenden Arrangement zu überzeugen, wobei interessanterweise der religionskritische Text in einer gewissen Diskrepanz zum fröhlich galoppierenden Hauptteil des Songs steht. Das große Abschlußepos der regulären Edition, "I Will Return" (das wollen wir auch hoffen), geht dann wieder aufs Konto von Richter und ist nicht ganz so groß ausgefallen wie vergleichbare Werke auf anderen Alben, überzeugt aber gleichermaßen mit Spielfreude und einigen interessanten Einfällen wie den Rhythmusunterschieden in den Bridges vor dem Refrain - ein würdiges Finale für eines der in dieser Fassung stärksten Metalalben des Jahres 2014, das zeigt, wie man auch aktuell noch begeisterndsten traditionellen Metal spielen kann, ohne Klischees totzureiten (das tut schon das Albumcover zur Genüge, auch wenn diesmal kein Würfelmonster irgendwelche Ketten schwingt).
Der Rezensent hat sich die Digipack-Version zugelegt, die die Covergestaltung in farblich invertierter Form zeigt und mit 23 Minuten Extra-Musik die Kapazitätsgrenze der CD ankratzt. "Built A World" ist dabei als "European Bonus Track" deklariert und stellt eine kompositorische Coproduktion Hansens mit Andy Portmann dar, der dem Rezensenten im Gamma-Ray-Kontext bisher kein Begriff war. Möglicherweise handelt es sich um eine Komposition, die für ein Nebenprojekt gedacht war, wofür auch ihre Stilistik spricht - Midtempo-Hardrock leicht modernerer Prägung war bei Gamma Ray letztmals 1991 auf "Sigh No More" zu hören und würde gegebenenfalls eher noch zu Unisonic passen. Nach "I Will Return" setzt der Song jedenfalls einen etwas merkwürdig anmutenden Kontrapunkt. Die anderen drei Zugaben sind Mitschnitte einer Studiosession, wobei neben "Avalon" und "Empire Of The Undead" erstaunlicherweise auch "The Spirit" zum Vorschein kommt, ein Uralttrack vom eben erwähnten "Sigh No More"-Album, der im Rahmen der archäologischen Arbeit nach dem "To The Metal!"-Album exhumiert worden war. Die Mitschnitte beweisen die erstaunlich gute Reproduzierbarkeit des Materials auch in einer der Livesituation nahekommenden Konstellation (wenngleich man Hansens älter werdende Stimme in "The Spirit", wenn's nach oben geht, hier und da schon deutlich wahrnehmen kann, auch wenn er prinzipiell natürlich anders singt als Ralf Scheepers im Original), aber man wäre auch nicht an trauernder Unkenntnis gestorben, würde man sie nicht kennen. Einen unbestreitbaren Vorteil haben sie natürlich: Man hört zwei der absoluten Albumhighlights bei jedem Durchlauf gleich zweimal und kann sich an ihren Qualitäten doppelt erfreuen.
Der Digipack enthält aber noch eine zweite Scheibe, nämlich eine DVD mit insgesamt einer knappen Stunde weiterem Material. Im Gegensatz zur aufgedruckten Tracklist wird man im ersten Teil zunächst vom Film "Tour Of Hamburg with da Rrrrayzzzzzz" empfangen, und hinter dem eher humoristischen Titel hätte man durchaus auch etwas anderes vermutet als eine melancholisch-düstere Stimmung verbreitende Besichtigung der abgebrannten Hammer-Studios, wo die Band mit Eike Freese an der neuen Scheibe gearbeitet hatte. Daß dieser Schlag vor allem Hansen in kurzer Zeit deutlich hat altern lassen, fällt auf, auch wenn der Effekt, daß der mit einer Bierflasche auf einer Uferbank sitzende Henjo mit feuersprühenden Augen ausgestattet wurde, dem Ganzen schon wieder eine humoristische Ader verleiht. Die restlichen Beiträge sind in den Film eingestreut: einige Interviewsequenzen (meist in Englisch, einige deutsche Passagen vor allem während der Ruinenbesichtigung sind englisch untertitelt) sowie vier weitere Aufnahmen von den Studiosessions, von denen es zwei gab: