www.Crossover-agm.de BEHEMOTH: The Satanist
von ta

BEHEMOTH: The Satanist   (Nuclear Blast)

Es ist unvermeidbar, den Stellenwert dieser Platte zu beschreiben, ohne auszuholen. Behemoth begannen in den frühen 90ern als Black-Metal-Band und veröffentlichten als solche zwei mittelmäßige Alben, ehe "Pandemonic Incantations" im Jahr 1998 einen Wechsel zum Death Metal einläutete, der sich über drei weitere famose Alben entwickelte und im Jahr 2004 in dem Inferno "Demigod" gipfelte, einem irrsinnigen Orkan, einem Brett von Album, das eine Zäsur im Katalog der Band markiert und Behemoth Tür und Tor für große Tourneen, lukrative Endorsement-Deals, TV-Auftritte und dergleichen mehr öffnete.
An Furiosität nicht zu überbieten, stellte das Album die Band vor die Entscheidung, im weiteren Fortgang ein zumindest kompositorisch gleichwertiges Alben desselben Stils zu veröffentlichen oder Neuland zu beschreiten. Die Band entschied sich für ersteres und das hohe kompositorische Niveau konnten die nachfolgenden Alben "The Apostasy" (2007) und "Evangelion" (2009) tatsächlich halten. Allerdings zeigten sich insbesondere bei zweiterem Album die ersten Abnutzungserscheinungen, was indes die Verkaufszahlen nicht negativ beeinträchtigte und Behemoth bis an die Spitze der heimischen Charts hievte. Anfang 2010 war aus dem mäßig begabten Kellerrumpler Adam Michal "Nergal" Darski eine - wenngleich nicht unumstrittene - Persönlichkeit des polnischen Fernsehens geworden und der internationalen Metal-Szene sowieso.
Im Jahr 2010 folgte eine weitere Zäsur, diesmal eine nichtmusikalische. Leukämiediagnose, Chemotherapie, Stammzellentransplantation und lange Monate der Rehabilitation setzten nicht nur Nergal, sondern die Band für mehrere Jahre außer Gefecht. Es sollte vier Jahre dauern, bis mit "The Satanist" anno 2014 der Nachfolger von "Evangelion" erschien, wie jüngst geschehen.
Angesichts der langen Pause, angesichts des Status, den sich Behemoth erarbeitet haben, und angesichts der - zugegeben stilsicheren - Sackgasse, in die sich die Band nach "Demigod" manövriert hat, darf man mit Fug und Recht behaupten, dass "The Satanist" zu den am meisten erwarteten Alben des Jahres zumindest unter Extrem-Metallern gehört. Und um gleich die naheliegendste Frage zu beantworten: "The Satanist" ist keine Fortsetzung von "Evangelion" geworden, ja, "The Satanist" hält prinzipiell in Sachen Intensität und Durchschlagskraft keinem Vergleich mit den letzten Alben stand.
Aber "The Satanist" will das auch gar nicht. Wie eine Kampfansage beginnt das Album mit "Blow Your Trumpets Gabriel" als erstem Track. Sparsam, dunkel und monolithisch schreit dieser Song geradezu "Lass dich erst gar nicht auf einen Vergleich ein, wir machen etwas Neues". Und dieses Neue ist "The Satanist" dann auch geworden. Es ist prinzipiell im Durchschnitt deutlich langsamer als jedes Behemoth-Album ab "Pandemonic Incantations", orientiert sich hierbei aber nicht an auf Kraft ausgerichteten Midtempo-Hits der Band wie "Chant For Eschaton" oder "Conquer All", sondern stellt ein anderes Element in den Vordergrund: schwarze Atmosphäre. "The Satanist" ist - wenn man es auf eine Formel bringen möchte - ein konsequenter Grenzgänger aus hasserfüllten Black Metal, stampfendem Death Metal und Düsterrock (dazu gleich) und dabei überraschenderweise jederzeit 100%ig stimmig. Jede der genannten Stilrichtungen kommt mal stärker, mal schwächer zur Geltung, ohne dass die Songs dadurch wie Zitate wirken - eher wie verschiedene Ausformungen ein- und desselben dunklen musikalischen Geistes. Während "Furor Divinus" - eins der Highlights des Albums - roh und schwarzmetallisch wütet, flirten "Ora Pro Nobis Lucifer" und "Ben Sahar" noch am ehesten mit alten Trademarks, sie gleichzeitig in Elemente der neuen Düster-Death-Metal-Schule der Marke Necros Christos/Sonne Adam einbettend. Das in der Albummitte positionierte "Amen" zeigt wie eine Geste nebenbei, dass im Bereich des ICE-Death/Black Behemoth nach wie vor niemand etwas vormacht, und "Messe Noire" kombiniert spannungsreich ein atmosphärisches Leitriff mit Noise-Elementen und mündet in einen obskuren Hardrock-Soloteil - total cool, ohne dabei übertrieben progressiv zu wirken.
