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von rls

AFFECTOR: Harmagedon   (Inside Out)

Parallelen tun sich auf: Ein junger deutscher, eher unauffällig wirkender Gitarrist bricht auf, um Großes zu erschaffen, holt sich Gäste hinzu, formt eine Band und spielt ein grandioses Debütalbum ein. Das hatten wir vor nicht allzulanger Zeit mit Martin Schnella und Flaming Rows "Elinoire"-Album, und das haben wir hier gleich noch einmal mit Daniel Fries und Affectors "Harmagedon"-CD. Die beiden Werke sind auch noch im gleichen Genre anzusiedeln, nämlich im Progrock bzw. Progmetal, so daß es leicht fällt, dem Liebhaber des einen auch einen intensiven Hörtest des anderen zu empfehlen. Komme allerdings niemand und vermute etwaigen Kopismus - es gibt markante Unterschiede in der Herangehensweise. "Elinoire" ist ein Konzeptalbum mit operesker Verteilung der Gesangsrollen auf einen ganzen Haufen Leute, während auf "Harmagedon" ausschließlich Ted Leonard singt, den der genreaffine Hörer bereits von Enchant kennt und schätzt. Ein straightes Konzeptalbum ist "Harmagedon" auch nicht geworden, wenngleich sich das Grundthema "Untergangsprophezeiungen und Neuanfang" schon wie ein roter Faden durch die sechs regulären Songs (hinzu kommen eine zweigeteilte, reichlich siebenminütige instrumentale Ouvertüre und auf der Special Edition noch Akustikversionen der Albumtracks "Harmagedon" und "New Jerusalem") zieht und ein Teil der Lyrics gleich direkt der Bibel entnommen wurde (mit konkretem Nachweis im Booklet, wie man das etwa auch von Mortification kennt und fürs weitere Einarbeiten ins Thema schätzt). Die Erwähnung von Enchant läßt noch einen weiteren Schluß zu: Bei Flaming Row ist die reguläre Band einheimisch besetzt, und einige der Gastmusiker bringen internationales Flair ins Boot - Affector dagegen sind von vornherein als internationales Projekt (oder meinetwegen auch internationale feste Band) angelegt. Man sehe, wen sich Fries alles ins Boot geholt hat: Wichtigster Mann neben ihm dürfte zweifellos Drummer Collin Leijenaar sein, der auch in Neal Morses Soloband trommelt und bei Affector nicht nur als Co-Songwriter, sondern auch als Produzent fungiert. Ted Leonard wurde bereits erwähnt, den Baß bedient Mike LePond von Symphony X, und für die Keyboards holte man sich vier Gäste ins Studio. Den Löwenanteil bestreitet dabei der noch eher unbekannte Alex Argento, die Verbindung zu Neal Morse war erwartungsgemäß leicht herzustellen, und dazu kommen noch die Ex- bzw. Derzeit-Dream-Theater-Aktivisten Derek Sherinian und Jordan Rudess. Das Ergebnis klingt dann wenig überraschend nach einer Schnittmenge aus den anderen Baustellen der Beteiligten, wobei der Enchant-Einfluß allein schon durch die Stimme ein wenig hervorsticht, aber andererseits die instrumentale Energie etwas reichlicher fließt und Affector daher stärker am Metal kratzen - auch der Aufkleber auf dem Cardboardsleeve der Special Edition spricht von "Elaborated and atmospheric Progressive Metal" und hat damit durchaus recht. Freilich erschaffen Affector absolut nichts Neues und musizieren daher keineswegs "progressiv" im Sinne von "fortschrittlich" - aber sie verstehen ihr Handwerk und reichern es mit einer guten Portion Inspiration an, so daß ein hochklassiger Genrebeitrag entsteht, der zwar aus den vielen anderen hochklassigen Genrebeiträgen nicht entscheidend hervorsticht, aber dem geneigten Anhänger auch keinerlei Seelenpein bezüglich eines eventuellen Fehlkaufs bereiten wird. Und wer diese Art von Musik als verkopft und überkanditelt abzutun geneigt ist, den belehren Affector spätestens mit den vielschichtigen Instrumentalabfahrten im Hauptsolo des vierzehnminütigen "The Rapture" (der längste Song des Albums, zudem mit deutlicher Dream-Theater-Schlagseite, was ja nichts Schlechtes ist) oder allerspätestens mit dem kapitalen Refrain des Titeltracks, dessen Choralarrangement man auch bedenkenlos in gottesdienstlichen Gebrauch übertragen könnte und das sicherlich auf dem zweiten Affector-Album noch eine Erweiterung in einer komplexeren Richtung, die hier mit der leicht fugierten Hinführung in den zweiten Einsatz des Refrains nur angedeutet wird, finden dürfte (sagt mir jedenfalls mein Gefühl), eines Besseren. Ebenfalls aus dem Rahmen fällt der ruhige "Cry Song", mit dem Fries den Tod seines Vaters verarbeitet und der trotz der Tatsache, daß "We All Need Some Light" unerreicht bleibt, eine exzellente Figur macht. Neben vielen konventionellen Ideen überrascht Fries bisweilen auch mit ungewohnten Klängen, etwa den flackernden Gitarren nach Minute 11 des Titeltracks. Sonderlich eingängig ist das Gros des Materials freilich nicht, aber erstens verlangt die Zielgruppe sowieso nicht nach einer solchen Ausprägung, sondern möchte vor Herausforderungen gestellt werden, und zweitens hat Fries zur einfacheren Hineinarbeitung auf dieses Stilmittel zumindest nicht ganz verzichtet, wie neben dem erwähnten Refrain des Titeltracks auch der von "New Jerusalem" und überhaupt dessen recht hymnische Anlage zeigen. Beide Songs funktionieren übrigens auch in den Akustikversionen (der Titeltrack auf knapp die Hälfte, "New Jerusalem" um etwa ein Drittel gekürzt) prächtig, auch wenn gerade der mehrfach erwähnte Refrain des Titeltracks in dieser Fassung ein wenig von seiner Strahlkraft einbüßt. Aber dieses kleine Manko wird von mancherlei gutem Einfall, etwa der fast spanisch anmutenden Akustikgitarrenarbeit und ihrer Duelle mit den waschbrettartigen Keyboardtürmen im Schlußteil des Songs, locker wieder wettgemacht. So bietet sich mit "Harmagedon" ein farbenreiches Panoptikum des klassischen Progrocks bzw. Progmetals, der dem Genre zwar keine neuen Fans verschaffen, aber auch keinen bereits im Areal befindlichen Anhänger verschrecken, sondern letztgenannten eine erbauliche Zeit bereiten wird.
Kontakt: www.affector.net, www.insideoutmusic.com

Tracklist:
Overture Pt. 1: Introduction
Overture Pt. 2: Prologue
Salvation
The Rapture
Cry Song
Falling Away & Rise Of The Beast
Harmagedon
New Jerusalem
Harmagedon Acoustic
New Jerusalem Acoustic



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