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Grave Digger, Garagedays   26.12.2015   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Die Beschäftigung mit dem eigenen Frühwerk und dessen Neueinspielung ist längst auch im Metal gang und gäbe und zeitigt durchaus ambivalente Resultate. Nun haben auch Grave Digger in ihrer Vergangenheit gebuddelt, aus der in den jüngsten Liveprogrammen im wesentlichen nur noch das unverzichtbare "Heavy Metal Breakdown" und, allerdings schon selten bis sehr selten, "Yesterday", "Headbanging Man" und das 2013 mal in ein Medley eingebaute "We Wanna Rock You" vertreten waren. Die Exhumierung, die man zur Feieraktivität des 35jährigen Bandbestehens deklariert hatte, mündete in einer CD mit Neueinspielungen aus den ersten vier Alben und in einer Kurztour zwischen Weihnachten und Silvester des Jahres 2015, von welchletzterer der erste Gig in der Alten Spinnerei in Glauchau angesetzt wurde, einem "Stammdomizil" der Band seit vielen Jahren, das diesmal nicht ganz ausverkauft, aber doch sehr gut gefüllt war und sich als metallisches Familienausflugsziel (!) präsentierte: Schon in der Schlange am Einlaß stand eine vierköpfige Familie (Ehepaar plus zwei Söhne) vor dem Rezensenten, in der Halle dann eine Großfamilie mit über 10 Personen aus zwei Generationen, in der die Kinder und Schwiegerkinder offenbar die Grave-Digger-Begeisterung von den beiden Elternehepaaren geerbt hatten. Sowas gibt's bei Jungspundmucke wie Deathcore halt nicht ...
Dem eigentlich angekündigten Support Motorjesus war der Motor ins Stocken geraten - krankheitsbedingt sagten sie den Gig ab und raubten dem Rezensenten die Konstellation, nach Motorowl am Vortag nun eine weitere motorisierte Band zu sehen. Der Ersatz hörte auf den Namen Garagedays und trat passend zum Namen auch noch genau in der Metallica-Line-up-Verteilung an, entpuppte sich allerdings nicht als Metallica-Coverband, zumindest nicht im Liveprogramm des Abends, das allerdings stilistisch durchaus mit Hetfield & Co. in deren Frühzeit kompatibel war, zieht man den Tempofaktor der frühen und den Filigranitätsfaktor der mittelfrühen Metallica ab. Garagedays spielten midtempolastigen Metal einer hypothetischen Entstehungszeit um 1984, vergaßen nur leider, daß seither reichlich 30 Jahre ins Land gezogen sind und eine Unmenge metallischer Pretiosen hervorgebracht haben, so daß gut gemeinter, aber wenig mitreißender Durchschnittsmetal heute noch schlechtere Karten hat als damals. Instrumentell als Ganzes zumindest solide agierend, stach einzig Leadgitarrist Rene mit seinen Fähigkeiten heraus, wohingegen die Gesangssparte eindeutig nach unten durchs Raster fiel und man peinlich berührt war, wie sich Sänger und Rhythmusgitarrist Marco durch die Ballade "Paradise Lost" quälte, wobei aber sein rauhes Organ auch in den harten Songs wie dem Setcloser "Piece Of Shit" einen eher bemühten Eindruck hinterließ. Zudem bleibt es sein Geheimnis, wieso er, mit einer Tiroler Band vor einem erzgebirgischen Publikum spielend und gemäß seines Namens Marco Kern vermutlich der deutschen Sprache mächtig, es für nötig hielt, die Ansagen in Englisch zu halten - wenigstens den übermotiviert wirkenden Eindruck der ersten Hälfte relativierte er in der zweiten Hälfte etwas. Soweit man seine Ansagen verstand, verzichtete er zudem auf einen Hinweis, daß man Garagedays und nicht Motorjesus sei, sich in der Informationspolitik also auf die Ankündigung auf der Spinnereihomepage sowie das große Backdrop verlassend. Insgesamt also ein merkwürdiger bis schwacher Gig, der zu Recht vom geschmackssicheren Publikum nur mit Höflichkeitsapplaus bedacht wurde.
