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Hatred, Fatal Embrace, Chime   22.10.2016   Leipzig, Bandhaus
von rls

Rund 1000 Die-Hard-Metaller gebe es in Leipzig, vermeldet der Szene-Report im November-/Dezember-Heft 2016 des Deaf-Forever-Magazins, dazu noch unzählige Sympathisanten. An diesem Abend müssen sich jedoch offensichtlich nahezu alle verabredet haben, entweder zu Knorkator oder sonstirgendwohin zu gehen, nur nicht ins Bandhaus. Die Folge: Trotz eines interessanten Drei-Band-Packages schafft die Zuschauerzahl dort nur mit Mühe den Sprung in die Zweistelligkeit.
Die Bands wie die wenigen Anwesenden lassen sich freilich die Laune nicht vermiesen, selbst dann nicht, wenn sie in strukturellen Schwierigkeiten stecken, wie das bei Chime der Fall ist. Die sind eigentlich nur für die verhinderten Metabolic eingesprungen, aber auch bei ihnen schlägt die Personalnot durch: Der Sänger und Zweitgitarrist darf mit einer Lungenentzündung das Bett hüten. Die Leipziger machen aber aus der Not eine Tugend: Benny, ein Freund der Band, springt als Zweitgitarrist ein, und man spielt kurzerhand einen rein instrumentalen Sechs-Song-Set, zumal eine der Nummern sowieso ein Instrumentalstück ist. Hätte der verbliebene Stammgitarrist die Sachlage nach dem Opener nicht erklärt, es wäre vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen: Benny wirkt spielerisch gut integriert (daß ihn der Soundmensch etwas leiser gedreht hat, wäre, sofern es eine Vorsichtsmaßnahme war, also gar nicht nötig gewesen), und einzig die Tatsache, daß er sein Haupthaar nicht wie die anderen Saitenspieler schüttelt, sondern sich aufs Spielen konzentriert, hätte diesbezüglich Verdachtsmomente bieten können. Abgesehen davon, daß man die Gitarren generell noch ein wenig schärfer gehört hätte, ist das Klanggewand aber ziemlich gut. So kann man in Unkenntnis des Songmaterials natürlich auch keine Aussagen treffen, ob möglicherweise einer der Gitarristen noch die Gesangsmelodien auf sein Instrument übertragen hat. "Progressive Metal" gibt die Encyclopedia Metallum als Stil aus, aber anhand des reinen instrumentalen Eindrucks bleiben noch zahlreiche Möglichkeiten offen, zumal auch das Tempospektrum breit gefächert ist und gleich im langen Opener "Once" auch fast komplett vorgeführt wird. Danach nimmt das Quartett die Speedpassagen aber erstmal raus und fügt erst in den Setcloser "Exit" wieder solche ein (sehr interessant strukturierte übrigens). Dazwischen tummeln sich doomigere Passagen, leichte Alternative-Anflüge und auch Momente, wo man sich an eine instrumentale Version jüngerer Machine Head erinnert fühlt. Aber diese Eindrücke können mit einem Sänger natürlich nochmal in vollkommen andere Richtungen gehen. Die wenigen Zuschauer belohnen den Durchhaltewillen der Leipziger Band mit achtungsvollem Applaus, und der Bassist (auch der übrigens ein Neuling und erst zwei Monate an Bord, nachdem sein Vorgänger zu Disillusion abgewandert ist - und der Rezensent überlegt immer noch, bei welcher Band er den Neuen schon mal gesehen hat) setzt mit seinen grünen Leuchtsaiten auch noch ein optisches Ausrufezeichen neben die diversen akustischen.
