www.Crossover-agm.de DSCHINGHIS KHAN: The Jubilee Album - Hits & Rarities
von rls

DSCHINGHIS KHAN: The Jubilee Album - Hits & Rarities   (Jupiter Records/BMG)

Die Band, die die Silben "Huh" und "Hah" in die Musikgeschichte einführte: Dschinghis Khan hätten ein kulturhistorisches Phänomen sein können, wenn, ja wenn es sich bei dem Sechser nicht um eines der Kunstprodukte aus der berühmt-berüchtigten Songschmiede von Ralph Siegel und Bernd Meinunger gehandelt hätte. Spätestens am Text des ultimativen Dschinghis Khan-Hits, welcher der Einfachheit halber genauso wie die Band und auch das 1979er Debütalbum getauft wurde, merkte jeder halbwegs Vernunftbegabte, daß Siegel und Meinunger von mittelasiatischer Kultur keinen tiefergehenden Schimmer hatten. Immerhin ließen sie die Truppe eine Zeile wie "Laßt noch Wodka holen, denn wir sind Mongolen" singen - zur Zeit des als Bandnamensgeber ungefragt herhalten müssenden Mongolenfürsten hatte in seinem Herrschaftsgebiet allerdings noch keiner eine Ahnung, was der Grundstoff für die Wodkaherstellung, nämlich die Kartoffel, eigentlich ist, denn selbige wuchs bekanntlich mindestens seit der letzten Eiszeit nur noch in Amerika, bevor der alte Kolumbus und seine Nachfolger sie zumindest schon mal nach Europa brachten, von wo aus es bis zur Mongolei auch nochmal ein paar Jährchen dauerte. Die Kalkulation von Siegel und Meinunger war allerdings klar: Dschinghis Khan verkörperten einen geheimnisvollen exotischen Touch, den in der BRD damals kaum einer richtig auseinanderpflücken konnte oder wollte - die Mongolei gehörte schließlich zum sozialistischen Lager und war gaaaanz weit weg. Ein weiteres Indiz für diese Kalkulation war der Track "Moskau" - mitten im Kalten Krieg kamen da zwei songschreibende Profitgeier und verfaßten einen Text über das wilde Nachtleben Moskaus, das nach Meinung von Siegel und Meinunger einen völlig unsozialistischen Touch hatte; Zeilen wie "Moskau - Tor zur Vergangenheit, Spiegel der Zarenzeit ..." hätten damals, wenn man sie tatsächlich ernst genommen hätte, durchaus gar für diplomatische Verstimmung sorgen können. Aber scheinbar wußten die damaligen Towaritschtschi in Moskau schon genau, was sie von Dschinghis Khan zu halten hatten (sie ließen gar die offizielle Verbreitung der Musik Dschinghis Khans in der UdSSR zu, was denen dort eine immense Fanbasis bescherte). Erstaunlicherweise hielt sich die Truppe für ein Kunstprodukt relativ lange und auch in nahezu konstanter Besetzung - von den ursprünglichen vier männlichen und zwei weiblichen Mitgliedern scheint bis zum Auseinanderbrechen in den Mittachtzigern nur eines der männlichen Mitglieder ausgestiegen zu sein, wenn ich die im Booklet abgedruckten Besetzungsfotos aus den verschiedenen Epochen richtig deute. Dschinghis Khan brachten es auf fünf Longplayer, die ungefähr im Jahrestakt zwischen 1979 und 1983 herauskamen. Da Siegel und Meinunger schnell merkten, daß sich die reine Mittelasien-Schiene schnell abnutzen würde, ließen sie die Truppe auf den Folgealben die Spuren von Mythen und Figuren aus der ganzen Welt verfolgen - natürlich wieder nicht im kulturhistorischen Sinne, sondern weiterhin dünne Bretter bohrend und nicht mal bei "Pablo Picasso" oder "Judas" ein klein wenig tiefer in die behandelte Materie eindringend (im letzteren Fall gleich mal Judas und Petrus durcheinanderwürfelnd - Helloween-Fanatiker können sich übrigens beruhigt wieder hinlegen, denn die beiden "Judas"-Songs haben außer dem Titel nichts miteinander zu tun). Da der Erfolg in Deutschland mit deutschsprachiger Musik im Ausland natürlich kaum im gleichen Maße zu reproduzieren war (an Rammstein war seinerzeit noch nicht zu denken), entstanden Singles in verschiedenen Sprachen (ob auch komplette Longplayer, weiß ich nicht), von denen es einige Songs auch auf die vorliegende Compilation geschafft haben, so beispielsweise "Pistolero" als spanische Version oder "Klaboutertjes" in der holländischen Variante. Von den 18 Songs sind immerhin drei bisher unveröffentlicht gewesen, fünf weitere erleben mit dieser CD ihre Premiere in versilberter Form (was doppelsinnig zu verstehen ist, denn man hat beim Digipack keine Kosten gescheut und großflächig mit silberner Sonderfarbe gearbeitet, was reflexionsbedingt das Einscannen des Covers zur undankbaren Übung macht, die auch der Mensch, der die Daten für Amazon aufbereitete, nicht bewältigt hat) - keine schlechte Quote für eine Best-Of. Siegel und Meinunger haben offenbar tief in ihren Archiven gegraben, denn ich glaube kaum, daß die im Booklet mit dem Jahr 2004 angegebenen Songs "Käpt'n Kid" und "Judas" aktuelle Neueinspielungen sind - die verwendeten musikalischen Mittel gleichen einfach zu sehr denen der im Zeitraum zwischen 1979 und 1983 veröffentlichten Tracks, so daß es