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Powerwolf, Orden Ogan, Civil War   23.10.2015   Leipzig, Hellraiser
von rls

Der Bürgerkrieg ist bereits Geschichte, als der Rezensent mit einer knappen Dreiviertelstunde Verspätung zum für einen Freitag ungewöhnlich frühen Gigstarttermin im Hellraiser eintrifft - möglicherweise möchte man ein relativ frühes Gigende erreichen, um ein gewisses Zeitfenster zum Folgetag zu schaffen, an dem ein riesiges Heidenfest-Package an gleicher Stelle gastiert und der Gig dann schon 15.30 Uhr (!!) beginnen soll, ergo vorher in wenig Zeit viel zu erledigen ist. Beide Konzerte sind übrigens ausverkauft, so daß drinnen wenig Mobilität herrscht und der Rezensent einige Reihen hinter dem Mischpult seinen Platz findet. Kurioserweise klingen Orden Ogan von dort aus allerdings während des ganzen Gigs so, als ob man einen Teppich vor die Boxen gehängt hätte. Der Rezensent ist nun wirklich der letzte, der sich über relativ niedrige Lautstärke auf Metalgigs beschweren würde - aber hier fehlt dann doch ein Quentchen Druck und zudem ein Quentchen Transparenz: Relativ gut zu hören sind Teile der Drums, die Vocals, die Leadgitarren und einige der Samples, der Rest der Instrumente erzeugt ein gewisses gleichförmiges Geräusch, das zudem insgesamt wie beschrieben auch noch recht leise ausfällt. Der melodische Power Metal der Sauerländer verliert in dieser schwer durchdringbaren Version etwas an Reiz, und da man Seebs Gesang gut hört, fällt auch dessen "Normalität" auf, was man positiv wie negativ werten kann - würde er in den Gesang so viel Expressivität legen wie in manche der Ansagen, so wäre durchaus viel gewonnen. Orgen Ogan machen sich zudem das Leben schwer, indem sie ein hochdramatisches Intro vom Band kommen lassen, in dieses aber nicht zur Klimax fett einsteigen, sondern einen Opener mit sanftem Klavierthema wählen, was in dramaturgischer Hinsicht völlig deplaziert ist, zumal besagter Opener auch als Ganzes nicht richtig zünden will. Kurioserweise feiern die vorderen zwei Drittel der Halle selbst einen Song wie das langweilige "The Lord Of The Flies" ab, als hätten die Sauerländer soeben den Heavy Metal erfunden. Immerhin haben sie tatsächlich starke Momente am Start, "Here At The End Of The World" beispielsweise, an Position 6 gesetzt und den letzten speedlastigeren Track im nach hinten heraus irgendwie wegplätschernden Set (trotz intensiver Mitshoutparts im Closer "Cold Dead And Gone") markierend. Auch "Fist Of Fate" weiß zu überzeugen, und zwar speziell mit seinen furiosen Solopassagen, die überhaupt einen großen Trumpf der Band darstellen und in die sich die beiden Gitarristen hineinteilen. Im Direktvergleich mit der Supporttour für Grave Digger anno 2011 müssen Orden Ogan sich anno 2015 aber hinten anstellen, und das verwundert dann doch ebenso wie der Verzicht auf ihren Mini-Hit "We Are Pirates", der zumindest bei früheren Gigs der Tour noch gespielt worden war - die Outro-Struktur macht klar, daß keine Zugabe eingeplant ist.
Powerwolf sind mittlerweile richtig groß geworden und haben offensichtlich einen ganzen Haufen junge Fans dazugewonnen - daß ein Power-Metal-Gig im Hellraiser schon mehr als eine Woche zuvor ausverkauft ist, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. In der Nähe des Rezensenten stehen etliche solcher junger Fans, die man zuverlässig daran erkennt, daß sie die aktuellen Songs des 2015er Albums "Blessed & Possessed" (sie stellen logischerweise eine der stärksten Fraktionen im Set) textsicher mitsingen, bei den (wenigen) alten Songs aber schweigen. Alle zusammen aber verbreiten