Anderthalb Jahrzehnte ist es her, seit der Rezensent Fatal Embrace erst- und bis zu diesem Abend auch letztmalig live gesehen hat. Die Besetzung hat sich in diesen 15 Jahren zu drei Fünfteln verändert (neu dabei, allerdings zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten eingestiegen sind der etwas angespannt wirkende Drummer und die beiden Sympathikusse an den Gitarren), die Musik nur nuancenweise: Klassischer Bay-Area-Thrash ist immer noch das Modell der Band, ergänzt allerdings um einige powermetallischere Elemente, wie man sie von der Westküste beispielsweise von Laaz Rockit kannte. Das Tempo halten die Berliner relativ abwechslungsreich, allerdings durchaus mit Fokus im schnelleren Bereich - "And The Evil Walks Your Way" bleibt der einzige durchgehend auf Hochgeschwindigkeit verzichtende Song. Das Schöne an diesem Abend ist allerdings, daß das Quintett einen derart klaren Sound bekommt, wie man ihn im Thrash nur ganz selten findet und daher umso höher zu schätzen weiß: Die Gefahr, daß der Drummer akustisch alles niederknüppelt, ist sehr groß, aber diese Klippe kann gekonnt umschifft werden, und so ist es den Anwesenden möglich, speziell den Gitarrenkünsten beeindruckt zu lauschen - hier sind wie schon 2001 zwei Könner am Werk, und diesmal hört man deren Werk auch. Ein wenig merkwürdig wirkt allenfalls Sänger und Szeneoriginal Heiländer, der, optisch mit seiner Bandana an Mike Muir erinnernd, durch den Raum und über die Bühne schleicht, gesanglich zwar gekonnt bellt, aber der instrumentalen Vielfalt damit irgendwie nicht mehr richtig gerecht wird, die Ansagen an ein imaginäres Publikum in der aus Publikumssicht hinteren linken Bühnenecke richtet und vor der vorletzten Nummer noch einen kultigen Bock schießt: "Lemmy ist ja letztes Jahr kurz nach Weihnachten gestorben, als wir mit Grave Digger in Glauchau gespielt haben." So schlecht kann's ja nun auch wieder nicht gewesen sein, und auch die darauf folgende, etwas beschleunigte Fassung von "Killed By Death" dürfte dem verblichenen Motörhead-Fronter keinen Grund geliefert haben, sich im Grabe herumzudrehen. Bis dahin haben sich Fatal Embrace quer durch ihre bisherigen Alben gespielt, einen gewissen Fokus auf "Dark Pounding Steel" gelegt, aber auch neues Material wie "Revelation" natürlich nicht vergessen - und nach der Motörhead-Hommage gibt's noch was aus der ganz alten Kiste: "The Ultimate Aggression", den Titeltrack des 2000er Debütalbums, heute noch so kultig wie damals. Apropos damals: Der Basser ist in ein uraltes Death-Shirt gewandet, dem durchaus zuzutrauen ist, daß es noch aus dem letzten Jahrtausend stammt.
Hatred spielen an diesem Abend ihre vorletzte Show - zwei Wochen später, also bei Erscheinen dieses Reviews auch schon in der Vergangenheit, gedenken sie in ihrer Heimatstadt Schweinfurt das letzte Mal auf die Bühnenbretter zu steigen und sich danach aufzulösen; ein Verlust für die deutsche Thrashlandschaft, soviel ist klar. Auf den Bühnenbrettern stehen sie an diesem Abend allerdings auch gar nicht so oft: Der Sänger verlegt sein Aktionsfeld kurzerhand vor die Bühne und rennt dort ekstatisch im Halbkreis hin und her, so weit sein Mikrofonkabel reicht. Die beiden Gitarristen aber spielen über Sender und nutzen das weidlich aus, laufen durch die locker stehenden Zuschauermassen und erweitern ihren Aktionsradius durchaus bis hinter ans Mischpult oder in den Vorraum an die Bar. Das Interessante daran: Das Zusammenspiel leidet unter diesem sportlichen Aspekt kein bißchen - da auch diesmal das Klanggewand zwar einen Tick zu laut, aber trotzdem noch äußerst transparent ist, kann man auch im Falle von Hatred alle Einzelheiten tadellos heraushören. Der Bassist (Typ "sympathischer Kleiderschrank") bleibt allerdings auf der Bühne und der Drummer zwangsweise auch. Letzterer holt aus einem gefühlt nur halb so großen Drumkit wie dem von Fatal Embrace noch mehr an Tempo und Intensität heraus, wobei dieser Eindruck aber auch subjektiv sein kann, da die Franken erstmal mehrere sehr schnelle Stücke bringen und erst nach längerer Zeit mit "Run Amok" oder "Explosions" temposeitig vielschichtigere Songs hervorzaubern, die etwaiger Monotonie wirkungsvoll vorbeugen. Im Gesamtresultat Fatal Embrace gar nicht mal so unähnlich, verstecken sich die Power-Metal-Elemente hier aber nicht in der Instrumentalarbeit, sondern im Gesang: Der Hatred-Fronter besitzt eine extrem wandlungsfähige Stimme und bekommt vom heiseren Thrashgebrüll bis zu hohen Schreien, die ihn für jede Power-Metal-Band qualifizieren würden, alles problemlos hin - und das bei seinem sportlichen Pensum, zu dem auch noch exzessives Headbangen kommt. Das jüngste, anno 2015 erschienene Album "War Of Words", dessen Titelsong keine Fight-Coverversion darstellt, liefert natürlich etliches Material für den Set, so neben dem besagten Titelsong noch den Opener "Fuck The Zombie", auf den vielschichtigen Dreizehnminüter "Hope - Train Of Thought" verzichten die Unterfranken aber leider. Dafür kommt natürlich "We Are The Moshcrew", keine Motörhead-Coverversion, aber aufgrund Computerspieleinsatzes der Quasi-"Hit" der Band, zum Einsatz, und mit "Fractured By Fear" wirft das Quintett sogar den Titeltrack ihrer ersten Eigenproduktion aus dem Jahr 2002 ins Gefecht, einen leicht angeproggten Thrasher, der im Kreis der Bay-Area-Knüppler ringsumher als wirkungsvoller Farbtupfer fungiert. Nach "Metal Massacre" ist Schluß, aber zu "Resurrection" als Zugabe können die Eisernen im Publikum die Band noch überreden, bevor der Soundmensch "Bohemian Rhapsody" einwirft und damit unter den Anwesenden kurioserweise die stärksten Begeisterungsstürme des Abends erzeugt.



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