sich um Outtakes damaliger Aufnahmen handeln dürfte, die allerdings paradoxerweise zu den stärksten Songs der Compilation gehören. Daß sich Siegel und Meinunger bemühten, Dschinghis Khan nicht völlig im Schlagerfach anzusiedeln, beweist das fast sechsminütige "Rom" (Titeltrack des zweiten Albums), das phasenweise einen fast kammermusikalischen Touch aufweist und zudem zeigt, daß die Bandmitglieder ausnahmslos gute Sänger waren, also keineswegs mit den heutigen Heulbojen zu vergleichen sind, die uns laufend als der neue Stern am Pophimmel angedreht werden sollen und deren Halbwertszeit diejenigen der radioaktiven Elemente jenseits der Ordnungszahl 100 im Periodensystem (welche innerhalb von Millisekunden wieder zerfallen) noch unterschreitet. Von den ehemaligen Mitgliedern hat einer den Sprung nach ganz oben geschafft: Der 1975 aus Ungarn in die BRD geflüchtete Leslie Mandoki (ja, Dschinghis Khan hatten tatsächlich einen Vertreter der finno-ugrischen Sprachgruppe im Line-up) hat sich im ernstzunehmenderen musikalischen Bereich als Studiobesitzer und Produzent etabliert; Interessenten verweise ich diesbezüglich auf Georgs Rezensionen zur "Soulmates Live"-DVD und der "Legends Of Rock"-CD. Auch seine Landsfrau Edina Pop (ja, Dschinghis Khan hatten tatsächlich auch noch eine Vertreterin der finno-ugrischen Sprachgruppe im Line-up) und Steve Bender blieben im Musikgeschäft, wohingegen sich Wolfgang Heichel, seine Mittlerweile-Ex-Frau Henriette Strobel und Louis Hendrik Potgieter aus dem Musikbusiness zurückzogen. Daß Siegel und Meinunger natürlich nicht davon ablassen, aus der Vergangenheit noch Kapital zu schlagen, beweist neben vorliegender CD auch noch eine Single aus dem Jahre 1999, mit der man offensichtlich die grassierende Achtziger-Welle noch ein wenig abschöpfen und gleichzeitig im Dancefloor-Bereich noch punkten wollte. "The Story Of Genghis Khan Part I" von der Single hat es im knapp sechsminütigen "Extended Millennium Mix" (englischsprachig übrigens) auch auf vorliegende Jubiläums-CD (deren Jubiläum sich aus dem 25jährigen Zurückliegen der Veröffentlichung des selbstbetitelten Debütalbums errechnet - "The Jubilee Album" ist bereits 2004 erschienen) geschafft hat; welchen Erfolg das Duo mit diesem genrefremden Versuch hatte, kann ich mangels Aufenthalts in den Zielgruppenkreisen nicht beurteilen. Genrefremd war auch "Rocking Son Of Dschinghis Khan", das, auf dem Debütalbum plaziert, offensichtlich noch alle musikalischen Richtungen für die Zukunft offenlassen sollte - im Text wird nach dem eröffnenden Bockschuß "Huh - Hah - Kasatschok" (merke: Der Kasatschok war ein russischer Kosakentanz, der mit den Mongolen herzlich wenig zu tun hatte) die Story des Sohnes von Dschinghis Khan kolportiert, der statt des Kriegshandwerks lieber Trommler in einer Rockband werden wollte und sich Ringo Starr als Vorbild genommen hat, und da gibt's dann also tatsächlich auch mal ein paar E-Gitarren-Riffs zu hören. Aber das Publikum blieb offensichtlich lieber beim perfekt inszenierten, aber leblosen Schlager, den man sich mit der nötigen Distanz durchaus schmunzelnd anhören kann und der vermutlich auch heute noch auf jeder Achtziger-Party für Lachstürme bzw. Stimmung sorgt, spätestens beim Anblick des ein Bandfoto von 1979 transportierenden Covermotivs, das man auf der Rückseite des auseinandergefalteten Booklets auch nochmal in knapp A3-Größe bewundern und sich an die Zimmerwand hängen kann, wenn man seine Familie mal wieder so richtig schocken möchte. Anspieltips gibt es keine, neben "Rom" sei aber noch die achtminütige 12-Inch-Version von "Moskau" als lohnender Grund angeführt, sich diesen Rückblick für vertretbares Geld (ich hab' das Ding für 7,99 Euro im Kaufland entdeckt) mit einem breiten Grinsen in die Sammlung zu stellen und zu konstatieren, daß früher wirklich manches besser war, wenngleich nicht alles. Sammler auf der Suche nach Echtheitszertifikaten halten sich aber nicht weiter damit auf, sondern gehen bzw. greifen weiterhin zu Yat-Kha. Und kaum ist diese Rezension eingetippt, schon erreicht mich die Mitteilung, daß Dschinghis Khan am 17.12.2005 in Moskau einen großen Reunion-Gig spielen sollen, bei dem wahrscheinlich vier der Originalmitglieder dabei sein werden - zwei fehlen definitiv: Mandoki und Potgieter (letztgenannter ist bereits in den Mittneunzigern in Südafrika an AIDS gestorben).
Kontakt: www.bmg.de, www.mandoki.net, www.dschinghis-khan.de

Tracklist:
China Boy
Hadschi Halef Omar
Pistolero
Dschinghis Khan
Der Dudelmoser
Käpt'n Kid
Loreley
Rom
Klaboutertjes
Pablo Picasso
What Shall We Do With A Drunken Sailor
Mexico
Corrida
Rocking Son Of Dschinghis Khan
Judas
Samurai
Moskau
The Story Of Genghis Khan Part I (Extended Millennium Mix)






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