Die radikalsten Schritte in neues Terrain verbergen sich indes in der zweiten Albumhälfte und beide sind in meinen Ohren die Schwachstellen des Albums. Beim Titeltrack handelt es sich um ein maßgeschneidertes Stück Black Rock, das musikalisch irgendwo zwischen Watain und Keep of Kalessin anzusiedeln ist und anfangs zwar überrascht, sich nach wiederholtem Hören allerdings doch als eher unspektakulär entpuppt, sieht man vom Alibi-mäßigen Bläser/Blast-Part am Ende einmal ab. Und das abschließende "O Father O Satan O Sun" ist ein auf Atmosphäre bedachtes Mini-Epos, das sich ebenfalls an neueren Keep of Kalessin orientiert und daher in der ersten Hälfte viel Hymnenpathos enthält, welches im Behemoth-Kontext eher kitschig wirkt. Mit diesen beiden Stücken haben Behemoth ihrem Unwillen zur Stagnation deutlich Ausdruck verliehen, ohne indes verfolgenswerte neue Impulse zu setzen.
Absolut beeindruckend ist, dass das Album bei aller atmosphärischen Einheit viele entdeckungswürdige Details enthält, von melodiösen Gitarrensoli über Bläser- und Keyboard-Einsätze bis hin zu - freilich aggressivem - Clean-Gesang. Erstmals auf einem Behemoth-Album ist der Bass richtig schön präsent und eigenständig, sowohl im Soundbild als auch was die gespielten Noten betrifft. Auch der Gesang von Nergal fällt erdiger aus, etwas höher als zuletzt (vergleichbar mit "Pandemonic Incantations") und liegt jetzt nah an seinem Liveklang. Nicht so kraftvoll wie "Evangelion" ist das Album produziert, dafür auch weniger glatt, was zur stimmungsvoll-okkulten Ausrichtung gut passt. Okkult sind natürlich einmal mehr auch Nergals Texte, wobei die luziferische Anbetung diesmal direkter religiös ausfällt, sich also mehr an biblischen Kontexten abarbeitet als an den neuzeitlichen okkult-/satanistischen Texten des 19./20. Jahrhunderts; ich habe zumindest auf keinem der bisherigen Behemoth-Alben derart viele - selbstredend feindliche - Referenzen auf biblische Orte und Personen gefunden wie auf diesem. Nun ja, "Art must destroy" behauptet Nergal in den Linernotes, und das ist ihm sicherlich gelungen.
Apropos "art": Das Digipack des Albums enthält eine beiliegende DVD mit verzichtbarem Live-Konzert und einer unfreiwillig komischen Dokumentation über die Entstehung des Albums, in der die Musiker 20 Minuten lang den Zuschauer vollmurmeln, wie sehr Behemoth doch Kunst und Konzept seien, eingesprochen mit verrauchten Stimmen vor dem s/w-Hintergrund atmosphärischer Naturaufnahmen und okkulter Symbole. Auch diese teils plakative, teils narzisstische Ausformung des Kunst-Anspruchs gehört zu den neuen Behemoth.
Ohne Zweifel ist "The Satanist" anno 2014 für Behemoth eine ähnliche Zäsur wie "Demigod" zehn Jahre zuvor. Was dieses Album tatsächlich wert ist und ob es zu einem ähnlichen Klassiker heranreift, wird die Zeit zeigen müssen. Bis dahin und für diesen Moment ist es aber trotz kleinerer Schwächen genau der richtige Schritt im richtigen Moment. Ich bin ernsthaft beeindruckt.
Kontakt: http://behemoth.pl/, www.nuclearblast.de

Tracklist:
1. Blow Your Trumpets Gabriel
2. Furor Divinus
3. Messe Noire
4. Ora Pro Nobis Lucifer
5. Amen
6. The Satanist
7. Ben Sahar
8. In The Absence Ov Light
9. O Father O Satan O Sun!



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