Grave Digger hingegen erwischten schon mit "Headbanging Man" einen Traumstart, und "Witchhunter" und "Enola Gay - Drop The Bomb" hielten das Level durchaus aufrecht. Zwar hat die unisono von Matthias Herr und Ralf Hartmann (letzterer im Buch "Heavy Metal Made In Germany") vertretene Ansicht, das Achtziger-Albumtripel Grave Diggers sei allenfalls als durchschnittlich einzustufen, das Digger-Album "Stronger Than Ever" in reziproker Relation als Schwächeanfall zu bewerten und erst das Post-Reunion-Schaffen ab "The Reaper" als metallische Vollwertkost mit teils sogar originellem Einschlag (die Schottland-Thematik auf "Tunes Of War"!) wertzuschätzen, durchaus etwas für sich, aber die Livefokussierung im aktuellen Programm auf die besten Momente der Achtziger-Alben relativiert diese Einschätzung etwas, denn Unterhaltungswert in der Konzertsituation kann man diesen alten Kamellen definitiv nicht absprechen. Zudem müssen zwei strukturelle Vorteile einkalkuliert werden: Erstens pflegt Chris Boltendahl einen Gesangsstil, der etwaige stimmliche Alterserscheinungen viel leichter kaschieren läßt, als das bei vielen anderen Metalsängern der traditionellen Metalsparte, die in ihrer jugendlichen Sturm-und-Drang-Zeit hohe und höchste Gesangslagen pflegten, diese aber später nicht mehr reproduzieren konnten, der Fall ist - und Boltendahl war zumindest an diesem Abend auch wieder in guter Form, was nicht bei allen vom Rezensenten erlebten Glauchau-Gigs der Fall gewesen war. Zum anderen aber hat der Obergrabschaufler mittlerweile eine Besetzung um sich geschart, die diejenige der Frühzeit spieltechnisch locker in die Tasche steckt, ergo keinerlei Probleme mit der Wiedergabe der alten Nummern hatte (allenfalls hätte man Gitarrist Axel Ritt, bekanntlich ein begnadeter Techniker, aber auch melodisch enorm einfallsreich, akute Unterforderung unterstellen müssen, aber selbst falls dem so war, zeigte er das auf der Bühne natürlich nicht). Und damit waren im Verein mit einem überraschend klaren Soundgewand (so ziemlich das beste, das der Rezensent bisher von Grave Digger in Glauchau erlebt hat) alle Voraussetzungen für eine unterhaltsame Achtziger-Metal-Party gegeben, die auch ihren optischen Widerhall fand, einesteils im Aussehen der Herren Boltendahl (Kutte und schwarz-weiß-längsgestreifte Hose, die ihm eigenem Bekunden zufolge von damals noch passe, da er nur zehn Kilo zugenommen habe) und Ritt (offene Lederweste und schwarz-weiß-schräggestreifte Gitarre plus passendes Umhängeband), zum anderen mit einem Wettbewerb um das beste Achtziger-Outfit im Publikum, das ein Mensch namens Philipp gewann, wobei sein kultiger Topfschnitt nicht der geringste Beitrag gewesen sein mag (kurioserweise war als Preis allerdings ein T-Shirt ausgelobt worden - wieso aber sollte man das Gewinneroutfit damit noch zu verbessern versuchen?). Interessanterweise spielten Grave Digger mit "Stand Up And Rock" auch eine Nummer vom Digger-Album, wobei in der Boltendahlschen Ansage vielleicht ein bißchen arg viel "Schuld" auf Karl-Ulrich Walterbach von Noise Records geschoben und die eigene Rolle am Stilwechsel, den die fürchterlichen Promofotos des Albumdrittlings "War Games" bereits angedeutet hatten, kokettierend mit "Wir waren jung und brauchten das Geld" in den Hintergrund gerückt wurde. Aber solche kleinen atmosphärischen Probleme blieben selten, zumal sich Grave Digger dankenswerterweise schnell wieder auf das konzentrierten, was das feierfreudige Auditorium hören wollte, und das waren eben rare Nummern wie das starke "Paradise" (dessen Refrain der Rezensent noch von seinem allerersten Grave-Digger-Liveerlebnis Anfang 1994 im Drema-Kulturhaus in Leipzig in Erinnerung hatte und sich prompt nahezu 22 Jahre jünger fühlte - übrigens spielten damals neben dem Lokalsupport Factory Of Art noch Capricorn als Vorband, deren Drummer Stefan Arnold dann 1996 bei Grave Digger einstieg und bis heute an Bord ist) oder das allerdings irgendwie nicht zünden wollende "Get Away". Dafür entzündete das Quintett allerdings mit dem Finale von "Fire In Your Eyes" ein Hymnenfeuer, damit die Bühne für "Yesterday" bereitend, zu dem auch erstmals HP-Katzenburg-Ersatz Marcus Kniep ins Geschehen eingriff. Das logischerweise vielumjubelte "Heavy Metal Breakdown" schloß den regulären Set ab, der trotz des Verzichts auf ganz große Raritäten wie "Tears Of Blood" (damals nur auf einem Firmensampler von Noise Records enthalten und 1993 noch auf die "Best Of The Eighties"-Compilation gepackt) viel Begeisterung im Rund erzeugte. Damit man den Keyboarder nun nicht wegen eines einzigen Stückes zum Mitkommen nötigen mußte, vollführte der Zugabenteil noch eine Zeitreise in die rezenteren Schaffensperioden: "The Reaper" ließ noch die Möglichkeit der chronologischen Wiedergabe der Neunziger-Titeltracks offen, "Excalibur" noch die der nichtchronologischen Wiedergabe, aber "Tattooed Rider" und "Highland Farewell" zeigten, daß keines dieser beiden Konzepte gewählt wurde. Und ein Grave-Digger-Gig ohne "Rebellion (The Clans Are Marching)" wäre auch irgendwie merkwürdig - ergo erklang ebenjenes Stück zum großen Kehraus nach knapp zwei Stunden kurz vor Mitternacht. Danke für die Verjüngung!



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