eine exzellente Stimmung, und der Rezensent, der nun wirklich schon Hunderte Metalkonzerte hinter sich hat, hat es noch nie erlebt, daß wirklich in JEDER Songpause in Sprechchören der Bandname gerufen wird, wie es an diesem Abend der Fall ist, wodurch Sänger Attila so gerührt wird, daß er bisweilen sogar seine pseudoosteuropäische Sprechweise anzuwenden vergißt und ins Hochdeutsche wechselt. Powerwolf sind bekanntlich eine Art Metal-Theater, das die quasi-religiöse Inszenierung des Metal, wie man sie etwa von Manowar kennt, ins Parodistische überhöht, das Ganze allerdings technisch auf hohem Niveau darbietet, wozu die ausgebildete Stimme Attilas (so ein Ansage-Exzelsior wie vor "Lupus Dei", also fast am Setende, muß man erstmal hinbekommen) ihr Scherflein in besonders starkem Maße beiträgt, während die soliden bis guten Instrumentalisten zwar keine Bäume ausreißen, das aber auch nicht müssen. Der Sound ist geringfügig druckvoller als bei Orden Ogan und bis zum Drumsolo auch klarer, danach allerdings wird er wieder verwaschener, wenngleich das Wichtige immer noch deutlich durchzuhören ist. Und die Chorgesänge übernimmt sowieso mehr oder weniger komplett das enorm feierfreudige Publikum, das sich von dem Quintett problemlos um den Finger wickeln läßt. Apropos Theater: Auch an die optische Inszenierung hat die Band gedacht und fährt ein streng barockes Symmetriebild auf. Die (angeblichen) Greywolf-Brüder an Gitarre und Baß wechseln ihre Positionen links und rechts neben Attila quasi auf Kommando, das Drumkit steht in der Mitte, und da Powerwolf nur einen Keyboarder haben, lösen sie dieses Symmetrieproblem, indem in beiden Bühnenecken je ein Keyboard (hinter einem phönixartigen Ständer) angebracht ist und Falk Maria Schlegel regelmäßig von einem zum anderen schreitet, mal vorn auf der Bühne, mal hinten am Drumkit vorbei. Interessanterweise setzen Powerwolf Schlegel selten dazu ein, unter den Gitarrensoli etwaige Soundlöcher zuzustopfen - meist ist er in diesen Situationen irgendwo vorn zu finden und schauspielert. Und ein Schauspiel ist das Ganze unterm Strich auch - wer sonst würde mit heiliger Inbrunst Schoten wie "Resurrection By Erection" ("Raise your phallus to the sky, and you'll never gonna die ...") raushauen? Selbiger Song ist einer von nur zweien des "Bible Of The Beast"-Albumdrittlings, der quasi das Rollenmodell für alle Folgealben darstellt - der andere, "Werewolves Of Armenia", läßt im Refrain die Leningrad Cowboys auferstehen, mit den "Hu-Ha"-Zwischenrufen aber Dschinghis Khan - zwei Bands mit ähnlich theatralischen Konzepten. Das anfangs doomlastige "Lupus Dei", der älteste Song des Abends (vom gleichnamigen Albumzweitling), beschließt den Hauptset, der Zugabenteil enthält neben dem Mini-Hit "Sanctified With Dynamite" das deutschsprachige Experiment "Kreuzfeuer", dessen Stellung im Bandschaffen erst bewertbar wird, wenn diese Schiene weiter ausgebaut wird. Nach "All We Need Is Blood" ziehen die jüngeren Fans zufrieden von dannen, die älteren hätten sich vielleicht doch noch mehr Stoff von den Frühwerken gewünscht. Prima unterhalten worden sind aber alle.

Setlist Powerwolf:
Blessed & Possessed
Coleus Sanctus
Amen & Attack
Cardinal Sin
Army Of The Night
Resurrection By Erection
Armata Strigoi
Drum Solo
Dead Boys Don't Cry
Let There Be Night
Werewolves Of Armenia
In The Name Of God (Deus Vult)
We Drink Your Blood
Lupus Dei
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Agnus Dei (Intro)
Sanctified With Dynamite
Kreuzfeuer
All We Need Is Blood
Wolves Against The World (Outro)



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