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Hubert von Goisern: Stromlinien. Ein Logbuch
von rls anno 2011

Hubert von Goisern: Stromlinien. Ein Logbuch

Für außergewöhnliche Projekte war Hubert von Goisern ja schon lange bekannt, aber dieser Geistesblitz von 2005, der sich dann bis 2009 zu materialisieren begann, stellte selbst für seine Verhältnisse eine neue Dimension dar: auf einem Schiff donauabwärts fahren und mit der eigenen Band sowie jeweils regionalen musikalischen Gästen etwas für die kulturelle Völkerverständigung tun, zunächst mit speziellem Blick in Richtung Balkan (dort hatte Österreich ja schon jahrhundertelang seine Finger im Spiel, und das nicht immer ruhmreich), in einer Erweiterung der Idee dann aber auch in "Kerneuropa", nämlich über Donau, Main und Rhein bis zur Nordsee. Freilich: Was sich als Idee so einfach liest, bescherte Hubert und seinem von der Idee mal früher, mal später infizierten Umfeld einen Riesenberg Arbeit, einen großen Sack voller Enttäuschungen, manch graues Haar - und viele schöne Momente, für die sich der Aufwand dann doch gelohnt hat. Da die mediale Vermittlung bei diesem Projekt, in dem erstmals nicht nur Huberts eigenes Geld, sondern auch öffentliche Mittel steckten, besonders wichtig war, ging der sonst eher medienscheue Künstler einen Kompromiß ein und verfaßte ein Logbuch, das auf seiner Homepage jeweils den aktuellen Standort und die Erlebnisse der jüngeren Vergangenheit bündelte. Zudem entstanden auf der Reise 2007 donauabwärts bis zum Schwarzen Meer die DVD "Goisern Goes East" und auf der Reise 2008 bis zur Nordsee die DVD "Goisern Goes West", anhand derer der geneigte Anhänger schon viel über die grundsätzlichen Reiseabläufe erfahren konnte.
Nun liegen die Logbucheinträge auch in Buchform vor. Komme allerdings niemand und bezeichne das als uninteressant, weil man ja eigentlich schon alles wisse! Sicher, anhand der DVDs kennt man die Grundelemente und die Stationen der Reise bereits, und einzelne Aspekte kommen dort sogar ausführlicher zum Tragen, beispielsweise Huberts schwere Erkrankung 2008, die dazu führte, daß Huberts Band gemeinsam mit Xavier Naidoo und dessen Band, die gerade als regionale Gäste anwesend waren, ein Hubert-Konzert ohne Hubert spielte, das im Logbuch natürlich nur angerissen werden kann (Hubert war ja nicht dabei, und das Logbuch enthält ausschließlich seine eigenen Eintragungen), auf "Goisern Goes West" aber natürlich in aller Ausführlichkeit dokumentiert wird. Dafür enthält die DVD einen großen Spannungsbogen (sie ist ja zwangsweise erst nach Tourende geschnitten worden), während die Logbucheinträge einen direkten dokumentarischen Einblick in die Stimmungslage ermöglichen, ohne daß der Schreiber schon weiß, was am nächsten Tag oder in einem Vierteljahr passieren wird.
Und die Logbucheinträge sind natürlich nicht der einzige Bestandteil des Buches. Hubert arbeitet auch die komplette Vor-, Zwischen- und Nachgeschichte der beiden Sommerreisen auf, dies nun nicht in reiner Tagebuchform, wenngleich schon chronologisch, aber hier natürlich mit dem nachredigierenden Wissen, wie sich manche Dinge entwickeln werden. Und hier schwankt man beim Lesen zwischen Bestürzung und Anerkennung, wenn wieder mal eine ungeahnte Hürde aufgebaut wurde und Hubert allen verfügbaren Anlauf nehmen mußte, um sie zu überwinden. Etliche Menschen kommen da im Text nicht allzugut weg, und man liest eigenartig berührt von der Wandlung der Schifferfamilie Brandner (die für den nautischen Teil der Reise verantwortlich zeichneten) von guten hilfsbereiten Freunden hin zu mimosenhaften Geldsäcken - eine Entwicklung, für die Hubert noch den diplomatischen Begriff "Schieflage" findet, wobei er generell aber kaum ein Blatt vor den Mund nimmt. Keinerlei Unterstützung bekam er trotz seines paneuropäischen Projektes von der EU, da bestimmte formale Kriterien für eine Förderung nicht erfüllt werden konnten, und in Zentraleuropa war der behördliche Widerstand bisweilen sogar größer als in den "Bananenrepubliken" auf dem Balkan. Zwei Glücksfälle stellten die Grundfinanzierung und die Realisierung des Projektes überhaupt erst sicher: Im Vorbereitungskomitee des Programms zum Linzer Europa-Kulturhauptstadtjahr 2009 fand sich mit Martin Heller ein Mann an der Spitze, der von dem Projekt begeistert war und es quasi als offizielles Vorprogramm 2007/2008 durchzudrücken in der Lage war - und natürlich fand auch der große Projektabschluß mit dem Linzer Hafenfest 2009 im Rahmen der Kulturhauptstadt-Aktivitäten statt. Zum anderen sorgte Red Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz für die Deckung einer größeren Finanzierungslücke, als alles eigentlich schon kurz vor dem Scheitern wegen Unbezahlbarkeit stand. Die grauen Haare bei Hubert und seinem langjährigen Manager Hage Hein, der auch ein wenig brauchte, um sich an den Gedanken dieses riesigen Projektes zu gewöhnen, kann man vor allem in diesen zusätzlichen Kapiteln förmlich wachsen sehen und zieht danach den real vorhandenen oder virtuellen Hut vor diesen Menschen, daß sie eben doch nicht klein beigegeben haben, aus manchem Problem gar eine neue Chance zaubern konnten und im richtigen Moment mit einer eigentümlichen Mischung aus Gelassenheit und Beharrlichkeit doch noch ans Ziel kamen, wenngleich nicht immer an das ursprünglich angedachte. Aber wenn dann in einem kleinen Ort im Donaudelta 3000 Leute kamen, um das erste jemals in ihrem Ort veranstaltete Rockkonzert zu feiern, dann war klar, daß sich der Aufwand doch irgendwie gelohnt haben mußte. Und so ganz nebenbei: Die sehr rocklastige Ausrichtung der neuen Goisern-Band und des "S'Nix"-Albums ist primär der Schiffstour zu danken, denn wenn man in etwas räumlicher Distanz vom Publikum spielen muß, was hier trotz Anlegestellen der Fall war, dann brauchte man einen Extra-Energieschub, um die Distanz zu überwinden.
Apropos neue Goisern-Band: Auffälligerweise kommen deren Mitglieder im Text so gut wie gar nicht vor; wenn Hubert Musiker erwähnt, dann sind es im Regelfall die jeweiligen regionalen Gäste. Das sollte nun keiner als Geringschätzung der eigenen Mitmusiker mißdeuten - offensichtlich gehörte deren Anwesenheit und musikalische Brillanz schon kurze Zeit nach der Zusammenstellung im Dezember 2006 zu den Selbstverständlichkeiten im Goisernschen Tagesablauf, während die Arbeit mit den Gästen jedesmal eine neue Herausforderung darstellte. Und auf den Fotos, die jedes Kapitel illustrieren, sieht man natürlich auch die Mitglieder der Goisern-Band, wenngleich der optische Kinnladeherunterklappfaktor der wundervollen Elisabeth Schuen auf der "Goisern Goes West"-DVD (im Ostteil der Tour war sie noch nicht mit dabei) naturgemäß noch höher ausfällt. Und daß auch nach dem Ende des Projektes 2009 Hubert weiterhin mit seinen Mitmusikern kooperierte und beispielsweise umfangreich in die Produktion des Ganes-Debütalbums (die drei ladinischen Backgroundsängerinnen, neben Elisabeth noch ihre Schwester Marlene und ihre Cousine Maria Moling, hatten während der Schiffsreise beschlossen, eine eigene Band zu gründen) eingebunden war, beweist, daß die Schicksalsgemeinschaft auf dem Schiff auch nach dessen Verschrottung weiterhin gehalten hat.
Wer übrigens als Kontrast einen externen Konzerteindruck bekommen will: Kollege Mario Stark hat das 2007er Konzert in Regensburg gesehen und rezensiert. Schon interessant, wenn man Marios und Huberts eigene Eindrücke miteinander vergleicht (die Musikanlage der Naturschützer hat jedenfalls beide genervt). Aber auch ohne diese Möglichkeit liegt mit "Stromlinien" ein beeindruckendes Buch des Goiserers vor, das demonstriert, was man mit einem gesunden Dickkopf, etwas Glück, dem richtigen Karma und einigen echten Freunden erreichen kann. Was kommt als nächstes?

Hubert von Goisern: Stromlinien. Ein Logbuch. St. Pölten: Residenz Verlag 2010. 280 Seiten, Festeinband. ISBN 978-3-7017-3186-2. 24,90 Euro.
www.hubertvongoisern.com, www.residenzverlag.at

 






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