die erste ohne Publikum und die zweite mit. Letztere eröffnet mit "The Spirit", wo die letzte Publikumsreihe den Refrain begeistert mitsingt, aber die bereits anhand des Mitschnitts der ersten Session (siehe oben) zu erkennende Stimmalterung Hansens nicht kaschieren kann. Dafür macht "Empire Of The Undead" abermals einen riesigen Hörspaß, wobei Hansen im Interview berichtet hatte, das Grundriff und auch die Refrainidee würden noch aus Zeiten seiner Ur-Bands Second Hell bzw. Iron Fist (mit Piet Sielck) stammen. Für "Demonseed", das auch als Menühinterlegung fungiert, droht Hansen eine Aufnahme in den Liveset an, und anhand dieses Sessionmitschnitts kann man die Liveeignung auch etwas besser erahnen als anhand der Studiofassung. "Empathy" schließlich stammt aus der ersten Studiosession, mitgeschnitten in der gleichen Studiodekoration (mit herrlich anachronistischen Stehlampen) und offenbar in relativer zeitlicher Nähe zur anderen Session, denn nur Henjo scheint sein Shirt gewechselt zu haben.
Der zweite Teil mit 21 Minuten Spielzeit ist als Bonus deklariert und stammt noch aus Zeiten, als noch Daniel Zimmermann am Schlagzeug saß. Da wäre zunächst das Video zu "To The Metal!", der als Song hier im Gegensatz zur CD, aber im Einklang mit dem Albumtitel mit Ausrufezeichen geschrieben ist. Einige Hamburg-Bilder werden mit Bildmaterial einer Studiosession gekoppelt (es könnte sich durchaus um das später abgebrannte Studio handeln), die Tonspur stammt aber nicht von der Session, sondern enthält die reguläre Albumfassung. Die letzten Beiträge sind der 2011 in Pratteln mitgeschnittenen "Skeletons & Majesties Live"-DVD entnommen, auf der Corvin Bahn als Gast an den Keyboards dabei ist. Bei "Gamma Ray" hüpft Hansen wie ein Stehaufmännchen, und hier ist besonders auffällig, wie viel jünger er sowohl optisch als auch akustisch wirkt als bei den 2014er Aufnahmen - man ist geneigt, einen viel größeren Abstand anzunehmen als "nur" drei Jahre. Noch stärker wird dieser Eindruck bei seinem klaren Gesang in "Wings Of Destiny", sowieso einem exzellenten Song mit wunderbaren Doppelleads, die durch eine Bildschirm-Zweiteilung auch optisch eine Unterstreichung erfahren. "Send Me A Sign" wiederum kommt als Akustikfassung, in die Henjo lediglich ein Elektrosolo einstreut. Die Drums legen allerdings durchaus einen flotten Beat vor - nur die akustischen Flying Vs sind und bleiben irgendwie gewöhnungsbedürftig ... Trotzdem bereiten diese drei Songs mächtig Appetit auf die besagte Livescheibe, und genau das ist ja auch ihr Zweck. Dem regulären Release machen sie jedenfalls keinerlei Schande, sondern unterstreichen den Ausnahmestatus Gamma Rays ein weiteres Mal.
Kontakt: www.gammaray.org, www.ear-music.net

Tracklist:
CD:
Avalon
Hellbent
Pale Rider
Born To Fly
Master Of Confusion
Empire Of The Undead
Time For Deliverance
Demonseed
Seven
I Will Return
Built A World
Avalon (Live From The Final Studio Session I)
The Spirit (Live From The Final Studio Session I)
Empire Of The Undead (Live From The Final Studio Session I)

DVD:
The Spirit (Live From The Final Studio Session II)
Empire Of The Undead (Live From The Final Studio Session II)
Demonseed (Live From The Final Studio Session II)
Empathy (Live From The Final Studio Session I)
Tour of Hamburg with da Rrrrayzzzzzz
Interviews with Kai Hansen & GammaRay
To The Metal! (Promo Video)
Gamma Ray (From the DVD "Skeletons & Majesties - Live")
Wings Of Destiny (From the DVD "Skeletons & Majesties - Live")
Send Me A Sign (Acoustic) (From the DVD "Skeletons & Majesties - Live")



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver